Wachstum: So klappt die Expansion

Die Konjunktur im Handwerk boomt und viele Unternehmen freuen sich über volle Auftragsbücher. Doch die Folgen des Aufschwungs können durchaus tückisch sein – jetzt zählt die richtige Strategie.

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    © Illustration: Thomas Di Paolo
    Im Handwerk geht es bergauf: Die Frühjahrsbefragung der Creditreform zeigt: Mehr als 36 Prozent der Befragten erwarten steigende Umsätze.
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    Marco Patané fehlten die Mitarbeiter Marco Patané eröffnete 2013 seine vierte Bäckereifiliale in Rheinfelden, Süd-Baden. 350 000 Euro steckte der selbständige Bäckermeister in Umbau und modernere Ausstattung. Mit dem neuen Standort wollte er einem nahegelegenen Konkurrenten Druck machen und selbst neue Kundschaft gewinnen. Das ist ihm gelungen: Etwa 60 Prozent mehr Kunden hat die zusätzliche Filiale Patané ein­gebracht – und zusätzlich ein Umsatzplus von ungefähr 50 Prozent.
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    Marco Patané fehlten die Mitarbeiter Marco Patané eröffnete 2013 seine vierte Bäckereifiliale in Rheinfelden, Süd-Baden. 350 000 Euro steckte der selbständige Bäckermeister in Umbau und modernere Ausstattung. Mit dem neuen Standort wollte er einem nahegelegenen Konkurrenten Druck machen und selbst neue Kundschaft gewinnen. Das ist ihm gelungen: Etwa 60 Prozent mehr Kunden hat die zusätzliche Filiale Patané ein­gebracht – und zusätzlich ein Umsatzplus von ungefähr 50 Prozent.
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    Frank Brückner holte beim Service auf In den vergangenen zehn Jahren ist das Unternehmen Heinz ­Brückner für Sanitär- und Heizungstechnik in Großheirath, Oberfranken, stetig expandiert. Seit 2009 zieht das Wachstum durch Installationen in Industrie­gebäuden noch weiter an. So verdoppelte Brückner in dieser Zeit den Umsatz und stellte 20 neue Mitarbeiter ein. Einige davon für die Kundendienstabteilung.
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    Rolf Rombach optimiert die Organisation Die Zimmerei Rombach im badischen Ober­hamersbach bietet ­Sanierungen, Um- und Neubau sowie maßgefertigte Holzbauteile an. Da dies in der nahen Vergangenheit zu einem hart umkämpften Markt wurde, gründete der ­Unternehmer Rolf Rombach 2009 zusätzlich das Unternehmen NUR-HOLZ, das Wand-, Decken-, und Dachelemente für reine Holzhäuser produziert. Dies steigerte den Jahresumsatz ­innerhalb von sechs ­Jahren von etwa 3,5 Millionen Euro auf circa 8,5 Millionen Euro.

Marco Patané backt keine kleinen Brötchen: Satte 30 Prozent legte der Umsatz seiner Holzofenbäckerei 2013 zu. In den Vorjahren kam er nur auf knappe fünf Prozent. Sein Rezept: ein neues Sortiment, modernere Ausstattung, weniger kleine Lieferkunden. Und dieses Jahr geht es dank einer neuen Filiale noch weiter. Der Bäckermeister in Rheinfelden erwartet mehr als 15 Prozent Gewinn. „Das Ergebnis beflügelt einen richtig. Doch der Weg dorthin war hart!“ Immer wieder musste Marco Patané neue Schwierigkeiten bewältigen und weitere Engpässe überwinden.

So geht es momentan vielen Unternehmern. Seit drei Jahren zieht die Konjunktur im Handwerk an. In diesem Jahr dürften die Handwerksumsätze um insgesamt zwei Prozent steigen, schätzen der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die Auftragslage boomt: Im  aktuellem ZDH-Konjunkturreport melden 76 Prozent der Befragten unveränderte oder gestiegene Auftragsbestände. Damit übertrifft die Entwicklung nochmals das Vorjahr. Das treibt auch die Nachfrage nach Fördermitteln an. Bei der L-Bank in Baden-Württemberg stieg das Vergabevolumen im Schwerpunkt Wirtschaftsförderung seit 2013 etwa um elf Prozent auf 2,1 Milliarden Euro. Ein Trend, der sich auch in diesem Jahr fortsetzen wird: So rechnet die KfW mit einem Zuwachs von fünf Prozent im Bereich der Unternehmensinvestitionen.

