App-Entwickler für das Handwerk Apps statt Datenchaos

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Digitalisierung

Apps können aus Ihrem Smartphone ein nützliches Werkzeug machen. Die Entwicklungen der digitalen Assistenten kommen dabei mittlerweile nicht mehr nur von Informatikern, sondern auch aus dem Handwerk selbst.

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    Moritz Schroeder (re.) , App-Entwickler aus Berlin und seine Mitarbeiter Kilian Eckle (li.) und Tim Loewel.
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    Moritz Schroeder (mitte) , App-Entwickler aus Berlin und seine Mitarbeiter Kilian Eckle (re.) und Tim Loewel (li.)
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    Malermeister Litti aus Herford/Elverdissen und seine App „Stundenzettel Einfach Easy“.
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    Malermeister Litti aus Herford/Elverdissen und seine App „Stundenzettel Einfach Easy“.

„Kommen Sie bitte sofort auf die Baustelle!“, mit diesen Worten wurde Moritz Schroeder vor mehr als einem Jahr beinahe täglich telefonisch auf eine Baustelle zitiert. Der Grund: Eine schlichte Verwechslung. Schroeder kannte den Baustellen-Projektleiter Jörg Wagner am anderen Ende der Telefonleitung nicht. Nach zahlreichen versehentlichen Anrufen erklärte der gelernte Diplom-Kaufmann launig, dass er kein Handwerker sei und nach all den unzähligen Anrufen doch nun etwas bei ihm gut habe. Nicht ohne Hintergedanken: Schroeder hatte schon seit Langem eine App für die Bau- und Handwerksbranche geplant. Jetzt sah er seine Chance gekommen. Er erzählte ihm direkt am Telefon von seiner Idee eines digitalen Helfers für die Baustelle – und die beiden kamen ins Geschäft.

Die Grundlage für seine App beschreibt der Berliner Entwickler so: „Bei der Nutzung von Smartphones und mobilen Endgeräten steht in der heutigen Zeit der ständige Austausch von Bildern im Mittelpunkt“, erklärt Schroeder. Aufgrund dieses Nutzungsverhaltens haben sich die beiden dann überlegt, für die Handwerksbranche eine Foto-App zu programmieren. Denn auf Baustellen werden via Nachrichtendienste unglaublich viele Bilder und Videos verschickt, jedoch sind diese Datenberge nicht organisiert und kaum mehr wieder zu finden. Zumal die Bilder und die Nachrichten voneinander getrennt abgespeichert werden und eine nachträgliche Zuordnung unmöglich scheint.

Digitales Polaroid mit OBOB-App

Bei dieser Datenbaustelle kommt die OBOB-App ins Spiel. Im Grunde wird ein digitales Polaroidfoto aufgenommen, das die ergänzenden Metadaten in der weißen Fläche unterhalb des Bildes sammelt. Dazu können Sie aufgenommene Bilder mit Informationen zu Gewerk, Baustellendaten, Luftfeuchtigkeit, Temperaturen, Uhrzeit, Standort, Baustellenkürzel sowie mit Textnachrichten versehen. Die Applikation speichert jedes aufgenommene Bild in einer Cloud. In der „virtuellen Speicherwolke“ ist dann auch eine eindeutige Zuordnung möglich.

Auf einer Baustelle gibt es natürlich auch viele Informationen, die nicht ungesichert ins Netz gelangen sollten. Moritz Schroeder sieht da jedoch keine Probleme, da die Dateien gut gesichert sind und jede Baustelle über eine Gruppenanfrage mit einem Team-Code geschützt werden kann. So könne unberechtigten Personen der Zugriff auf die Baustelle verwehrt werden. Schroeder sieht OBOB als eine Ergänzung des Werkzeugkastens. „Die App soll die Arbeit vereinfachen, ohne dabei den Arbeitsrhythmus zu unterbrechen“, betont er. „Neben einer Wasserwaage oder einer Kelle soll sich das Smartphone als digitales Werkzeug etablieren und das Repertoire eines Handwerkers erweitern.“

Eine Foto-App für Bauprojekte: Auftraggeber und Projektrealisatoren können die Entwicklung eines Bauprojekts mit der App fotografisch festhalten.
Den Bildern werden verschiedene Merkmale wie Wetterbedingungen, Standort und Urheber angehängt. Die Bilder sind dann oftmals bei Projektverzögerungen oder auch Rechtsentscheidungen Goldwert. Die App befindet sich allerdings noch in der Pilotphase.

