Qualifizierung So finden Sie Top-Lehrlinge

Wer nicht ausbildet, wird künftig massiv unter dem drohenden Fachkräftemangel leiden. Lesen Sie in handwerk magazin, wie Sie die richtigen Bewerber finden, auswählen und im Betrieb integrieren.

So finden Sie Top-Lehrlinge

Superstars in Stockdorf? Fast: So wie der Kölner Fernsehsender RTL mit der Casting-Show „Deutschland sucht den Superstar“ ein neues Popidol für Hitparaden und Postertapeten auswählt, versuchen bayerische Baubetriebe mit ihrem „Baucamp“ in dem Münchner Vorort fähigen Nachwuchs zu finden. Das gemeinsame Prinzip: Wer sich für die Aufgabe berufen fühlt, kann einer fachkundigen Jury beweisen, was in ihm steckt. Nur beim Gewinn gibt es Unterschiede: In Köln darf der Sieger eine CD besingen, in Stockdorf gehen alle überzeugenden Bewerber mit einem Ausbildungsvertrag nach Hause.

Für viele Unternehmer ist das vom Bayerischen Bauindustrieverband organisierte Lehrlings-Casting inzwischen der beste Weg, um überhaupt noch geeignete Auszubildende zu finden. Drei Tage lang können sich die Kandidaten über die vielfältigen Tätigkeiten am Bau informieren und das meiste gleich ausprobieren – vom Gerüstbau bis zum Mauern einer Wand. Potenzielle Arbeitgeber machen sich dabei ein Bild von ihren Fähigkeiten. Personalberater Andreas Thierig, der das Baucamp mit veranstaltet, hat ausgerechnet: „Auf diese Weise sinken die Rekrutierungskosten der beteiligten Unternehmen um mindestens ein Drittel.“ Für Michaela Lück, Ausbildungsleiterin bei der Porr Deutschland GmbH in München, ist die Beteiligung aber vor allem aus einem ganz anderen Grund wichtig: „Wo finde ich sonst noch so schnell so viele junge Leute für unsere gewerbliche Berufsausbildung?“

Nachwuchssuche ist Chefsache

Eigentlich sollte die Lehre in einem Großunternehmen wie Porr attraktiv sein. Doch bei 800 Mitarbeitern beschäftigt Porr gerade mal zwölf Auszubildende. Die Aussicht auf eine Karriere am Bau scheint heutzutage immer weniger Bewerber zu locken. Was Betrieben wie Porr bereits heute zu schaffen macht, dürfte in den nächsten Jahren die größte Herausforderung für Firmenchefs in allen Handwerksbranchen werden: überhaupt genug Jugendliche zu finden, die eine betriebliche Ausbildung absolvieren und als gut qualifizierte Fachkräfte im Handwerk arbeiten wollen. Während die Bundesregierung noch einen Lehrstellenmangel beklagt und sogar einen neuen Ausbildungsbonus für schwer vermittelbare Schulabgänger beschlossen hat, ist bereits jetzt klar, dass durch die geburtenschwachen Jahrgänge bis zum Jahr 2020 die Zahl der Schulabgänger um über 20 Prozent zurückgehen wird, von knapp einer Million in 2006 auf weniger als 800.000.

Die Arbeitgeber werden sich also noch mehr als jetzt um qualifizierte Bewerber reißen, zumal die Neigung zu studieren weiter steigt und damit insgesamt weniger Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Der Appel an alle Unternehmer: Nachwuchssuche und -qualifizierung zur Chefsache machen und ihre Firma als attraktiven Ausbildungsbetrieb für die jeweilige Region aufzubauen. Wer es heute versäumt, in künftiges Fachpersonal zu investieren, wird morgen Schwierigkeiten haben, seine Aufträge qualifiziert abzuarbeiten.

Ausbildungsinhalte müssen angepasst werden

Die Verbände haben das Problem des Nachwuchsmangels erkannt und arbeiten mit Hochdruck daran, die Position des Handwerks als Ausbilder der Nation aus ureigenstem Interesse zu verteidigen. Dazu gehört beispielsweise, dass Berufsbilder modernisiert und Ausbildungsinhalte auf künftige Anforderungen ausgerichtet werden. So soll die Karriere im Handwerk attraktiv bleiben. Zur Imagepflege dienen auch Wettbewerbe wie der vom Zentralverband des Deutschen Handwerks ausgeschriebene Heribert-Späth-Preis und das Ausbildungs-Ass, bei dem Handwerksjunioren und Wirtschaftsjunioren gemeinsam mit der Inter-Versicherung vorbildliche Ausbildungskonzepte auszeichnen. Die prämierten Betriebe können auch anderen Unternehmern, die mehr Lehrlinge suchen, als Beispiel dienen.

