Schluss mit Luxus, rein in die Mitte

Konsumtrend | Die längst totgesagte Mitte boomt – statt premium und billig ist gute Qualität zu fairen Preisen gefragt. Wer beides bietet und richtig bewirbt, kann jetzt lukrative Kunden gewinnen.

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    Was in seinem Brot steckt, ist bei Vollkornbäcker Thomas Effenberger in Hamburg kein Geheimnis; die Lieferanten für sein ökologisch erzeugtes Getreide sucht der Chef persönlich aus.
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    Wo die Mitte punkten kannSind die Kinder aus dem Haus (Empty-Nest Familien), entscheiden sich die Eltern verstärkt für Mittemarken. Die gleiche Tendenz gibt es auch bei Singles, kinderlosen Paaren und Rentnern.
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    Hier erklärt der Chef persönlich, wie das Brot hergestellt wird: jeden vierten Samstag im Monat führt Thomas Effenberger interessierte Kunden durch die Backstube und beantwortet geduldig die zahlreichen Fragen.
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    Keine Lust mehr auf Billig- oder Luxuskonsum: seit 2009 entscheiden sich immer mehr Verbraucher für Mittemarken.
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    „Mittekäufer wollen wissen, was ein Produkt kann und wie es funktioniert.“Wolfgang Adlwarth, Division Manager der GfK-Marktforschung in Nürnberg.
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    Tradition und Innovation sind für Horst Pretzsch in Berchtesgaden keine Gegensätze: der Betrieb überrascht seine Kunden regelmäßig mit Neuheiten wie etwa einem per Fernbedienung steuerbaren Hightech-WC (kleine Fotos).
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    Mit zunehmendem Aufschwung gewinnen Wettbewerb, Innovation, Leistung und Macht bei den Konsumenten wieder an Bedeutung.
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    Autorin: Kerstin Meier

Schluss mit Luxus, rein in die Mitte

Woher stammt das Getreide? Wie stellen Sie sicher, dass alles wirklich ökologisch ist? Warum mahlen Sie das Korn selber? – Nach über 20 Jahren Erfahrung als ökologischer Vollkornbäcker kennt Thomas Effenberger fast alle Fragen der Kunden. Trotzdem macht es dem Hamburger Unternehmer noch immer Spaß, Besucher durch die Backstube zu führen und ihnen zu erklären, wie aus dem Getreide nur mit Sauerteig, Wasser und Meersalz leckere Vollkornbackwaren entstehen. „Das ist für mich nach wie vor eine interessante Marktforschung“, erklärt der Bäckermeister. Jeden letzten Samstag im Monat können Besucher gegen einen Kostenbeitrag von fünf Euro die Produktion an der Hamburger Rutschbahn besichtigen, zweimal wöchentlich gibt es für Gruppen ab 20 Personen Sonderführungen. „Die Termine müssen inzwischen fast ein halbes Jahr im Voraus gebucht werden“, freut sich Effenberger über das rege Interesse.

Was nach zufälligem Marketingerfolg eines cleveren Unternehmers aussieht, bedient in Wirklichkeit einen handfesten neuen Konsumtrend. „Durch die Finanzkrise haben Werte wie Vertrauen, Sicherheit und Verantwortung wieder an Bedeutung gewonnen“, erklärt Dr. Wolfgang Adlwarth von der „Gesellschaft für Konsumforschung“ (GfK) in Nürnberg. So hätten die Verbraucher erkannt, dass blindes Vertrauen und ungezügelter Massenkonsum um jeden Preis langfristig nicht funktionieren. Statt immer noch billigere Angebote zu suchen, entscheiden sich die Konsumenten seit 2009 verstärkt für Anbieter aus dem mittleren Preissegment (siehe Grafik links).

Den Nutzen herausstellen

„Die Mittemarken“, so GfK-Experte Adlwarth, „sind vertrauenswürdig, bieten Qualität und sind im Vergleich zu Premiumprodukten preiswert, aber nicht billig.“ Diese Kriterien lassen sich nahezu eins zu eins auf die meisten Handwerksbetriebe übertragen, so dass die Branche nach Meinung der Experten zu den großen Gewinnern des neuen Trends zählen kann. „Voraussetzung dafür ist, dass die Anbieter nicht in der Masse untergehen, sondern ihren besonderen Nutzen für den Verbraucher herausstellen und sich klar am Markt positionieren“, weiß Florian Haller, Hauptgeschäftsführer der Agenturgruppe Serviceplan in München (siehe Interview Seite 19).