Das bringt viele Handwerker auf Wachstumskurs. Doch diese gute Nachricht hat auch eine Schattenseite. Denn nicht alle Unternehmer können mit der Expansion und deren Folgen umgehen. Manche Betriebe scheitern da-ran. „Leider ist Wachstum diskontinuierlich und nicht immer berechenbar“, sagt Thomas Hardwig. Drei Jahre lang begleitete der Soziologe das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt „Wachstum lernen – lernend wachsen“. Darin arbeitete er die Wachstumshemmnisse bei kleinen und mittleren Unternehmen heraus.

Hardwigs Erfahrung: Die meisten Betriebe gelangen immer wieder an Wachstumsschwellen. Bedeutet: Mit neuen Aufträgen steigt das Arbeitspensum und Kapazitäten werden knapp; die bestehenden Mitarbeiter bewältigen die Arbeit nicht mehr oder können den gewohnten Service nicht mehr bieten. Auch Maschinen, Transportmittel und Werkzeuge sind irgendwann ausgelastet. Zusätzlich steigt in den Betrieben der Platzbedarf. Etwa um neue Geräte aufzustellen, Materialien zu lagern.

Wenn sich Unternehmer an einer solchen Schwelle befinden, brauchen sie Zeit und Geld, um sie zu überwinden. Reichen die Finanzen dafür nicht aus, bremst das die Entwicklung zunächst einmal wieder ab. Unternehmer brauchen eine passende Strategie, meint Hardwig, aber zusätzlich müssen sie auch flexibel und auf alles gefasst sein. Zu den größten Herausforderungen zählen mangelnde Kapazitäten wie Platz und Personal. Zusätzlich muss es gelingen, Qualität beziehungsweise Service hoch zu halten und den Betrieb zu organisieren.

Räumliche Expansion

In der Wachstumsphase berücksichtigen viele Betriebe nicht, dass sie bald mehr Platz brauchen.

Helga Löws Zulieferbetrieb für Dreh- und Frästeile LOEW Präzisionsteile wächst seit vier Jahren besonders stark. „Inzwischen sind wir fast am Ende unserer Kapazitäten – die Halle ist zu klein“, sagt Löw. Und das, obwohl sie erst 2007 eine neue Produktionsstätte gebaut hat. Doch der Bedarf an zusätzlichen Maschinen und Modernisierung ist in ihrer Branche groß. Im Durchschnitt investiert der Betrieb dafür jährlich etwa 600 000 Euro. Die benötigten Mittel generiert die Geschäftsführerin aus Förderkrediten, Fördermitteln, Mietkauf, Leasing und zu einem großen Teil aus Eigenkapital.

Doch fehlender Platz erschwert die weitere Modernisierung und damit zusätzliches Wachstum. Anfang 2014 wollte Löw den Messraum auf den neuesten technischen Stand bringen und dafür günstige Fördermittel in Verbindung mit Mietkauf durch die Hausbank beantragen. Voraussetzung war ein Investitionsvolumen von mindestens 700 000 Euro innerhalb von zwölf Monaten. Eigentlich kein Problem für das Unternehmen. Da der Messraum die Mittel aber nicht ausschöpfte, plante sie, bei dieser Gelegenheit gleich eine weitere Maschine anzuschaffen. Doch dafür fehlte der Platz in der Halle. Und für den Bau einer neuen Produktionsstätte reichten die Mittel dann doch nicht. Helga Löw konnte schließlich die günstige Förderung nicht nutzen und finanzierte über Mietkauf und Eigenkapital.