Vorbildlich ist unter anderem, wie Dirk Ludwig die passenden Lehrlinge findet. „Bewerbungen sichten, Gespräche führen, Absagen schreiben – das alles ist aufwendig, kostet irrsinnig viel Zeit und steht meist nicht im Verhältnis zum Ergebnis“, sagt der Fleischermeister aus dem hessischen Schlüchtern. Statt über eine Anzeige zu suchen, hat er in diesem Jahr per Flyer und Plakat zum Lehrlings-Casting aufgerufen. Eingeladen wurden alle, die sich telefonisch bei ihm meldeten. „Von 45 Interessenten habe ich nur Adresse und Telefonnummer aufgenommen. Das war’s“, sagt der 34-Jährige.

Vorteil für Frühaufsteher

Das eigentliche Casting fand dann an einem Sonntag frühmorgens um 7 Uhr statt. „Diese Zeit habe ich absichtlich gewählt, weil ich mir ziemlich sicher war, dass einige Bewerber dann vermutlich gar nicht auftauchen würden“, sagt der Unternehmer. Sein Hintergedanke: Wer schon nicht bereit ist, für eine Lehrstelle auch mal früher aufzustehen, der wird auch in der Lehrzeit unzuverlässig sein. Die Rechnung ging auf. Von den 45 Eingeladenen kamen gerade elf. „So habe ich mir schon mal die Durchsicht von 34 Bewerbungsunterlagen gespart“, freut sich der Fleischermeister.

Den elf Anwesenden stellte er seinen Betrieb vor und sich selbst. Im Anschluss bat er zum kurzen Gespräch ins Nebenzimmer. Drei Minuten bekam jeder Bewerber Zeit, um sich vorzustellen und den Unternehmer davon zu überzeugen, warum er gerade ihn einstellen sollte. Eine große Sanduhr zeigte während des Gesprächs an, wie die drei Minuten verflossen. „Und ich hatte das erste Mal das Gefühl, tatsächlich ein Gespräch zu führen“, berichtet der Fleischermeister begeistert. Denn die Uhr zeigte allen Bewerbern, dass sie die Zeit, die ihnen zur Verfügung gestellt wurde, auch nutzen mussten. Alle – egal, ob ohne Schulabschluss oder mit Abitur – sprachen frei über sich, ihre Interessen und warum sie einen Ausbildungsplatz gerade bei der Metzgerei Ludwig anstrebten.

Unterlagen sah sich Dirk Ludwig dann nur noch von denjenigen an, die nach dem ersten Kontakt für ihn in die engere Auswahl kamen. Von den elf Bewerbern bekam dann letztlich einer einen Ausbildungsplatz. „Mit der heutigen Technik kann eigentlich jeder eine gute Bewerbung anfertigen“, fasst der Unternehmer zusammen. Den wesentlichen Ausschlag für seine Entscheidung habe allerdings das persönliche Gespräch ergeben. „Und unter der besonderen Drucksituation, in der die Bewerber durch die drei Minuten Redezeit zwangsläufig stehen, kann man sich auch nicht so leicht verstellen.“

Einen ähnlichen Weg wie Dirk Ludwig geht bei der Bewerberauswahl auch Schreinermeister Michael Kaiser, der gemeinsam mit Wolfgang Nonnenmacher die 1987 gegründete Schreinerei Holz und Form GmbH Bochum führt: „Wir bereiten unser Unternehmen schon seit längerer Zeit gezielt auf die schwierige Situation vor, dass die Zahl der geeigneten Bewerber für eine Lehrstelle stetig abnimmt, wir als Firmenchefs aber auch künftig auf gut ausgebildeten sowie hoch motivierten Berufsnachwuchs angewiesen sind.“ Die Auswahl des neuen Lehrlings beginnt deshalb meist bereits zu Beginn des Kalenderjahres.

Schritt für Schritt arbeitet sich Michael Kaiser auf diesem Weg voran. Der erste Schritt ist die Auswertung der Bewerbungsunterlagen. In einem zweiten Schritt führt er persönliche Bewerbungsgespräche mit fünf bis sechs Bewerbern und bietet ihnen dabei die Möglichkeit von Praktika an. Meist in den Osterferien sind die Jugendlichen dann zur Probearbeit im Betrieb. Beide Seiten nutzen die sich so bietende Chance, sich gegenseitig besser kennenzulernen, Neigungen und Begabungen auszuloten und auch ein wenig auszuprobieren.

Nehmen Sie Bewerber unter die Lupe

Die sechs bis sieben interessantesten Bewerber lädt Kaiser dann zum Casting in die Werkstatt ein. An einem Sonnabend findet das sogenannte Stuhl-Projekt statt, bei dem die anderen Mitarbeiter des Betriebs einschließlich der Lehrlinge ebenfalls anwesend sind. Gemeinsam entwerfen und bauen die Ausbildungsplatzbewerber einen Stuhl, unterstützt von den Gesellen und Lehrlingen des Betriebs. Sie entwickeln Ideen, gestalten einen Entwurf und setzen ihn schließlich gemeinsam in der Werkstatt um.

