Steuermodell vor dem Aus

Wohngeschäftshaus | Ein enormer Liquiditäts- und Zinsvorteil für Handwerker mit Betrieb und Wohnung unter ihrem eigenen Dach fällt Anfang 2011 weg. Wer jetzt noch handeln sollte.

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    Udo und Birgit Herrmann aus Bürgstadt haben mit dem Wohngeschäftshausmodell zunächst 19000 Euro Umsatzsteuer gespart.
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    „Selbst für Fotovoltaikanlagen können Unternehmer das Modell nutzen.“Klaus Altendorf, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei DHPG, Bornheim.
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    Tendenz steigend: Als wichtigste Einnahmequelle des Bundes sprudelt die Umsatzsteuer. Ein guter Teil stammt aus Rechnungen im Bau und Ausbau.
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    Werkstatt: Auch wenn seine Mitarbeiter noch nicht da sind, kann Udo Herrmann in seine Halle gehen und sich um laufende Aufträge kümmern.
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    „Das Modell funktioniert nur bei Personen-betrieben, also nicht bei der GmbH.“Oliver Zugmaier aus München, Fachanwalt in der Kanzlei Küffner, Maunz, Langer, Zugmaier.
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    Privatwohnung: Die persönliche Ruhezone der Herrmanns ist nur wenige Schritte vom Betrieb entfernt.

Steuermodell vor dem Aus

Bei Schreinermeister Udo Herrmann im bayerischen Bürgstadt sind Werkstatt, Ausstellungsraum und Privatwohnung in einem Gebäudekomplex. „So haben wir guten Kontakt zu unseren Kindern“, freut sich vor allem seine Ehefrau Birgit Herrmann, die im Büro mitarbeitet. Individuelle Terminvereinbarungen mit Kunden sind einfacher. Sie können auch abends oder am Wochenende vorbeikommen und sich kompetent beraten lassen. Udo Herrmann entwickelt dabei mit seinen acht Mitarbeitern komplette Raumkonzepte und setzt sie in Holzböden, Einbaumöbeln sowie Treppen um. Eine Million Euro Umsatz im Jahr erwirtschaftet der Handwerksbetrieb ganz überwiegend mit Privatkunden.

Die Expansion der Firma machte den Bau des jetzigen Wohngeschäftshauses erforderlich. Auf das Modell mit der Umsatzsteuer brachte den Unternehmer sein Steuerberater Anton Klein von der Kanzlei Klein, Schneider und Kollegen in Großheubach. „Dass wir die gesamte Umsatzsteuer des über 700000 Euro teuren Gebäudes von fast 99000 Euro trotz der teilweisen Privatnutzung geltend machen konnten, war der besondere Clou dabei“, freut sich Herrmann. „Zwar mussten wir den Vorsteueranteil von gut 19000 Euro für die Privaträume über zehn Jahre verteilt ans Finanzamt zurückzahlen“, ergänzt Herrmann. „Unterm Strich blieb jedoch der Liquiditäts- und Zinsvorteil für diesen Betrag.“

Viele Handwerker betroffen

Wie Udo Herrmann, so verbinden viele Handwerker Betrieb und Privatwohnung in einem Gebäude und nutzen den Steuervorteil. Doch in vier Monaten schon steht dieses Modell vor dem Aus. Verpackt ins Jahressteuergesetz 2010, wird es gestrichen. Nur wer jetzt noch rasch handelt, also kauft, baut oder ausbaut, kann profitieren.

Eingeführt wurde das Modell bereits 2003 durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Wolfgang Seeling, Inhaber eines Gartenbaubetriebs in Feldafing, machte als einer der ersten Unternehmer den vollen Vorsteuerabzug für sein Wohngeschäftshaus geltend und bekam bei den Europarichtern Recht (Az. C-269/00).

Jetzt müssen Deutschland und alle anderen EU-Staaten das Seeling-Modell abschaffen. „Die Steuerausfälle wurden den Mitgliedsländern einfach zu hoch“, weiß Oliver Zugmaier, Fachanwalt für Steuerrecht in der Münchener Kanzlei Küffner, Maunz, Langer, Zugmaier. Die EU hat die Mehrwertsteuerrichtlinie Ende 2009 geändert und die Mitgliedsländer dazu verpflichtet, die Trennung von Betrieb und Privatbereich bis Anfang 2011 in nationales Recht umzusetzen. Genau das geschieht jetzt mit dem Jahressteuergesetz 2010.

