Was nach der Reform bleibt

Rentenanspruch | Künftig werden die Deutschen erst mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen. Kritikerbezeichnen die Maßnahme als Leistungskürzung. Was ist die gesetzliche Rente heute noch wert?

Was nach der Reform bleibt

Das Dilemma der Rentenkasse: Die Bürger werden älter, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer sinkt. Die Rentenkasse ist finanziell überfordert. Eine grundsätzliche Reform der gesetzlichen Renten wäre dringend notwendig, ist aber – zumindest in dieser Legislaturperiode – nicht in Sicht. Andere Probleme wie die Gesundheitsreform standen für die Große Koalition im Vordergrund.

Gerade mal 45,4 Prozent der 55- bis 64-Jährigen hierzulande hatten nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung Bund 2005 in deutschen Unternehmen einen Job. Da ist es nur wenig tröstlich, dass es zur Jahrtausendwende mit 37,5 Prozent noch schlechter aussah. Zumal sich der Anstieg etwa zur Hälfte aus dem Zuwachs geringfügig Beschäftigter in dieser Altersgruppe ergibt, wie die Deutsche Rentenversicherung offiziell bekannt gab. Auch der Vorstoß, bestimmte Branchen oder Berufsgruppen mit schwerer körperlicher Tätigkeit beim Rentenalter besser zu stellen, fand bisher nicht die notwendigen Mehrheiten.

Auf der anderen Seite gibt es bekanntlich den demografischen Wandel und seine Auswirkungen auf die Rentenkassen. Beim durchgerechneten Szenario ohne Reform ergibt sich für das Jahr 2030 demnach eine Beitragssatzsteigerung auf 40 Prozent. Mit allen bisherigen Reformschritten inklusive neuem Gesetz sind es nach offiziellen Schätzungen von Experten 21,9 Prozent. Das ist minimal unter der gesetzlich zulässigen Obergrenze von 22 Prozent.

Bekanntlich müssen gesetzlich Versicherte und Arbeitgeber schon seit Januar 2007 mit einem weiteren Beitragssatzanstieg um 0,4 Prozentpunkte auf 19,9 Prozent leben (siehe dazu „Eckpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung“, Seite 74). Zumindest bis 2009 soll sich daran auch nichts ändern. Vorausgesetzt, die Prognosen der Bundesregierung bestätigen sich auch in der Realität: Das heißt, die Löhne steigen jährlich um gut ein Prozent, die Beschäftigung wächst jährlich um 0,5 Prozent, und die Arbeitslosigkeit geht im Jahr um knapp zwei Prozent zurück.

Mit der Anhebung des regulären Rentenalters auf 67 Jahre hat sich Deutschland in die europäische Spitzengruppe katapultiert. In den meisten europäischen Ländern liegt die Regelaltersgrenze bei 65 Jahren oder darunter. Dänemark plant die Rückkehr zur Altersgrenze von 67 Jahren, nachdem diese vorübergehend auf 65 Jahre gesenkt worden war. Auch in Großbritannien denkt man über eine Anhebung nach, jedoch in anderen Zeiträumen. Der Fahrplan sieht dort bis 2046 die Umstellung auf das neue staatliche Rentenalter von 68 Jahren vor.

Hierzulande will man das schrittweise – beginnend ab 2012 – bis 2030 über die Bühne bringen. Bis dahin dürfte dann auch das Netto-Rentenniveau (vor Steuern) am vorausberechneten Tief- oder Endpunkt von dann 43 Prozent angelangt sein. Was im Zuge der ganzen Reformdebatte aus dem Blickfeld gerät: Auch an anderen gesetzlichen Renten beziehungsweise Grundsicherungen geht der Kelch nicht vorbei. Neue Altersgrenzen etwa greifen bei Schwerbehinderten, die noch in den vergangenen Jahren mit 63 Jahren abschlagfrei in Rente gehen durften, künftig aber erst mit 65 Jahren den Ruhestand antreten können (siehe Tabelle unten).

Kürzungen bei Extras

Bei Erwerbsminderungsrenten verschiebt sich der abschlagfreie Rentenbeginn ebenfalls von 63 auf 65 Jahre. Auch bei Hinterbliebenenrenten sieht der Gesetzentwurf Abstriche vor. Die „große Witwen- und Witwerrente“ kann man künftig erst ab 47 Jahren beziehen, 2006 noch mit 45 Jahren. Zwar können langjährig Versicherte auch weiterhin mit 63 Jahren in den Vorruhestand gehen, zahlen dafür aber einen höheren Preis: nicht mehr 7,2 Prozent Abschläge lebenslang, sondern nunmehr doppelt so viel. So soll der Trend zur Frühverrentung weiter gestoppt werden.