Auch bei einem gemeinsamen Pizza-Essen erhalten Kaiser und seine Mitarbeiter zusätzliche Aufschlüsse über das Verhalten der Bewerber. Ein weiterer Vorteil dieses Vorgehens: Hält der ausgewählte Lehrling seinen Ausbildungsvertrag in der Hand und betritt zum ersten Mal als Kollege den Betrieb, gibt es kein Fremdeln. Im Idealfall haben alle bereits im Stuhl-Projekt zusammengearbeitet. Außerdem verhindert eine selbst entwickelte Checkliste, die ständig überarbeitet wird, böse Überraschungen. Einer der beiden Geschäftsführer nimmt sich einen ganzen Tag Zeit und begleitet den Neuen oder die Neue durch den Betrieb. Die ausführliche Präsentation des Unternehmens und des künftigen Arbeitsplatzes soll dem Neuankömmling das Gefühl von Vertrautheit und Transparenz vermitteln. Dazu gehört, dass ihm vom ersten Tag an sein direkter Ansprechpartner vorgestellt wird.

Lehrlinge sind die Zukunft

Wer sich so umfassend um Suche, Auswahl und Integration seiner Lehrlinge kümmert, muss keinen Fachkräftemangel fürchten. Selbst Bewerber, die als schwer vermittelbar oder nicht ausbildungsfähig gelten, lassen sich so motivieren. Und das ist auch wichtig, denn künftig wird es sich kein Unternehmer mehr leisten können, Bewerber leichtfertig abzuweisen, sondern mehr in ihre Ausbildung stecken müssen, um überhaupt gute Mitarbeiter zu finden.

Wie sich sogenannte schwierige Jugendliche auffangen lassen, demonstriert beispielhaft Schreinermeister Rupert Voss in Taufkirchen bei München mit seinem mehrfach ausgezeichneten Projekt Work & Box Company. Er gibt jenen, die heute noch anderswo aussortiert würden, eine letzte Chance. Gemeinsam mit dem Familientherapeuten Werner Makella entwickelte Rupert Voss sein Konzept: Gewaltbereite junge Leute, die ihre Probleme bisher nur mit Fäusten gelöst und keine Regeln akzeptiert haben, sollen im Boxring ihre eigenen Grenzen erfahren, aber auch die der Gesellschaft. Über einen Zeitraum von zwölf Monaten können die Teilnehmer bei Boxausbilder Voss trainieren und dabei lernen, wie sie ihre Aggressionen in Kraft zum Boxen und zum Arbeiten umwandeln. Außerdem lässt Voss im eigenen Betrieb Selbstbeherrschung, Respekt und Fairness lernen oder besorgt ihnen Praktikumsplätze: „Für die jungen Leute ist eine Arbeitsstelle ein Schritt in Richtung Reintegration.“ Und für viele Handwerksunternehmer werden diese Lehrlinge zu den Fachkräften der Zukunft.

Praxistipps: So finden Sie den Richtigen

Die Bewerberauswahl ist entscheidend für den Erfolg der Ausbildungsleistung Ihres Unternehmens. Denn nach der Probezeit ist es nicht einfach, das Ausbildungsverhältnis zu lösen.

Bewerbungen auswerten

Die äußere Form, also Rechtschreibung, Gliederung und Ausdruck, gibt einen ersten Anhaltspunkt bei der Bewerberauswahl. Wichtig ist, wie der Bewerber begründet, warum er diesen speziellen Beruf ergreifen will und ob er sich über den Betrieb informiert hat.

Zeugnisse lesen

Gute Noten sind natürlich ein Indiz für die Fähigkeiten des künftigen Azubis. Unabhängig vom Berufsziel sind Mathematik und Deutsch wichtige Kernfächer. Noten in Naturwissenschaften geben Aufschluss über logisches Denken und Abstraktionsfähigkeit, bei Lernfächern geht es um Fleiß. Zeugnisbemerkungen sollten ebenfalls genau gelesen werden.

Praktikum auswerten

Hat der Bewerber oder die Bewerberin ein Praktikum oder wenigstens einen Schnupperkurs im Betrieb absolviert, fällt die Auswahl leichter. Deswegen sind solche „Kennenlernaktionen“ unbedingt zu empfehlen.

Vorstellungsgespräch planen

Das Vorstellungsgespräch gibt nach wie vor den Ausschlag für die Bewerberauswahl. Also bereiten Sie sich gut vor, am besten mit einer Checkliste, auf der Sie Fragen an die Jugendlichen notieren, zum Beispiel: Lieblingsfächer in der Schule, Freizeitgestaltung, Vorstellungen von dem Wunschberuf, Kenntnisse über den Betrieb.

Lehrlings-Auswahl-Test

Mit einem Test können Sie leichter mehrere Bewerber vergleichen, nutzen Sie dazu das Angebot von handwerk magazin. Auch ein Casting anstatt einzelner Vorstellungsgespräche kann bei der Auswahl helfen.