Thomas Effenberger erfüllt diesen Anspruch mit seiner Spezialisierung auf ökologisch produzierte Vollkornbackwaren nahezu perfekt. Natürlich gibt es auch in Hamburg zahlreiche Discountanbieter, die ihre Backwaren teilweise zu atemberaubend geringen Centbeträgen auf den Markt schleudern. Mit denen will und kann Effenberger jedoch nicht mithalten: „Wir können nur für solche Kunden backen, die es wirklich interessiert, was sie essen.“ Deshalb setzt Effenberger seit Gründung der Backstube 1985 auf Qualität und Transparenz: Er sucht die Lieferanten für sein ökologisches Getreide selber aus, klärt die Kunden ausführlich über Herkunft, Produktion und Zutaten auf und beschäftigt in Backstube und Verkauf nur Bäckergesellen und Meister. Damit jeder der 18 Mitarbeiter alle Fragen der Kunden beantworten kann, wechseln Einsatzplatz und Verantwortlichkeiten regelmäßig durch.

Mit der Eröffnung einer „Gläsernen Backstube“ im Hamburger Bahnhof „Dammtor“ hat der vorausschauende Unternehmer den jetzt neu aufkeimenden Kundenwunsch nach Transparenz schon lange vor der Krise bedient. Eine Investition, die sich langfristig genauso augezahlt hat wie sein Engagement für eine ressourcenschonende Produktion. So verbraucht Effenberger in seinen sechs Filialen nur rund ein Drittel der im Bäckerhandwerk üblichen Energie, sein Einsatz für Umwelt und Nachhaltigkeit hat ihm bereits mehrere Auszeichnungen eingebracht. Dass es zuweilen viel Zeit und Nerven kostet, bis etwa das innovative System zur Wärmerückgewinnung tatsächlich reibungslos funktioniert, stört Effenberger kaum: „Als Unternehmer habe ich die Freiheit zu gestalten, das ist mir wichtiger als das schnelle Geld.“

Erklären statt überreden

Mit seinem Mut für neue Wege bedient der Bäckermeister noch ein weiteres wichtiges Bedürfnis der wiedererstarkten Konsummitte: „Mittemarkenkäufer haben ein geringes Misstrauen gegenüber Neuprodukten und sind sehr aufgeschlossen für Innovationen“, bestätigt Marketingprofi Haller. Hinzu kommt nach Erfahrung von Marktforscher Adlwarth ein ausgesprochen großes Interesse an der Funktion eines Produkts: „Mittemarken verkaufen sich im Gegensatz zu Premiumprodukten nicht so stark über Emotionen, sondern für die Kunden steht die Leistungsfähigkeit im Vordergrund.“

Horst Pretzsch, Geschäftsführer des gleichnamigen Sanitär- und Heizungsbetriebs in Berchtesgaden, offeriert seinen Kunden beides: eine qualifizierte Beratung sowie innovative Produkte und Leistungen. „Wir suchen systematisch nach neuen Angeboten um unseren Kunden etwas zu bieten, was sie woanders nicht bekommen“, erklärt der SHK-Meister und Diplom-Volkswirt. Da er und sein Bruder Rudolf, der den Zweigbetrieb in Bad Reichenhall leitet, neben dem Tagesgeschäft nicht immer genügend Zeit für die notwendigen Marktforschungsaktivitäten finden, haben sie einen Mitarbeiter mit dem Aufspüren von neuen Geschäftsfeldern beauftragt.

Nicht jeden Trend mitmachen

Der von der Werkstatt ins Büro gewechselte Michael Mistlbacher besucht regelmäßig Messen, liest Fachzeitschriften, recherchiert im Internet und hält engen Kontakt zu den Herstellern in der Branche. Hat er etwas Interessantes entdeckt, wird im Team mit den beiden Chefs über die Marktfähigkeit diskutiert. Wie immer bei neuen Dingen gibt es trotz sorgfältigster Recherche keine Garantien, doch manche Projekte lassen sich nach Erfahrung des Unternehmers bereits im vorhinein ausgrenzen: „Wir haben uns auch mit Luftwärmepumpen beschäftigt, doch aufgrund der langen Frostperiode taugt diese Technologie nicht für unsere Region.“ Statt dessen bedient der Betrieb den Kundenwunsch nach Heizkostenreduzierung heute als erster Anbieter in der Region mit Blockheizkraftwerken. „Als es die ersten marktfähigen Geräte für Erdgas gab, wollten wir auf jeden Fall dabei sein“, erklärt Pretzsch.

Risiko für den Kunden begrenzen

Bevor jedoch die ersten Mini-Kraftwerke eingebaut werden konnten, mussten sich Innovationsscout Mistlbacher und ein weiterer Mitarbeiter vom Hersteller Vaillant schulen lasssen. Ein Kraftaufwand für den an beiden Standorten jeweils zwölf Mitarbeiter zählenden Betrieb, der jedoch erforderlich ist, um das Image als kompetender und serviceorientierter Qualitätsanbieter nicht zu gefährden.

