Zukunftsperspektiven „Die Gewerkegrenzen verschwinden“

Wer seinen Betrieb nicht vollständig auf E-Commerce und Wachstum ausrichtet, wird im Wettbewerb verlieren, prophezeit Unternehmer Reinhold Würth. Ein Interview zum 65-jährigen Dienstjubiläum.

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    Reinhold Würth, Chef der Würth-Gruppe.
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    „Die Beschäf­tigung mit ­E-Business ist für jeden Handwerker heute überlebens­notwendig.“

Langweilig wird es mir bestimmt nicht, lächelt Reinhold Würth ein wenig in sich hinein. Und das glaubt man ihm sofort. Der Hohenloher hat viel bewegt, seit er 1949 in den väterlichen Schraubengroßhandel als Lehrling eintrat. Heute vergleicht er die Auswirkungen von E-Commerce mit denen, welche die Einführung des Telefons auslöste, begeistert sich für Multikanal-Unternehmen und könnte leicht als 79-jähriger „Digital Native“ durchgehen.

Herr Würth, zunächst einmal herzliche Gratulation zum 65-jährigen Arbeitsjubiläum, welches Sie in diesen Tagen begehen. Wie feiern Sie?

Reinhold Würth: Vielen Dank. Gefeiert wird in kleinem Rahmen, mit einem Kreis von Mitarbeitern, Freunden und guten Bekannten – langweilig wird es mir mit Sicherheit nicht.

Ohne Betriebsgeheimnisse erfahren zu wollen, welche Projekte haben Sie gerade auf dem Tisch  oder welche Projekte faszinieren Sie im Augenblick besonders stark?

Neben der allgemeinen Beobachtung und Begleitung des Umsatzwachstums beschäftigt mich natürlich der Umbau der Würth-Gruppe zu einem Multikanal-Unternehmen und die boomartige Entwicklung des Internet-Geschäfts sehr.

Im Handwerk setzen sich die visionären Betriebe durch

Ihr Haus ist auch ein sehr verlässlicher Begleiter des Handwerks. Was war die größte – oder besser die grundlegendste – Veränderung im Handwerk, die Sie in dieser Zeit beobachten durften?

Nun, gerade dass auch in unserer so treuen Handwerkskundschaft der Nachwuchs das Zepter übernimmt. Die jungen Meister sind schon, wie man so schön sagt, Internet-Natives, während wir Alten halt doch nur Internet-Immigrants bleiben. Generell habe ich in meinen 65 Berufsjahren viele Veränderungen beobachtet, die momentane Entwicklung hin zu E-Commerce und B2B-Shop gleicht jedoch einer Revolution wie bei Einführung der Elektrizität oder des Telefons.

Und nun der Blick nach vorne: Generell gefragt, wo sehen Sie das Handwerk in der Zukunft?

Auch aufgrund der Demografie werden Praktiker, Handwerker und Fachleute immer weniger, auch durch die über Jahrzehnte falsch angelegte Bildungspolitik, dass nämlich ein Mensch ohne akademischen Titel nur ein Untermensch ist. Nach wie vor gilt: Handwerk hat goldenen Boden und ein gut ausgebildeter Handwerksgeselle oder gar Handwerksmeister hat unendlich bessere Berufsaussichten als ein Diplompsychologe oder MBA in Politikwissenschaften, Journalistik oder Sozialpädagogik.

Aus meiner Praxis beobachte ich natürlich, dass sich auch im Handwerk eben die visionären Betriebe durchsetzen durch Qualität, Freundlichkeit, Schnelligkeit und Modernität. Auch werden die seitherigen Gewerkegrenzen immer mehr verschwinden, wenn zum Beispiel Schreiner und Tischler heute auch ganze LED-Ausrüstungen mit verlegen.

Können Sie denn besonders interessante Wachstumsmöglichkeiten für das Handwerk definieren?

