Umweltschadenpolice Wenn die Natur zurückschlägt

Das neue Umweltschadengesetz verschärft für Betriebe die Haftungssituation. Die Natur bekommt damit ein Klagerecht – wie Unternehmer sich absichern können.

Wenn die Natur zurückschlägt

Noch mal gut gegangen. Auf einem stillgelegten Industriegelände in Düsseldorf stand im Zuge von Wohnungsneubauten der Abriss eines alten Ringofens an. Doch die Baggeraktion wurde erst mal abgeblasen. Man hatte dort nämlich kurz vorher kleine Untermieter entdeckt: 60 streng geschützte Zauneidechsen, die umgesiedelt wurden. „Mit Kosten im fünfstelligen Bereich“, sagt Jörg Sons von der Axa-Versicherung und dort zuständig für Umweltrisiken.

Das Umweltschadengesetz hat hier eine neue Situation geschaffen. Bisher muss-ten Unternehmen bereits zahlen, wenn sie Böden, Luft oder Gewässer verschmutzten und dadurch Menschen gesundheitlich zu Schaden kamen oder fremdes Eigentum in Mitleidenschaft gezogen wurde. Nach dem neuen Gesetz kann auch jeder Eingriff in den Lebensraum von Tieren und Pflanzen, die niemandem gehören, teuer werden.

Ein scharfes Schwert

„Anerkannten Naturschutzverbänden wie Bund oder Nabu gibt das Umweltschadengesetz das Recht, die zuständige Behörde zur Durchsetzung der Sanierungspflichten aufzufordern und notfalls auch gerichtlich dazu zu zwingen“, erklärt Sons. Schon ein bei den Umweltbehörden formlos eingereichter Antrag – auch von Nachbarn oder Spaziergängern – genügt, um die Prüfung möglicher Sanierungspflichten auszulösen. „Wir gehen davon aus, dass das neue Verbandsklagerecht ein scharfes Schwert ist“, sagt Kerstin Wilmsmeier von HDI-Gerling. Eine ganze Reihe von Gesellschaften hat ihren Firmenkunden über die neue Umweltschadenpolice zunächst automatisch und kostenlos vorläufige Deckung für Ökoschäden gegeben. Jetzt, nach einem Jahr, läuft diese allmählich aus. Man muss sich entscheiden. Bei HDI-Gerling hat sich in den letzten zwei Monaten die Zahl der bislang abgeschlossenen Umweltschadenpolicen im Handwerksbereich verdreifacht. Auch die Gothaer meldet erste vielversprechende Rückläufe, nachdem die endgültigen Konditionen zugeschickt wurden.

Das Gros der kleinen und mittelständischen Unternehmen hat sich jedoch bislang kaum mit dem Umweltschadensgesetz beschäftigt und ist nur unzureichend auf die damit verbundenen Haftungsrisiken vorbereitet, so das Fazit einer Studie des Psychonomics-Forschungsinstitutes im Auftrag von Axa. Jede zweite Firma hat demnach noch nie davon gehört, obwohl das Gesetz bereits im April 2007 verabschiedet wurde.

Es könnte jeden treffen

„Geht mich nichts an“, sei eine immer noch weitverbreitete Meinung, so HDI-Mitarbeiterin Wilmsmeier. „Aber es betrifft im Grunde jeden Betrieb“, sagt die Haftpflicht-Underwriterin und Umweltexpertin und verweist auf die spezielle Situation in Deutschland mit rund 4560 besonders geschützten Gebieten. Damit sind 13 Prozent der deutschen Landfläche geschützter Boden. „Die Vielzahl oft auch kleiner Schutzgebiete führt aber dazu, dass eigentlich fast jedes Unternehmen in der Nähe eines Schutzgebietes liegt“, so Dietrich Winter, Allianz-Experte für Umweltrisiken.

In Deutschland sind elf Prozent aller Industrie- und Gewerbestandorte weniger als hundert Meter und 67 Prozent aller Standorte weniger als 2,5 Kilometer vom nächsten Natura-2000-Gebiet entfernt – einem länderübergreifenden Schutzgebietssystem innerhalb der EU. Damit birgt nach Winters Worten jeder Brand die reale Gefahr, dass Rauch- und Rußwolken oder kontaminiertes Löschwasser in die Schutzgebiete eindringen und dort Pflanzen- und Tierwelt schädigen könnten. Dazu kommen die vielen Tier- und Pflanzenarten außerhalb der Natura-2000-Gebiete, die überall in Deutschland geschützt sind, wie Hamster, Laubfrosch, Hasel- und Birkenmaus, Fledermäuse, Turteltauben, viele Libellenarten und auch Falter. „Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass Biodiversität nur außerhalb der Städte in der unberührten Natur ein Thema ist“, erklärt Umweltexpertin Wilmsmeier. „Es gibt 180 geschützte Vogelarten, die sich auch in den Dachstühlen alter Industriegebäude aufhalten, dort nisten, von Fledermäusen ganz zu schweigen.“