Da neue Technologien dennoch immer für Überraschungen gut sind, brauchen zumindest die ersten Kunden eine gewisse Leidensfähigkeit. Um diese nicht unnötig zu strapazieren, sucht das Pretzsch-Team gezielt nach Herstellern, die sich bei auftretenden Problemen kulant zeigen und auch mal die Gewährleistung verlängern. Läuft die Anlage später reibungslos, profitiert der innovative Betrieb gleich doppelt vom Stolz der neuen Kraftwerkbesitzer – sie zeigen ihre neue Heizung gerne anderen Interessenten und loben dabei die Vorzüge der neuen Technik in den höchsten Tönen: „Das Gerät“, so Pretzsch, „verkauft sich dabei fast von selbst.“

Bei der vom Chef selbst entdeckten aktuellsten Innovation – einem WC von Geberit mit Intimdusche und Föhn – muss der Unternehmer dagegen Überzeugungsarbeit leisten. So ist das vom Hersteller per TV-Kampagne beworbene Hightech-WC nicht nur für Kunden mit besonderen Hygieneansprüchen interessant, sondern vor allem auch für Hotels und Pensionen, die bevorzugt asiatische Gäste beherbergen: „Die Japaner kennen kein Toilettenpapier, dort gibt es inzwischen bereits WCs, die den Blutdruck und die Körpertemperatur messen“, erklärt Pretzsch. Die komplette Toilette für fast 6000 Euro hat er zwar noch nicht verkauft, doch die separat erhältliche Deckelkonstruktion mit Reinigungsvorrichtung und Fernbedienung „kommt gut bei den Kunden an“..

Wer als Unternehmer in der neuen Mitte punkten will, braucht jedoch nicht nur ein passendes Angebot, sondern auch ein zielgerichtetes Marketing. Dabei kommt es nach Einschätzung von Marketingprofi Haller darauf an, die charakteristischen Werte eines Mitteanbieters zu besetzen: „Nah, sympathisch, einladend und bezahlbar“ lauten nach seiner Erfahrung die wichtigsten Schlagworte. Während Bäcker Effenberger diese Anforderungen durch Transparenz und ein hohes Engagement für seine Region abdeckt, vertraut Sanitärunternehmer Pretzsch als Einheimischer vor allem auf sein Gespür für den Markt. „Die alteingesessene Bevölkerung ist zum Teil sehr eigen, da funktioniert der Verkauf nur über den persönlichen Kontakt.“

Mit Augenmaß werben

Um die Vorteile der Blockheizkraftwerke für Interessenten anschaulich und erlebbar zu machen, veranstaltet der Unternehmer gemeinsam mit dem Hersteller Informationsabende in Gaststätten, die bereits mit einem Pretzsch-Kraftwerk kräftig Energie sparen. Darüber hinaus wird die neue Technologie mit Plakaten und Anzeigen beworben: „Die Konkurrenz in unserer engen Region ist sehr groß“, begründet Pretzsch die regen Marketingaktivitäten.

Mit der Einstellung, auch als ortsbekannter Traditionsbetrieb die Kunden regelmäßig zu informieren, löst der Unternehmer ein klassisches Dilemma. „Mittemarken können nicht so viel für Werbung ausgeben wie Premiumanbieter, sie können es sich aber auch nicht leisten, wie die Billiganbieter ganz darauf zu verzichten“, weiß Florian Haller. Damit die Kunden Mitte nicht mit beliebigem Durchschnitt verwechseln, rät der Marketingexperte, die individuellen Vorteile eines Betriebs für die Kunden auch in der Werbung klar und präzise herauszustellen.

Die Brüder Pretzsch haben mit ihren innovativen Angeboten, zu denen auch eine besonders schnelle Hilfe in Notfällen gehört, ihre Marktposition gefestigt. Durch die Blockheizkraftwerke, so Horst Pretzsch, „haben wir einige höherwertige Anlagen eingebaut, die wir sonst nicht verkauft hätten.“ Vollkornbäcker Effenberger geht bei seiner Einschätzung über den Nutzen einer eindeutigen Marktpositionierung noch einen Schritt weiter. Wer die Ressourcen sinnvoll nutze und die Zukunft verantwortlich gestalte, der könne gar nicht anders als Erfolg haben. Für alle Skeptiker hat der seit Jahren vom Feinschmecker als „Hamburgs bester Vollkornbäcker“ ausgezeichnete Unternehmer noch ein weiteres Argument parat: „Es macht einfach Spaß, vorne zu sein.“

- kerstin.meier@handwerk-magazin.de

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