Wie überall gilt auch im Handwerk: Fort- und Weiterbildung ist unabdingbar notwendig, Stillstand ist Rückgang. Wer nicht seinen Betrieb vollständig auf E-Commerce spezialisiert und vor allem auch einen grundsätzlichen Expan­sionswunsch pflegt, wird das Wettbewerbsrennen verlieren. Wir von Würth versuchen mit unserer breit gefächerten Würth Akademie auch unseren Handwerkskunden auf vielfältigen Gebieten neueste Entwicklungen und Innovationen zu vermitteln. Beispiele sind Brandschutztechnik, Befestigungstechnik, Fenstermontage und Fahrzeugaufbereitung. Jährlich werden unsere Seminare von mehr als 11.000 Handwerkern in Deutschland besucht.

Höchster Qualitätsanspruch im ganzen Befestigungsteilemarkt

Für wie relevant halten Sie E-Business für das Handwerk?

Nach dem oben Gesagten ist die Beschäftigung mit dem E-Business für jeden Handwerker überlebensnotwendig.

Ihr Unternehmen investiert sehr stark in eine immer bessere Kommunikation mit seinen Kunden. Wie verändert sich grundsätzlich die Kommunikation zwischen Handwerksbetrieben und den Lieferanten-Partnern?

Würth hat sich in den letzten Jahren zu einem ausgeprägten Mehrkanal-Lieferanten entwickelt. Der Kunde hat eine Fülle von Kommunikationsmöglichkeiten mit Würth. Der wichtigste ist nach wie vor unser wohlausgebildeter Außendienstmitarbeiter, darüber hinaus sind es die 410 Abholshops in ganz Deutschland, der vor einigen Monaten vollständig neu gestaltete E-Shop unter der Adresse wuerth.de und natürlich auch die telefonische Kommunikation mit unseren Fachberatern und Produktspezialisten in der Konzernzentrale.

Insofern findet der Kunde optimale Bedingungen für die Kooperation mit Würth: Der Schnellbedarf wird, wenn es notwendig ist, innerhalb von zwei Stunden direkt auf die Baustelle geliefert, die 410 Abholniederlassungen sind hier eine gute Basis für dieses Angebot an die Kunden.

Tut der Kunde heute dennoch irgendwas, ohne vorher gesurft zu haben?

Natürlich ist das Internet geradezu geeignet, viele Anbieter im Internet aufzusuchen: Auch hier wird sich eher über kurz als lang der beste Internet-Shop durchsetzen, einfach weil ja die Zeit unserer Kunden auch limitiert ist: Bedenkt ein Handwerksmeister, was die Minute seiner Arbeitszeit kostet, die er im Internet verbringt, dann wird er schnell merken, dass es wenig Sinn für ihn macht, lange im Internet zu schauen, ob eine Sechs-Millimeter-Mutter um 0,02 Cent irgendwo anders billiger zu beziehen ist.

Würth ist mit seinem Programm von 120.000 verschiedenen Artikeln und dem höchsten Qualitätsanspruch im ganzen Befestigungsteilemarkt nicht umsonst mit Abstand der größte Anbieter auf dem deutschen Markt und übrigens auch weltweit.

Vita: Reinhold Würth, Reinhold Würth
  • geb. 20. April 1935, Öhringen, verheiratet, drei Kinder
  • 1949 Eintritt als ­Lehrling in die väterliche Schraubengroßhandlung
  • 1952 Abschluss der Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann
  • 1954 Übernimmt die Geschäftsleitung des Zwei-Mann-Betriebs mit einem Jahresumsatz von 80 000 Euro
  • 1994 Rückzug aus der operativen Geschäftsführung der Würth-Gruppe; Übernahme des Beiratsvorsitzes der Würth-Gruppe
  • 2006 Übergabe des Beiratsvorsitzes an Bettina Würth. Reinhold Würth bleibt Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrats.
Würth-Gruppe: Weltweit aktiv

Die Würth-Gruppe ist Weltmarktführer im Handel mit Montage- und Befestigungsmaterial. Die Würth-Gruppe ist ein Global Player. Sie besteht aktuell aus über 400 Gesellschaften in mehr als 80 Ländern.

Hier einige Zahlen und Fakten aus dem Unternehmen:

  • Umsatz: 5 Milliarden Euro (erstes Halbjahr 2014 Würth-Gruppe gesamt)
  • Betriebsergebnis: 235 Millionen Euro (erstes Halbjahr 2014)
  • Mitarbeiter: 65 000
  • Produkte: über 100 000 im Kerngeschäft der Würth-Linie
  • Kunden: über 3 Millionen weltweit