App sorgt für Rechtssicherheit

Durch die Funktionen und die genaue Dokumentation könne die Foto-App zusätzliche Rechtssicherheit schaffen, da die Informationen im Nachhinein nicht mehr manipulierbar sind. „Sollte der Auftraggeber mit der Arbeit nicht zufrieden sein oder den Arbeitsfortschritt bemängeln, kann man ihm im Ernstfall anhand der Bilder genau zeigen, wieso es zu Bauverzögerungen gekommen ist.“

Der IT-Quereinsteiger hat bereits an der Entwicklung und dem Aufbau vieler Apps mitgewirkt. Diesmal wollte er nicht nur Ideengeber sein, sondern ein eigenes Projekt auf die Beine stellen. So fiel vor circa einem Jahr auch der Startschuss für die Entwicklung der OBOB-App. Das Team besteht aus vier festen Mitarbeitern, die jahrelange Erfahrung im Bereich Start-up und Produktentwicklung mitbringen. Dazu kommen zusätzlich drei Entwickler, die über das Programm „Gründung innovativ“ des Landes Brandenburg finanziert werden.

Markteinführung Anfang 2018

Schon bald befindet sich die App im Praxistest bei einer Handwerksgruppe aus Darmstadt und Frankfurt mit über 3.000 Mitarbeitern in ganz Deutschland. Mit Blick auf die Markteinführung der OBOB-App Anfang 2018 werden gerade weitere Teilnehmer für die Pilotphase gesucht. Um den digitalen Assistenten umfangreich in der Praxis zu testen, möchte das OBOB-Team die Anzahl der Pilotteilnehmer bis Ende des Jahres auf 100 erhöhen. Die OBOB-App wird kostenlos ab Anfang 2018 zunächst für Android-Geräte erhältlich sein . Eine iOS-Version wird ebenfalls folgen. Bis heute ist nicht klar, wie Moritz Schroeder auf die Telefonliste des Bauleiters kam. Doch eines steht fest: Ohne diesen glücklichen Zufall wäre ein Projekt wie die OBOB-App nicht entstanden und das Handwerk um einen digitalen Assistenten ärmer.

Handwerksunternehmer programmiert App für Handwerker

Dass Apps nicht nur von Programmier-Profis, sondern auch von Handwerksunternehmern entwickelt werden können, beweist Malermeister Wolfgang Litti. Er tauschte abends Tapeziertisch gegen Tastatur und schuf eine App für digitale Stundenzettel .

Litti führt seit 25 Jahren einen Malerbetrieb und spezialisierte sich dabei auf Kunden der Altersgruppe 50+. „Tapezieren, lackieren oder Teppichböden verlegen. Die klassische Malerarbeit liegt mir sehr am Herzen und die möchte ich so lange wie möglich ausführen.“ Der 55-jährige Herforder hat schon sehr früh seine Leidenschaft für das Programmieren entdeckt. Das Wissen hat er sich selbst getreu dem Motto „do it yourself“ beigebracht. „Ich habe mir Bücher und Zeitschriften gekauft und mir die gängigen Programmiersprachen Schritt für Schritt angeeignet“, erzählt der Malermeister.

Anfangs war Programmieren ein reines Hobby

Für Litti ist das Programmieren keine Arbeit, er sieht es eher als Ausgleich zu körperlichen Tätigkeiten, die tagsüber als Maler anfallen. „Büromitarbeiter gehen abends ins Fitness-Studio, um sich fit zu halten, und bei mir ist es eben andersrum. Abends heißt es für mich: Gehirnjogging am PC.“ Er hat sich schon immer für Computertechnologie interessiert und mit kleinen Applikationen angefangen. „Die Faszination, selbst Lösungen zu finden, war schon immer da. Es hat mich gereizt, dass ich Dinge so programmieren kann, wie ich sie haben möchte.“