Welche Konsequenzen das für Handwerksbetriebe haben kann, macht Axa-Umweltexperte Sons an folgendem Beispiel deutlich: Wenn etwa eine Zimmererfirma den Dachstuhl eines historischen Gebäudes restauriert und dabei eine geschützte Fledermausart vertreibt, müss-te der Betriebsinhaber dafür sorgen, dass entweder die geschützte Art wieder angesiedelt oder ein ökologischer Ausgleich geschaffen wird. Die Kosten einer solchen Umweltsanierung können mit fünf- bis sechsstelligen Beträgen insbesondere kleine und mittelständische Firmen in den finanziellen Ruin treiben. „Eine Umweltschadenversicherung ist kein Schmankerl, das man sich je nach- dem erlauben kann“, meint Umweltexpertin Wilmsmeier. „Sofern ein Unternehmen seine Bilanz über Versicherungen absichern will, gehört sie genauso dazu wie eine Feuerversicherung, die Betriebshaftpflicht- und die Umwelthaftpflichtpolice.“

Die neue Police deckt Schäden ab, die auf fremden Grundstücken verursacht werden. Mit Zusatzbausteinen können sich Betriebe auch gegen Schäden auf dem eigenen Grundstück und am Grundwasser versichern. Voraussetzung für den Risikoschutz ist eine Betriebsstörung. „Das muss nichts Spektakuläres sein. Dafür kann auch das unbemerkte Durchrosten einer ölführenden Leitung reichen“, so Axa-Experte Sons.

Nicht versichert sind Schäden, die bei Normalbetrieb – wie durch begrenzt erlaubte Luftverschmutzung – entstehen können und damit de facto auch offiziell geduldet werden. „Die Gesellschaft nimmt eine gewisse Schädigung der Natur durch andauernde Emissionen in Kauf“, erklärt Sons.

Unwägbarkeiten beim Thema Umweltschaden und seiner Absicherung sieht Versicherungsberater und Haftpflichtexperte Werner Fütterer aus Vienenburg: „Alle spekulieren, weil es noch keine Information gibt, wie weit das greift, welche Rechtsprechung sich da entwickelt und welche Forderungsmaßstäbe von den Verbänden aufgestellt werden.“

Versicherungsschutz: Was Sie wissen müssen

  • Was versichert ist: Im Vergleich zur bereits bestehenden Umwelthaftpflicht-Versicherung, die für Schäden aufkommt, die einer natürlichen oder juristischen Person oder deren Besitz zugefügt werden, tritt die Umweltschadenversicherung bei Schäden ein, die der Natur selbst – wie zum Beispiel bedrohte Arten – zugefügt werden.
  • Was versichert ist: Im Vergleich zur bereits bestehenden Umwelthaftpflicht-Versicherung, die für Schäden aufkommt, die einer natürlichen oder juristischen Person oder deren Besitz zugefügt werden, tritt die Umweltschadenversicherung bei Schäden ein, die der Natur selbst – wie zum Beispiel bedrohte Arten – zugefügt werden.
  • Zusatzbausteine: Über sie können Schäden auf dem eigenen Grundstück und am Grundwasser versichert werden. Der Risikoschutz wird teils als Extrapolice nach dem Baukastenprinzip angeboten, teils werden einzelne Bausteine auf die bestehende Betriebshaftpflichtpolice draufgesattelt.
  • Welche Kosten übernommen werden: Versichert sind Sanierungs-, Gutachter-, Rechtsanwalt- und Gerichtskosten.
  • Deckungssummen: Je nach Anbieter/Bedarf ab 200.000 Euro bis fünf Millionen Euro. Standardangebote liegen bei ein bis zwei Millionen Euro.
  • Prämie: Je nach Anbieter/Deckungssumme/Risiko ab 50 Euro für geringe Risiken bei einer Deckungssumme von 200000 Euro, ansonsten ab 180 bis 200 Euro für eine Dachdeckerfirma oder beispielsweise zehn bis 15Prozent Zuschlag auf die bestehende Haftpflichtversicherung. Die Prämie richtet sich einerseits nach der Art und Menge der vorhandenen Umweltrisiken wie Tankanlagen, Fasslager, Ölabscheider und andererseits nach der Nähe zu Natur- und Vogelschutzgebieten und Gewässern.
  • Anbieter: für die Police sind unter anderem Allianz, Axa, Gothaer, HDI-Gerling, Signal-Iduna, R+V, VHV.
Wichtig: Die Umweltschadenversicherung deckt die unmittelbaren Kosten für den Umweltschaden. Folgekosten wegen Bauverzögerungen fallen im Regelfall nicht darunter.

Tipp: Vor Vertragsabschluss auf jeden Fall eingehend beraten und dies auch dokumentieren lassen.

Die Voraussetzungen: Worauf Betriebe achten sollten

Erhöhte Risiken für Handwerksbetriebe bestehen:

  • bei Arbeiten auf fremden Grundstücken
  • je nach Branche beim Umgang mit Chemikalien
  • bei Arbeiten in/an Gebäuden und Grundstücken, in denen geschützte Tierarten leben wie Fledermäuse in Kirchtürmen, Bäche oder Teiche mit seltenen Fischen/Pflanzen in der Nähe
Versicherungsfall: Voraussetzung für den Versicherungsfall ist eine Betriebsstörung. Der Normalbetrieb ist nicht versichert.

Fallbeispiel: In einem Dachstuhl, in dem Fledermäuse nisten, werden Dacharbeiten durchgeführt. Dabei kommt es aufgrund eines vom beauftragten Handwerksbetrieb fahrlässig verursachten Funkenfluges zu einem Brand. Der Dachstuhl brennt teilweise ab. Infolge des Brandes sind Fledermäuse seither nicht mehr feststellbar. Versicherungsschutz besteht.