Die Baumann-Kolumne "Neues von der Werkbank" Kommentar: Der goldene Boden im Handwerk hat Risse – Betriebe schließen und Unternehmer sind demotiviert

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Neues von der Werkbank – Kolumne von Ruth Baumann

Sind Frieden und Wohlstand für uns schon zur Selbstverständlichkeit geworden? Bemerkt keiner die schleichenden Zeichen der Veränderungen und deren Auswirkung auf unser künftiges Leben? Unsere Kolumnistin Ruth Baumann, Präsidentin der Unternehmerfrauen im Handwerk (UFH) Baden-Württemberg, hat sich im aktuellen Beitrag ihrer Kolumne “Neues von der Werkbank“ genau dieser Thematik einmal angenommen.

Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg
Ruth Baumann Landesvorsitzende UFH Baden-Württemberg. Gemeinsam mit ihrem Mann führt sie die Baumann & Co. Straßenbaugesellschaft mbH in Freiburg. - © privat

In meinem Leben ist Humor ein treuer Begleiter, doch merke ich von Tag zu Tag, dass er auch an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit stößt. Eine Freundin von mir bezeichnete dies mit dem Wort „Altersradikalität“. Anfangs lachte ich noch darüber, aber – wenn ich ehrlich bin – trifft diese Beschreibung tatsächlich zu. Ich bin es leid, mich tagtäglich mit neuen, oft unsinnigen Bescheinigungen, Anforderungen, Testaten, usw. auseinander zu setzen und mir gleichzeitig die Durchhalteparolen der vermeintlichen Entbürokratisierung, der Pseudo-Wertschätzung als „tragende Säule der Wirtschaft“ und vieles mehr anzuhören. Ich bin als Unternehmerin reflektiert genug, dass man mir nicht immerzu die Welt erklären muss und sich dabei auch noch anmaßt, alles besser zu wissen. Es reicht, an manchen Stellen ist das Fass am Überlaufen und – das schockiert mich am meisten – ich bin mit dieser Einstellung nicht allein!

Die Unzufriedenheit wächst

Nach dem Versuch die gesellschaftliche, sprachliche „Umerziehung“ mitzutragen, merke ich nun, dass ich dies nicht mehr will. Schaumküsse, Lichterfeste, Schnitzel ohne Nationalitätsbezeichnungen, aktuell 60 Geschlechter-Typen – das sind nicht mehr meine Baustellen. Es sind für mich, bitte entschuldigen Sie die Deutlichkeit, verbale Auswüchse der spätrömischen Dekadenz. Schon vor Jahren hatte Guido Westerwelle davor gewarnt. Während die Parlamente stetig wachsen und somit der Überflutung mit Bürokratie, statt Grenzen zu setzen, neue Mitarbeiter folgen, wächst auch die Unzufriedenheit. Definieren wir etwa unsere Wettbewerbsfähigkeit damit, dass wir ebenso viele Abgeordnete in Berlin haben, wie das europäische Parlament?

Von Veränderungen und Entscheidungen

Wir alle leben in einem globalen Markt, wo Digitalisierung und Künstliche Intelligenz auf dem Weg sind und genau diesen Fakten sollten wir uns stellen. Es bringt nichts, alles in klein-klein zu regulieren, zu evaluieren und zu analysieren, aber dann keine Entscheidungen zu treffen bzw. die getroffenen Entscheidungen umzusetzen. Ich wünsche mir bei der Abschaffung des Solidaritätszuschlags die gleiche Konsequenz wie bei dessen Einführung. All die Anträge, Beschlüsse, Resolutionen, die eine Verfallszeit von Stunden haben, sind die gefällten Bäume für das Papier nicht wert. Wenn jahrelange Verhandlungen zu keinem Ergebnis führen, jeden Tag aber auf’s Neue etwas daran gestrickt wird, strahlt der „Brexit“ auch in Betriebe aus. Es sind nicht die wirtschaftlichen Folgen, sondern die Beliebigkeit und Unzuverlässigkeit, die man als mittelständisch denkender Mensch nicht nachvollziehen kann. Ist das die Welt, die Unternehmertum und Start-ups motivieren soll?

