Verführerische Köstlichkeiten

Pralinen | Sie schmeicheln dem Gaumen und erfreuen das Auge: Exquisite Pralinés und edle Trüffel sind ein delikates Weihnachtsgeschenk, das man gerne zu Zweit genießt.

Verführerische Köstlichkeiten

Die Szene ist oscar-prämiert: Das Leben sei wie eine Schachtel Pralinen, „man weiß nie, was man bekommt“, sagt die Schauspielerin Sally Field ihrem Filmsohn Tom Hanks im berühmten Hollywood-Streifen „Forrest Gump”. Die Mutter des kommenden Nationalhelden liefert so das Leitmotiv für zweieinhalb Stunden großes Kino – und ehrt zugleich die Kunst der delikaten Schokozubereitung. Dabei hinkt ihr Vergleich eigentlich: Geht der Deckel einer Pralinenschachtel auf, verspricht jede der dort schimmernden Preziosen nicht nur eine Überraschung, sondern auch – im Gegensatz zu manchen Irrungen und Wirrungen des Lebens – einen Hochgenuss. Und wenn die unterschiedlichen Innenleben mit ihren feinen Geschmacksnuancen sich in der Mundhöhle ausbreiten, wächst die Hochachtung für die Produzenten der Köstlichkeiten weiter. Unter makelloser Schokohaut verbergen sich exquisite Zutaten, die dem Gaumen schmeicheln und eine enorme Suchtgefahr bergen.

Daher erfordert die Herstellung höchste Präzision. Das gilt für von Hand gefertigte Delikatessen aus einer Confiserie ebenso wie für Köstlichkeiten, die industrielle Anbieter in größeren Stückzahlen fertigen. In jedem Fall müssen Hohlkörper gefüllt, Kerne ummantelt, Platten geschichtet, mehrere dieser Vorgänge kombiniert werden. Wie das funktioniert, behalten die meisten Hersteller für sich. „Keiner gibt gerne Informationen über seine Wettbewerbsvorteile preis“, erklärt Karsten Keunecke diese Verschwiegenheit. Der Geschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Süßwarenindustrie kennt die Sorgen der Branche. Trotz des steigenden Absatzes ist der Druck groß. „Durch die Konkurrenz müssen die Rezeptkreationen in immer kürzeren Abständen überarbeitet werden.“

Auch bei Pralinen gibt es Trends. Edle Tropfen in Nuss gelten vielen Genießern heute nicht mehr als Spitzenprodukt, sondern eher als Verlegenheitsgeschenk. Gefragt sind derzeit eher Sonderformen des Trüffels. Die „schokoladeartige Zubereitung von besonderer Güte“, wie sie der Gesetzgeber nennt, muss Zutaten gehobener Qualität enthalten und nur Fett von Butter oder Kakao. Aber nicht die Abwesenheit von Kokosplattenfett allein noch die Liste der edlen Zutaten macht den Trüffel so faszinierend. „Man muss sie durch Dosierung und verschiedene Verarbeitung in eine Harmonie bringen, die jede Praline zum Sinnerlebnis macht“, versucht Walter Simon eine Erklärung. Der Passauer Confiseur hat sich in seiner Backstube auf feinste Trüffel verlegt und achtet scharf auf die Qualität seiner Grundprodukte.

Komplizierte Verarbeitung

Wichtig ist der Mahlgrad des Pulvers. Von ihm hängt ab, als wie weich man die Schokolade empfindet. Der zarte Schmelz lässt sich mittlerweile in wissenschaftlich erforschte Kategorien einteilen: Partikel mit der Masse von unter einem tausendstel Millimeter empfindet die Zunge als weich, bei über 1,5 Millimeter wird es kratzig. Eine leicht bröselige Konsistenz haftete aber selbst der am feinsten gemahlenen Masse, bis Rodolphe Lindt die Conchiermaschine erfand. 1879 füllte der findige Schweizer Schokolade in ein Rührwerk und ließ es 72 Stunden laufen. Durch die mechanische Erwärmung verdampften einige unerwünschte Bitterstoffe und ein klitzekleiner Anteil Wasser, der den enthaltenen Zucker immer wieder zu unschönen Kristallen ausfallen ließ. Die zarteste Versuchung war endgültig erfunden.

