Bauhaus
Einhundert Jahre nach der Gründung des Bauhauses zeigt sein Konzept den Weg in ein spannendes und zukunftsorientiertes Marktsegment für das Handwerk.
Es war im letzten Sommer. Wir waren zu Besuch bei der Handwerkskammer in Erfurt. Zum Abschied überreichte uns Kammerpräsident Stefan Lobenstein ein kleines Gebäck aus seiner Backstube. Das Petit Four war mit seltsamen Formen verziert. Doch um ehrlich zu sein: Es waren keine seltsamen Formen. Es waren die Grundformen Quadrat, Dreieck und Kreis, gehalten in den Grundfarben Blau, Rot und Gelb. Auf diese Formen und Farben setzte das Bauhaus (und ich meine nicht die gleichnamige Baumarktkette) Anfang des letzten Jahrhunderts gestalterisch auf. Sie wurden zum Symbol des Bauhauses. Deshalb war es kein Zufall, dass das Gebäck damit verziert wurde. Gerade in Erfurt. Das Jahr des Jubiläums „100 Jahre Bauhaus“ kündigte sich an.
Das Bauhaus, gegründet 1919 von Walter Gropius, war eine deutsche Institution, ein Sammelbecken für Kreative, eine Bewegung von Architekten, Künstlern und Designern (obwohl der Begriff Design damals noch gar nicht erfunden war). Und es war eine Idee! Die Idee, wie Architektur, Gestaltung und Kunst fortschrittlich und modern sein könnten. Am Menschen und an dessen Bedürfnissen orientiert. Weg vom groß- und kleinbürgerlichen Kitsch, weg von der manierierten, gekünstelten Ornamentik, ehrlich und authentisch, mit einem klaren Bekenntnis zum Material.
Kunst und Handwerk verbinden
Im Kern war der Bauhaus-Gründer Walter Gropius der Überzeugung, dass Kunst und Handwerk wieder zusammengeführt werden müssten: „Jeder Künstler müsse zunächst einmal Handwerker werden“, sagte Gropius. Das Material müsse verstanden und beherrscht werden. In den Arbeiten müsse das Material sichtbar werden. Wie ernst Gropius diese Zusammenführung meinte, zeigte sich in der Ausgestaltung des Studiums und der Lehre: Das Studium am Bauhaus war aufgeteilt in drei Abschnitte. Die Vorlehre bestand aus einem halben Jahr Formunterricht und Materialübungen. Danach erfolgte die Aufnahme in die Werklehre. Als Abschluss wurde ein Meisterbrief der Handwerkskammer und bei besonderer Begabung auch des Bauhauses vergeben. Einige der Schüler des Bauhauses arbeiteten nach ihrer Berufsausbildung als Meister am Bauhaus weiter.
So entstanden neuartige funktionale, lichte freundliche und menschenwürdige Gebäude, das Wohnen wurde revolutioniert. Es entstanden aber auch funktionale, einfache und doch ästhetische, schöne und elegante Möbelstücke wie etwa die weltbekannten Freischwinger von Marcel Breuer. Die Kunstschule Bauhaus stellt heute – so beschreibt es das Mainstream-Medium und die Schulbuchwissensplattform Wikipedia – „die einflussreichste Bildungsstätte im Bereich der Architektur, der Kunst und des Designs im 20. Jahrhundert dar.“
Das Material im Zentrum
Ich finde es nun immer schade, wenn ich einen Tischlermeister oder Fliesenleger frage, wo denn sein Holz oder seine Fliesen herkommen, und dann zur Antwort bekomme „vom Großhändler“. Könnte so eine Frage nicht von dem einen oder anderen Kunden kommen? Sagt uns nicht die Marktforschung, dass sich immer mehr Verbraucher, private und institutionelle Bauherren für die Herkunft dessen interessieren, was in ihren Einfamilienhäusern, Kindergärten und Firmensitzen verbaut wird oder was auf ihren Tellern landet?
Denn gerade im Bauhaus-Jahr frage ich mich immer häufiger, warum das Handwerk nicht stärker seine Expertenschaft für Material, Verarbeitung, Form, Oberfläche, Haptik, Olfaktorik oder Herkunft und Entstehung der Materialien in den Vordergrund stellt. Denn gerade dieses Wissen schafft einen Weg in den Premium-Markt. Und damit das deutlich wird, muss ich ein wenig ausholen: Wir sehen im Handwerk immer deutlicher zwei große und teilweise gegensätzliche Märkte – und das über alle Gewerke hinweg: einen Akkord-Markt und einen teilweise hoch spezialisierten Premium-Markt.