Unternehmen, die wachsen möchten, müssen sich darauf einstellen, dass viele Investitionen weitere Nachfolgeinvestitionen bedingen. Deshalb sollten Finanzierungen zu Ende gedacht und ihre Folgen durchgespielt werden. Und gerade hier wird die Raum- und Platzproblematik oft unterschätzt. „Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen ist die Transparenz des Zahlenwerks“, sagt Prof. Dr. Manfred Schmitz-Kaiser, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der L-Bank. Er empfiehlt, offen mit der Hausbank zu kommunizieren. Dieser Kontakt sollte auch in Zeiten gepflegt werden, in denen keine Finanzierung nötig ist. Dafür ist es trotz des großen Aufwands sinnvoll, die Unternehmenszahlen regelmäßig aufzubereiten. „Wer die Kommunikation zur Bank konstant auf einem hohen Niveau hält, schafft dadurch ein enormes Vertrauen. Und das bringt später große Vorteile.“

Personalmanagement

Wenn die Auftragslage wächst, steigt damit meist auch die Nachfrage nach Mitarbeitern an.

Häufig entwickeln Betriebe kein strategisches Wachstum, sondern nehmen wahllos neue Kundenaufträge an. „Irgendwann gehen sie dann auf dem Zahnfleisch und merken, dass sie etwa mehr Mitarbeiter brauchen“, erklärt Claudia Schulte von der Handwerkskammer Düsseldorf. Die Abteilungsleiterin Unternehmensberatung unterstützt seit Jahren Handwerksbetriebe mit einer „Wachstumswerkstatt“. Ihre Erfahrung ist: Die meisten Handwerker kämpfen früher oder später mit Personalmangel.

Dafür gebe es drei Gründe. Erstens: Unternehmen geraten an einen Punkt, an dem sie die Arbeit mit dem aktuellen Team nicht mehr bewältigen, sich eine zusätzliche Kraft aber nicht leisten können. Hier gilt dasselbe wie für Betriebe mit Raumnot: Eine langfristige Planung und regelmäßiger Kontakt zur Bank helfen. Zweitens: Betriebe finden kein oder nicht das passende Personal. Und drittens: Sie verlieren Angestellte, weil die Arbeit zu viel wird.

Auf Personalschwierigkeiten stieß auch Bäckermeister Marco Patané aus dem südbadischen Rheinfelden. 2013 eröffnete er seine vierte Filiale, um zusätzliche Kundschaft zu gewinnen. „Wir mussten ganz schön kämpfen, um die zusätzlichen Backwaren herzustellen“, erinnert sich der Unternehmer. Für die Backstube hat er drei weitere Stellen besetzt. Doch schon nach der ersten Woche sprangen die neuen Kollegen wieder ab. Sie waren nicht auf die anstehenden Aufgaben eingestellt, die Arbeit war ihnen zu anstrengend.

Patané und sein Team glichen die fehlenden Kapazitäten durch längere Arbeitszeiten zuerst einmal selbst aus. „Ich habe mich gefühlt, als würde ich einen komplett neuen Betrieb eröffnen“, erinnert sich der Unternehmer heute. Dies war eine riskante Phase für die gesamte Bäckerei. Schließlich hätte die zusätzliche Arbeit auch dem Stammpersonal leicht zu viel werden können.

Doch Patané hatte Glück! Und „ein tolles Team“! Passende Angestellte bleiben meist lange treu und unterstützen, wo sie können. Patané half aber auch das familiäre Arbeitsklima und eine angemessene Bezahlung durch die Krise. Und damit konnte er auch die drei zusätzlichen Angestellten halten, die er im zweiten Anlauf einstellte.

„Unternehmer sollten bei der Wachstumsplanung auf ihre Angestellten eingehen“, rät Christian Fuchs, Handwerkscoach und Mitgründer der PRIMUS GbR für Businesscoaching in Hamburg. Der Berater unterstützt mittelständische Unternehmen und Handwerker bei der Expansion. Eine seiner Aufgaben ist, Chefs auf kommende Personalschwierigkeiten vorzubereiten. Denn: „Veränderungen können Mitarbeiter verunsichern.“ Manche befürchten ein erhöhtes Arbeitspensum, andere scheuen vor neuen, unbekannten Aufgaben.