Ist die Digitalisierung Freund oder Feind?

Wir haben in den letzten 1,5 Jahren erlebt, wie eine komplette Branche (Automobil) dem Zeitgeist geopfert wurde. Die aktuellen Zahlen belegen, dass wir den Ast, auf dem wir saßen, fast abgesägt haben. Der Ansatz, dies auch bei der Landwirtschaft zu versuchen, ist ebenfalls schon greifbar. Und was folgt dann? Wann erlauben wir, dass der gesunde Menschenverstand uns zeigt, dass zwischen der Zementierung der Arbeitszeiten und dem Sterben der Gasthäuser, ein Zusammenhang bestehen könnte? Algorithmen können weder Unternehmertum noch Wohnraum erschaffen. Wir brauchen die Freiheit zu denken, Entscheidungen zu treffen und diese dann auch zu verantworten. Fleisch oder vegan, SUV oder Fahrrad, Bikini oder Burkini... alles geht, wenn alle Toleranz leben – ohne dabei Werte aufzugeben. Ist aber das Ziel, dies zu wollen, nicht klar definiert, wirkt der Weg dorthin planlos. Digitalisierung gelingt nicht durch Absichtserklärungen, sondern durch funktionierende Netze. Sind diese nicht sicher, tauchen Patientenakten im Netz auf und die Datenschutzgrundverordnung stößt an ihre Grenzen. Wer Internetkriminalität eindämmen will, sollte dies nicht analog versuchen oder die Verantwortung dafür „auslagern“ (Haftung des Unternehmers bei Umsatzsteuermeldung für virenfreien Datenbestand).

Kein gutes Zeugnis

Handwerk und Familienbetriebe hätten Zukunft. Unsere individuellen Leistungen werden vor Ort abgerufen und brauchen den globalen, standardisierten Wettbewerb in der Regel nicht zu fürchten. In jedem Betrieb können Innovationen, Dienstleistungen, Waren, Arbeitsplätze, Steueraufkommen erzeugt werden, wenn man es denn will und die Gesellschaft dies zulässt wie auch schätzt. Wenn aber die Gesellschaft schweigend beobachtet, wie die Schaffenskraft demontiert und stranguliert wird, darf sie sich über die absehbaren Folgen nicht beschweren. Bauwerke, die anscheinend nie fertig werden, Klagefluten, die selbst die Rechtsprechung zu ersticken drohen, usw. stellen kein gutes Zeugnis dar. Wenn ein neues Gesetz durch Wegfall eines alten als Errungenschaft der Entbürokratisierung gefeiert wird, bleibt die Frage, wie es hierdurch weniger werden soll, ungelöst. Eins rein, zwei raus – dann wäre das Ergebnis greifbar. Hierfür braucht es Mut.

Anfangen dem Wähler zuzuhören

Die aktuellen Wahlergebnisse zeigen, dass die Zeiten der Volksparteien sich dem Ende neigen. Viele Unternehmer fühlen sich parteipolitisch „heimatlos“ und als Betriebsinhaber in einem unendlichen Kampf gegen Windmühlen. Betriebe schließen, finden keinen Nachfolger, ohne größere Resonanz in der Tagespresse. Die Tendenz, das eigene Unternehmen für den Verkauf „aufzuhübschen“ ist ebenso spür- wie auch nachvollziehbar. Selbst wenn Parlamente und Verwaltungen weiterhin wachsen, sie generieren keine Steuern. Es wird Zeit, dass Politiker nicht dem Wähler die Welt erklären, sondern dem Wähler zu hören. Der goldene Boden hat Risse, diese gilt es zu flicken. Mit Handeln, denn Worte hatten wir die letzten Jahre zur Genüge.