Der Akkord-Markt
Der Akkord-Markt ist durch zwei zentrale Faktoren gekennzeichnet:
- Erstens durch fest definierte Standards für Qualität. Will man im Markt bleiben, dürfen sie nicht unterschritten werden. Andererseits zahlt es sich aber nicht aus, sie wesentlich zu übertreffen.
- Und zweitens durch einen Preiswettbewerb. Wenn jeder die gleiche Qualität liefert, dann nehme ich den Billigsten. Ein Beispiel für einen typischen Auftrag in diesem Marktsegment: 300 Standardbäder für eine Wohnungsbaugesellschaft anschließen, jedes Bad gleich, innerhalb eines gewissen Zeitfensters. Oder: 20.000 Quadratmeter Estrich verlegen in einem Parkhaus. Aus Sicht des Betriebs, der in diesem Bereich anbietet, geht es dabei immer um hohe Stückzahlen und geringe Margen. Der größte Feind der Margen sind Störungen im Ablauf. Also muss der Betrieb eine hohe Prozess- und Ablaufexpertise haben. Einfach gesagt: Es darf nichts Unvorhergesehenes eintreten und es darf nichts schiefgehen.
Der Premium-Markt
Der Premium-Markt funktioniert dagegen ganz anders:
- Erstens ist er durch hohe, nicht selten individuell geprägte Qualitätsvorstellungen geprägt. Und zwar oft sowohl die des Kunden als auch die des Betriebs. Im Idealfall sind beide Qualitätsvorstelllungen deckungsgleich.
- Zweitens ist dieses Marktsegment durch eine hohe Preiselastizität des Kunden gekennzeichnet. Ein Beispiel: Wer einen individuellen Esstisch aus einem speziellen Holz, mit einer speziellen Verarbeitung, in einer speziellen Form haben möchte, dem ist oft gleichgültig, ob dieser Tisch am Ende 4.800 oder 5.200 Euro kostet. Aus Sicht des Betriebs, der im Premium-Segment anbietet, geht es dabei eher um geringe Stückzahlen und höhere Margen, da ja viel „auf Regie“ passiert und nicht selten auch eine konzeptionelle Leistung mit abgerechnet werden kann. Hier sind Störungen eher Teil des Geschäftsmodells, da sich der Handwerker als Problemlöser positionieren kann, da die Beseitigung der Störungen zu seiner Dienstleistung zählt. Ich kenne Fälle, da können Handwerksmeister über 3.000 Euro Tagessatz für ihre individuellen Leistungen abrechnen. Hätte ich einen Betrieb, so würde ich versuchen, in diesen Premium-Bereich hineinzukommen. Denn wie bereits gesagt: höhere Margen, weniger Stress und interessantere Aufträge.
Vom Bauhaus zum Markt
Doch wie kommt man dahin? Ein Weg ist die größere Materialkenntnis. Und zwar nicht nur bei den Eigenschaften, sondern auch bei der Herstellung, beim Abbau (zum Beispiel bei Fließen) oder bei der Erzeugung (etwa bei Lebenmitteln wie Brot oder Fleisch): Der Gründer der Berliner Metzgerei Kumpel&Keule , Hendrik Haase, brachte das einmal schön plakativ auf den Punkt: „Wir verkaufen Geschichten, das Fleisch gibt es kostenlos dazu.“
Also geht es um diese Fragen: Woher stammt es? Wie wurde es erzeugt? Woher kommen die Rohstoffe? Wie wurden sie angebaut oder produziert? Welchen Weg haben Rohstoffe und Produkt genommen? Wurde es seines Charakters und seiner Eigenschaften entsprechend verarbeitet? Kann man einen Sinn für Gestaltung erkennen? Wird diese dem Material gerecht? Passen Form und Farbe? Und nun sind wir wieder beim Bauhaus. Nun muss nicht jeder Handwerker ein Marcel Breuer werden oder ein Walter Gropius. Wer aber in den Premium- Markt möchte, der sollte sich dringend mit der Bauhaus- Idee beschäftigen. Und das Jubiläum ist dafür ein sehr guter Anlass.
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