Auf einem schwarz-weißen Bildschirm mit einer Rechnerleistung von sagenhaften 40 Megabyte hat er damals sein erstes Programm entwickelt. „Mir hat das Rechnungenschreiben und Angeboteaufsetzten zu lange gedauert. Ich wollte diese Arbeitsprozesse optimieren und Zeit sparen.“ So kam es, dass er seine erste Anwendung „Handwerk Pro“ zur Angebots- und Rechnungserstellung entwickelt hat. „Ein Kunde hat mich neulich kontaktiert und wollte ein Update für Windows 10. Ich bin regelrecht aus den Wolken gefallen“, erinnert sich Litti schmunzelnd. Das Programm hatte er schon seit 2002 eingestellt und nicht mehr aktualisiert. Seine Frau findet sein Hobby gut und erkannte sein Interesse für die Programmiersprache schnell. „Meine Kinder haben es anfangs nicht ernst genommen und mich dafür belächelt, aber nachdem viele Nutzer meine App heruntergeladen haben und immer mehr Interesse für meine Apps entstand, waren sie sehr beeindruckt.“

Zeiterfassungs-App „Stundenzettel Einfach Easy“

Bei der Vorgehensweise für die Entwicklung neuer Apps orientiert sich Litti an seinen eigenen Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag. „Die Herausforderung bei einer Handwerker-App liegt in der einfachen Bedienung. Viele Anwendungen scheitern an der Komplexität und den häufig überflüssigen Funktionen”, erklärt der 55-Jährige. „Handwerker brauchen auf der Baustelle einfache Apps, die schnell zur Hand genommen und leicht zu bedienen sind. So wie man halt einen Hammer intuitiv schwingt.“ So auch bei seiner Zeiterfassungs-App „Stundenzettel Einfach Easy“ .

Die Probleme kennt jeder Unternehmer und Handwerker. Ob verschmutzte und unlesbare Stundenzettel, Berechnungsfehler oder eine undurchsichtige Zettelwirtschaft: Mit einer Zeiterfassungs-App kann der Betrieb Zeit und auch unnötiges Papier sparen. Zudem animiert eine App Mitarbeiter eher dazu, die Stunden korrekt und sofort zu erfassen, so der Handwerks-Programmierer. Ortsunabhängig können Handwerker die Daten erfassen und per Mail an die Zentrale übermitteln.

Die Stundenzettel-App macht es so angenehm wie möglich, Stundenzettel zu erstellen. Mit der Stundenzettel-App gehören fehlende, unleserliche oder unfertige Stundenzettel der Vergangenheit an. Geboten werden die PDF-Erstellung der Stundenzettel inklusive E-Mail-Versand und die nachträgliche Bearbeitung aller relevanten Eintragungen. Dazu ist die Inhaltssuche per Text- oder Spracheingabe in der Stundenzettelübersicht möglich.

Mehr als 20.000 Downloads

Die „Stundenzettel Einfach Easy“-App kam vor zwei Jahren auf den Markt. Seitdem verzeichnete sie schon mehr als 20.000 Downloads. Litti bietet die App für Android-Handys an, da Handwerker überwiegend diese Betriebssoftware nutzen. „Die Resonanz ist super und sollte etwas nicht passen, kann ich mich umgehend an den Rechner setzen und Fehler korrigieren.“ Seine Apps nutzen dabei nicht nur Handwerker. Zur Überraschung Littis gehören auch Physiotherapeuten oder Bus- und Taxifahrer zu den Nutzern.

Neben der Zeiterfassungs-App hat der Malermeister auch eine Kalender-App für Smart Watches und eine spezielle App für Maler zur Taupunktberechnung programmiert. Der große Vorteil der Digitalisierung liegt laut Litti darin, dass jeder heutzutage ein Smartphone hat und auf jede Situation sofort reagieren kann. „Man soll es mit den digitalen Helfern nicht übertreiben, aber der gezielte und effiziente Einsatz ist definitiv zu begrüßen“, lautet Littis Devise.

Beispiel für Digitalisierung des Handwerks

Wolfgang Litti ist ein Beispiel dafür, wie man einen handwerklichen Beruf mit den Anforderungen der digitalen Welt verknüpfen kann. So konnte er auch einen neuen Kundenkreis erschließen: Mittlerweile programmiert der 55-järhige Malermeister nicht nur Apps für die Masse, sondern auch individuelle Anwendungen für Betriebe.

Ans Aufhören denkt der 55-Jährige noch lange nicht. „Ich möchte meine langjährige Erfahrung und mein handwerkliches Wissen ehrenamtlich in Schulen oder Ausbildungseinrichtungen weitergeben. Das Programmieren ist dabei eine zusätzliche Leidenschaft und mit keinem finanziellen Druck verbunden“, betont der Handwerks-Programmierer. „Das ist unglaublich wichtig für mich. Spaß sollte bei so einem zeitintensiven Hobby an erster Stelle stehen.“