Geschäftsführer sollten sich aus diesem Grund bereits im Vorfeld Gedanken machen, wie der Wachstumsprozess ablaufen soll und welche Auswirkungen er auf die Arbeit im Betrieb haben wird. Auf diese Weise können sie einerseits bei neuen Mitarbeitern die richtigen Erwartungen wecken und passendes Personal finden. Zum anderen hilft es, Mitarbeiter vorzubereiten und ihnen die Ängste zu nehmen. Zusätzlich muss es dem Unternehmen gelingen, auch trotz Expansionsanstrengungen einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten.

Qualität und Service

Wenn wenig Mitarbeiter viel Arbeit bewältigen müssen, werden Fehler immer wahrscheinlicher.

In Wachstumsphasen bleibe es meist nicht aus, dass Qualität und Service eine Zeit lang leiden, weiß Handwerksberaterin Claudia Schulte. Der Grund ist, dass sich Betriebe den steigenden Anforderungen nicht schnell genug anpassen können. Wenn mehr Arbeit bei gleichbleibender Mitarbeiterzahl und Maschinenzahl anfällt, muss jeder schneller und mehr arbeiten. Damit werden Fehler immer wahrscheinlicher.

Da Marco Patanés Personalressourcen zu Beginn der Erweiterung knapp waren, ließ er einige Produkte zuliefern und ging bewusst Kompromisse in der Qualität ein. Tatsächlich sank während dieser Zeit die Abnahme dieser Backwaren. Erst nachdem der Bäcker mit zusätzlichem Personal wieder das komplette Sortiment selbst fertigte, stieg sie wieder an. Statt des Zukaufs hätte Patané Filialen an manchen Tagen schließen können. Das hätte aber den Service reduziert. Nicht immer eine gute Idee.

„Für uns ist der Service extrem wichtig“, betont Frank Brückner, Obermeister der SHK-Innung Coburg und Geschäftsführer des SHK-Unternehmens Heinz Brückner. „Unser Kundendienst bringt uns unsere Kundschaft.“ Der war vor einigen Jahren noch klein: Ein Monteur fuhr zu den Kunden, die Termine organisierte das Sekretariat. Doch mit zunehmenden Aufträgen häuften sich bald die Termine, die verschoben werden mussten. Und die Beschwerden. Brückner stellte zusätzliche Angestellte im Kundendienst ein. Inzwischen beschäftigt er sechs fahrende Monteure, die je eine Woche Bereitschaft haben. Auch am Wochenende. Die Termine koordinieren zwei Mitarbeiterinnen. So kann der Unternehmer unerwartete Spitzen abfangen und die Servicequalität auf hohem Niveau halten.

Durch verschobene Termine oder Fristen leidet die Zufriedenheit der Kunden. Ein Teufelskreis: Gerade in Wachstumsphasen mit Arbeitsspitzen, Überstunden und Krisenmanagement fehlt die Zeit für den optimalen Dialog mit Kunden. Obwohl er jetzt besonders notwendig wäre. Claudia Schultes Tipp: Offen und klar kommunizieren. Wer Termine nicht einhält, muss früh Bescheid geben und Ausweichtermine einhalten. Auch sollten Unternehmer überlegen, welcher Schaden dem Kunden entsteht, und ihn gegebenenfalls ausgleichen. Wer das Angebot zeitweise einschränkt, kann auf künftige Vorteile hinweisen: eine verbesserte Rezeptur für noch gesündere Brötchen oder weitere Sitzplätze im Ladengeschäft. Zeitangaben zeigen, worauf sich Kunden einstellen müssen.

„Erfahrungsgemäß wachsen Handwerker mit neuen Aufgaben und bieten nach der gelungenen Expansion oft eine höhere Qualität und besseren Service an“, tröstet Claudia Schulte. Neue Aufträge bringen unbekannte Kundenwünsche mit sich. Sind diese bewältigt, fließen die Erfahrungen dann oft in neue Produkte oder zusätzlichen Service ein.