Bei anderen vorgezogenen Altersrenten ist es praktisch nur noch eine Frage der Zeit, dass alte Übergangsregelungen auslaufen. Hier soll daher alles beim Alten bleiben. Das betrifft die Altersrente für Frauen sowie die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und nach Altersteilzeit, die nur noch für alle Geburtsjahrgänge vor 1952 greifen. Sie können weiter abschlagfrei mit 65 in Rente gehen, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen. Darüber hinaus ist bei Altersteilzeitverträgen, die bis zum 31. Dezember 2006 abgeschlossen wurden, für die Geburtsjahrgänge bis 1954 ein Vertrauensschutz vorgesehen. Für diese Versicherten bestand nämlich die Möglichkeit, jede Altersrente nach dem jetzt noch geltenden Recht in Anspruch zu nehmen.

Stärkung von Langzeitzahlern

Aber auch hier gilt:keine Regel ohne Ausnahme. Das trifft ebenso auf das neue gesetzliche Rentenalter von 67 Jahren zu. Versicherte mit 45 Beitragsjahren und weitgehend durchgängiger Versicherungsbiografie sollen nämlich weiterhin regulär mit 65 Jahren ohne finanzielle Einbußen in den Ruhestand gehen können (45er-Regelung). Die neue geplante „Rente für besonders langjährig Versicherte“ hat im Vorfeld zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen. Der Tenor: Die Umverteilung von „Schwächeren zu Stärkeren“ sei, gerade was die gesetzlichen Renten angeht, ungerecht.

Nach den Worten von Alexander Gunkel, Arbeitgebervertreter im Vorstand der Rentenversicherung, geht diese neue Rentenart „zu Lasten von Frauen, Erwerbsgeminderten, Arbeitslosen sowie Versicherten mit lückenhaften Versicherungsverläufen“. Begünstigt würden dagegen zumeist Männer, die kaum arbeitslos waren und keine Tätigkeit ausgeübt haben, die zu vorzeitiger Erwerbsminderung führte.

Ausgleich gefordert

Die Arbeitgeberseite hält nach seinen Worten diese Sonderregelung deshalb auch für sozialpolitisch unvertretbar. Die Gewerkschaftsvertretung in der Rentenversicherung sieht diese Effekte zwar auch, verbindet dies aber mit der Forderung nach einem höheren steuerlichen Ausgleich als bisher für Unterbrechungen im Arbeitsleben durch Langzeitarbeitslosigkeit, Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen sowie bei prekären Jobs.

Nach den Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund konnten von den Neurentnern 2004 gut 27 Prozent der Männer 45 Versicherungsjahre vorweisen. Bei den Frauen waren es gerade mal vier Prozent. Auch wenn es 2007 für die insgesamt 20 Millionen Rentner im Land eine Mini-Rentenerhöhung gab, sind die Prognosen nach Berechnungen von Experten für die kommenden Jahre zurückhaltend. Erst ab 2009 könnten deutsche Rentner wieder in den Genuß einer minimalen Steigerung ihrer Ruhestandsbezüge kommen – je nachdem, wie sich der Arbeitsmarkt und die Arbeitslosenquote entwickeln.

Nullrunden ausgleichen

Und selbst wenn die Lohnentwicklung im Weiteren höhere Raten zulassen sollte, fallen diese nur halb so hoch aus wie eigentlich möglich. Dann nämlich werden ausgefallene Minusrunden der Vorjahre nachgeholt und mit dem Plus verrechnet. Denn normalerweise müssten die Renten bei konsequenter Anwendung der aktuellen Rentenformel gekürzt werden. Eine Schutzklausel verhindert das. Voraussichtlich zwischen 2011 und 2014 soll der Rückstand aber abgearbeitet werden.

Auch diese Nachholklausel ist im neuen Gesetz festgeschrieben, sie lautet: „Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung“. Oder kürzer ausgedrückt: das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz.

„Schon der jetzige Rentenanpassungsmechanismus ist der Öffentlichkeit kaum noch zu vermitteln, geschweige denn plausibel zu erklären. Bei den künftigen Anpassungsregeln wird das überhaupt nicht mehr möglich sein“, räumt selbst Arbeitgebervertreter Alexander Gunkel ein.

Wer als Selbständiger früher in den Ruhestand oder in Teilrente möchte, sollte sich vorher genau beraten lassen, welche Spielregeln dabei beispielsweise für mögliche Nebenjobs gelten (siehe Info-Kasten links). Sonst könnte er einen Reinfall erleben und muss dann unter Umständen mit Nachforderungen von mehreren tausend Euro rechnen. Denn Nichtwissen schützt in diesem Fall nicht vor Strafe.

Carla Fritz

cornelia.hefer@handwerk-magazin.de