Noch heute wird in einer Confiserie wie der von Simon Handarbeit geleistet. Vor allem sensible Mischvorgänge sind entscheidend. Exakt bemessene Zutaten müssen in langen Phasen gerührt werden und dann wieder abstehen. „Selbst wenn man nur die Schokoladensorte wechselt, kann es sein, dass die Masse nichts wird“, weiß der Handwerker. Entscheidend ist allein die Konsistenz.

Bei solchen technischen Anforderungen ist es kein Wunder, dass es ein weiter Weg vom Xocolatl zum Trüffel war. Das Aztekenwort bedeutet auf Deutsch „bitteres Wasser“ – und da es den Präkolumbianern an anderen Emulgatoren mangelte, traf es den Nagel wohl auf den Kopf. Selbst namhafte europäische Schokoladenfans wie Casanova, Madame Pompadour und Johann Wolfgang von Goethe, die einhellig von der aphrodisischen Wirkung schwärmten, tranken ihren Kakao bestenfalls in Milch gelöst.

Als Erfinder der Praline gilt der Koch von César de Choiseul, französischer Feldmarschall und Markgraf von Plessis-Praslin. Seine Abstammung gab der ersten Mandel-Karamell-Mischung ihren Namen. Kakao, Nougat, Pistazien & Co. gesellten sich später dazu, denn der Siegeszug der süßen Kleinode war nicht aufzuhalten. Auch nicht, als später die Kakaopreise aufgrund der rasanten Nachfrage so in die Höhe schnellten, dass man eine Schachtel Pralinen nur noch in Adelskreisen als Aufmerksamkeit erwarten durfte.

Heute haben fast alle Länder ihre eigenen Spezialitäten. In Frankreich gibt es Pralinés mit Nougat im Süden und mit Calvados aus der Normandie. Leckermäuler auf Reisen kommen in Salzburg seit 1890 an einer Mozartkugel nicht vorbei. In Belgien dürfen präzise nachgegossene Seepferdchen und Venusmuscheln aus weißer und dunkler Schokolade in der Auslage einer Confiserie nicht fehlen. Und wer in der DDR aufgewachsen ist, erinnert sich wehmütig an Halloren-Kugeln aus der bis heute ältesten Schokoladenfabrik Deutschlands.

Lokale Spezialitäten

Überhaupt macht den Deutschen in Sachen Schokolade so schnell keiner etwas vor. Im Gegensatz zu genussfeindlichen Calvinisten in England und den katholischen Ideologen in Spanien, die ihren Schäfchen die Schokolade als Teufelwerk austreiben wollten, waren deutsche Herrscher gelassener. Friederich der Große schenkte die süße Versuchung sogar seinen Offizieren.

Von den 3,7 Millionen Tonnen der weltweiten Jahresproduktion an Schokolade zergehen 768 Millionen Tonnen auf deutschen Zungen, davon 1,4 Kilo pro Kopf und Jahr in Form von Pralinen. Der Renner sind Trüffel. Den Confiseuren gehen nie die Ideen aus, klassische Rezepturen wie die Verarbeitung von Nougat und Kirschwasser wechseln sich ab mit modernen Schöpfungen. Die Geschmacksrichtungen Ananas-Chili, grüner Tee mit Marzipan oder Ingwer-Sahne sind nur einige der gewagten Kreationen, die mit feiner Kuvertüre überzogen werden. „Es gibt noch viele Gewürze und Brände, die es verdienen, in einem Trüffel verewigt zu werden. Das macht die Sache so spannend“, schwärmt Simon. Mutter Gump käme das sicher bekannt vor. Man weiß nie, was noch kommt.

Matthias Stelzig

frank.wiercks@handwerk-magazin.de