Bergsteigen: „Ein absolutes Freiheitsgefühl“

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Extreme Bedingungen schrecken Höhenbergsteiger und ­Malermeister Christian Sander nicht ab. Ehrgeizig, aber sich seiner Grenzen bewusst, zieht es ihn in die schroffe Schönheit der Achttausender.

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    Christian Sander 2010 bei einer Solobegehung des Hohlaubgrates am Allalinhorn (4027 m) in der Schweiz.
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    Hochkonzentriert: Beim Klettern an gefrorenen Wasserfällen in Kandersteg, Schweiz, sind Fehler verboten.

Die Alpen sind gegen den Himalaya wie Legoland.“ In Willershausen, Niedersachsen, sitzt Malermeister Christian Sander frisch rasiert im ordentlich gebügelten Hemd an seinem Schreibtisch und lässt die Eindrücke seiner kräftezehrenden Touren auf einige der höchsten Berge der Erde wieder lebendig werden. In seiner Büroumgebung, in der sonst kaum eine Spur von seiner Bergsteigerleidenschaft zu finden ist. An den Wänden hängen Zertifikate, ein Kunstposter von Miró. Allein ein Foto vom Broad Peak als Bildschirmschoner und zwei Fundstücke zeugen von der so völlig anderen Welt in den weit entfernten Bergen, die ihn so fasziniert. Den Karabiner und ein pakistanisches Maultierhufeisen hat er sich als warnendes Andenken von einer seiner Touren mitgebracht. Sie erinnern ihn daran, beim Bergsteigen nicht leichtfertig zu sein. „Ich möchte mein Leben intensiv erfahren, nicht riskieren!“

Viele seiner Kunden, die auf der Firmenwebseite des „rollenden Malers“ zwischen kurzen Filmen zur Parkettverlegung, Schimmelpilzsanierung und der farblichen Raumgestaltung eines Treppenhauses ein ganz außergewöhnliches Video finden, erkennen den Bergsteiger Christian Sander darin bestimmt erst auf den zweiten Blick. Der graubärtige Mann im Film ist außer Atem. Eine schwarze Gletscherbrille und ein selbst gebauter Nasenschutz verdecken fast vollständig sein Gesicht, zwei aufgeplusterte Kapuzen wärmen seinen Kopf. Im Hintergrund: Schnee und ein klarer, hellblauer Himmel. „Gipfel des Cho Oyu, 8201 Meter, 1. Oktober 2013“, spricht der Höhenbergsteiger mit nicht ganz fester Stimme in die Kamera.

Vita: Christian Sander
Christian Sander ­wurde 1961 in Osterode im Harz geboren. Er bestand 1984 die Meisterprüfung im Maler- und Lackiererhandwerk und übernahm 1989 den väterlichen Betrieb.

Als Bergsteiger ein Spätzünder

Viermal schon hat sich der 53-Jährige aufgemacht, um einen Achttausender zu besteigen. Dreimal musste er kurz vor dem Gipfel aufgrund des Wetters abbrechen. 2013 gelingt der ersehnte Gipfelerfolg am Cho Oyu im Himalaya im Grenzgebiet von Tibet und Nepal.

Dabei ist Sander als Höhenbergsteiger und Sportler ein absoluter Spätzünder. Mitte der 90er-Jahre zog es ihn nach Südamerika, zu ersten Trekkingtouren. Als er mit 39 Jahren das Höhenbergsteigen begann, den höchsten Gipfel Südamerikas, den Aconcagua, in 6962 Metern erreichte und ein Jahr später den Muztagh Ata, 7546 Meter, in China bestieg, war es endgültig um ihn geschehen. Tief beeindruckt, allein schon von der unglaublichen Masse, fühlte er: „Das sind richtige Berge!“

Einfach mal so, nebenbei im jährlichen Sommerurlaub sind Achttausender-Besteigungen natürlich nicht drin. Die gefährlichen Touren verlangen ausdauerndes Training und eine akribische Vorbereitung. Schließlich verspricht Sander seiner Frau und den beiden Kindern jedes Mal, sicher und gesund zurückzukehren. Um fit zu werden, beginnt er damals, Marathon zu laufen, wird 2002 Norddeutscher Meister. Er trainiert sich im Eisklettern, überschreitet Matterhorn und Mont Blanc, läuft Kilometer um Kilometer vor seiner Haustür. Verwunderte Nachbarn beobachten ihn auch schon mal beim Rasenmähen mit einem 35 kg schweren Rucksack voller Pflastersteine auf dem Rücken oder beim Zelten im verschneiten Garten.

Vor allem seine Ausrüstung stellt er stets sorgfältig zusammen. Wochenlang wird der optimale Rucksack gesucht, stundenlang ein Karabiner getestet. Dann werden Ersatzhandschuhe eingepackt, Steigeisen, Landkarten, Genehmigungen, Medikamente, Fischkonserven.

Was ist der Lohn für all diese Strapazen? „Ein absolutes Freiheitsgefühl und die Bestätigung, aus eigener Kraft angekommen zu sein.“ Sander liebt es, nur den Himmel und seine unendlich vielen Sterne über sich zu sehen, völlig autark unterwegs zu sein, zu wissen, „im Umkreis von 300 Kilometern ist kein einziger Mensch“. Alle zwei bis drei Jahre kribbelt es in ihm. Dann muss er wieder los. Und bevor er sich das selbst eingesteht, weiß seine Frau schon längst Bescheid.