Zehn Prozent Betriebsanteil reichen

„Da das Modell gerade auch für Handwerksunternehmer hochinteressant ist, sollte jeder, der es will und kann noch einsetzen“, rät Zugmaier. „Dafür genügt, dass der Betrieb mindestens zehn Prozent der Gesamtfläche nutzt.“ In Betracht kommen vor allem kombinierte Gebäude wie bei Schreinermeister Udo Herrmann. Von seinen 930 Quadratmeter Gesamtfläche entfallen 600 auf die Werkstatthalle, 150 auf Büro-, Ausstellungs- und Sozialräume der Mitarbeiter und 180 auf den Wohntrakt der Familie.

„Aber auch etwa bei Fotovoltaikanlagen zur Stromerzeugung für fremde Abnehmer ist das Seeling-Modell interessant“, ergänzt Klaus Altendorf, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei DHPG in Bornheim. Zwar hat hier der Bundesfinanzhof (Az. XI R 29/09) noch das letzte Wort und prüft in einem Musterverfahren, ob Seeling hie-rauf anwendbar ist. „Für Betroffene aber empfiehlt es sich schon jetzt, die komplette Vorsteuer beim Kauf oder Bau eines Hauses mit Fotovoltaikanlage geltend zu machen“, so Altendorf. „Lehnt das Finanzamt die Rückzahlung der Umsatzsteuer ab, sollte mit Verweis auf die ausstehende Entscheidung des BFH Einspruch eingelegt werden.“ Das Finanzamt muss dann mit dem Einspruchsentscheid bis zum Urteil abwarten.

Nicht abwarten, sondern zügig handeln sollte, wer das Modell jetzt noch nutzen will. Dabei ist zwischen Kauf und Bau eines Gebäudes zu unterscheiden: „Beim Kauf einer Immobilie fällt in der Regel keine Umsatzsteuer an“, erklärt Oliver Zugmaier. „Doch wenn der Verkäufer auf die Umsatzsteuerbefreiung im notariellen Kaufvertrag verzichtet, wird das Geschäft umsatzsteuerpflichtig, und der Käufer kann die Vorsteuer nach Seeling geltend machen.“ Hierfür genügt es nach dem Regierungsentwurf des Jahressteuergesetzes 2010, den Kaufvertrag noch bis Ende dieses Jahres zu unterschreiben. Wer selbst baut, muss bis dahin den Bauantrag eingereicht haben. Und bei Gebäuden, die ohne Baugenehmigung errichtet werden dürfen, sind der Baubehörde vor dem 1. Januar 2011 die Bauunterlagen vorzulegen.

Der ursprüngliche Referentenentwurf des Gesetzes sah noch eine strengere Regelung vor. Danach hätte ein Gebäude bis Ende 2010 nicht nur gekauft, sondern auch schon genutzt werden müssen. Beim Bau hätte die Immobilie vor Silvester fertiggestellt sein müssen. Erst auf Intervention, etwa des Deutschen Steuerberaterverbands in Berlin, wurde der Gesetzentwurf entschärft.


Auch Ausbauten begünstigt

Damit hilft das Seeling-Modell jetzt auch noch einfacher bei Ausbauten bereits gemischt genutzter Gebäude. Sie profitieren wie bereits das Wohngeschäftshaus selbst vom vollen Vorsteuerabzug. Allerdings muss der Unternehmer auch diesen Anbau mindestens zu zehn Prozent betrieblich nutzen. Wer etwa den Dachstuhl seines Gebäudes mit 80 Quadratmetern als Gästewohnung ausbaut, sollte einen Raum mit mindestens acht Quadratmetern für den Handwerksbetrieb abzweigen. Ein Archiv oder der zweite Büroraum für den Chef kämen zum Beispiel infrage.

Wer das Seeling-Modell umsetzt, braucht meist kein privates Arbeitszimmer, weil das Büro des Betriebes ja nur wenige Meter von der Wohnung entfernt ist. „Und das ist auch gut so“, findet Udo Herrmann. „Klar zwischen Firma und Familie zu trennen erfordert so schon ein ordentliches Maß an Disziplin. Wann Feierabend ist, muss ich mir nicht nur selbst immer wieder sagen, sondern gelegentlich auch mal einem Kunden, der sonntags am Hoftor rüttelt, während wir gerade gemütlich im Garten zusammensitzen.“

harald.klein@handwerk-magazin.de

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