Sanierung statt Pleite

Insolvenz Wenn sich der Betrieb nicht mehr rentiert, warten Unternehmer oft zu lange. Dabei soll das Insolvenzrecht die Chance zur Sanierung bieten. Ab 2012 gelten hierfür noch bessere Regeln.

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    Michael Steinbach aus Viersen hat seine Möbelmanufaktur Accente durch Sanierung vor der Insolvenz gerettet.
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    © Chart: handwerk magazin
    Typisch: In Krisenzeiten wie 2009 steigt die Zahl der Insolvenzen an. Sanierungen machen nur einen Bruchteil der Verfahren aus.
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    Hochwertige Möbel, wie hier im Besprechungsraum, verkauft Michael Steinbach wieder mit hohem Gewinn.
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    „Wer den Plan gut vorbereitet, dem kann kein Insolvenzrichter die Sanierung verwehren.“Christopher Seagon, Insolvenzexperte und Partner der Kanzlei Wellensiek in Heidelberg.

Sanierung statt Pleite

Wie bisher konnte es nicht weitergehen, das wurde Michael Steinbach irgendwann klar. In der Wirtschaftskrise 2008 und 2009 war der Umsatz der Möbelmanufaktur Accente aus dem nordrhein-westfälischen Viersen, in der Schreiner, Polsterer, Schneiderinnen und Lackierer Luxusstühle, Anrichten sowie Betten herstellen, zuerst um 20, später sogar um 35 Prozent eingebrochen. Die Flaute wurde zum Dauerzustand. „Mit Kurzarbeit war es nicht getan“, erinnert sich Steinbach. „Das Geschäft pendelte sich einfach nicht mehr auf dem Vorkrisenniveau ein.“Also traf der Unternehmer, der die Schreinerei gemeinsam mit seinem Kompagnon Andreas Naujoks führt, eine folgenschwere Entscheidung: „Wir brauchten einen Neustart“, sagt Steinbach.

Nicht zu lange warten

Wie Steinbach und Naujoks sind immer wieder Handwerksbetriebe mit dieser existenziellen Notlage konfrontiert. Die Pleite ist für viele Unternehmer eine Horrorvorstellung. „Deshalb warten die meisten zu lange“, sagt Christopher Seagon, Partner der Heidelberger Kanzlei Wellensiek und einer der bekanntesten deutschen Insolvenzverwalter. Gerade Handwerker, weiß Seagon, seien oft regional verhaftet, machten Geschäfte mit Verwandten, Vereinsfreunden, Nachbarn. „Dadurch fehlt die nötige sachliche Distanz.“ 95 Prozent der Insolvenzanträge im Handwerk, schätzt der Experte, kämen erst, wenn die Zwangsvollstreckung droht. Oft melden Finanzamt oder Krankenkasse den Betrieb beim Amtsgericht als zahlungsunfähig an. „Dabei“, sagt Seagon, „könnten viel mehr Unternehmen saniert werden, wenn die Chefs Warnsignale ernst nähmen und früh genug handelten“ (Checkliste unten).

Auch bei Accente schien die Lage zunächst aussichtslos. Ein Berg Altschulden lastete auf dem Betrieb, man kam nicht aus teuren Mietverträgen heraus, hatte mit mehr als 60 Leuten, gemessen am Umsatz, zu viel Personal. Die Ausgaben waren dauerhaft höher als die Einnahmen, zusätzliche Nachfrage oder höhere Preise gab der Markt nicht her, obwohl die Möbel weiter gefragt waren.

Steinbach rief einen befreundeten Betriebsberater an. Und entwickelte gemeinsam mit ihm und den Experten einer Düsseldorfer Kanzlei einen Insolvenzplan. Am 27.Juli 2010 traten Steinbach und Naujoks den Gang zum Insolvenzrichter an. Unterm Arm einen detaillierten Sanierungsplan und jede Menge Tatendrang. Anderthalb Jahre später ist Accente wieder auf der Erfolgsspur. „Das Unternehmen hat keine Hypotheken mehr, ist komplett saniert, keinen Tag lang fehlte Material oder stockte die Produktion“, sagt Steinbach stolz. Das Drehbuch des Insolvenzplans haben die Unternehmer Schritt für Schritt abgearbeitet, haben den Personalbestand auf 41 Mann gesenkt. Angenehm, so Steinbach, sei diese Phase nicht gewesen. „Aber nötig.“

Dieses „Planverfahren“, das Accente gerettet hat, sieht die Insolvenzordnung seit 1999 als eine Möglichkeit vor. Es hilft, Firmen in Not zu sanieren, wenn die Gläubiger zustimmen. Und sie tun gut daran: Branchenschätzungen zufolge erhalten sie bei Planverfahren immerhin zwischen zehn und 20 Prozent ihrer Forderungen - die „Quote“. Wird die Firma liquidiert, verkauft der Insolvenzverwalter also die Vermögenswerte, entlässt die Mitarbeiter und legt den Betrieb still, sind im Schnitt nicht einmal fünf Prozent zu holen.

Gläubiger akzeptieren oft Sanierung

Bislang fristen Planverfahren dennoch ein Schattendasein, weil viele Beteiligte das Instrument nicht ausreichend kennen oder Unternehmer sich zu spät zum Offenbarungseid durchringen. Dann ist oft kein Plan mehr möglich. Gerade mal zwei Prozent aller Insolvenzverfahren sind Sanierungen, und das meist eher bei größeren Unternehmen. „Aber auch bei Einzelunternehmen, von denen es im Handwerk viele gibt, kann ein Insolvenzplan die beste Lösung sein“, weiß Experte
Seagon. Der typische Fall: Der Meister wird krank, fällt längere Zeit ohne Vertretung aus, der Betrieb gerät in die Krise. „Solche unverschuldeten Insolvenzen eignen sich häufig für die Sanierung.“

Anfang 2012 nun soll das Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) in Kraft treten. „Wer künftig Insolvenzantrag stellt, wenn nur drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegt, kommt in den Genuss eines neuen und besonders schuldnerfreundlichen Sanierungsverfahrens“, erklärt Peter Reuter vom Indat-Report, einem Magazin für Insolvenzverwalter. Solche Betriebe können künftig unter einen „Schutzschirm“ schlüpfen. Zwangsvollstreckungen werden ausgesetzt, der Chef kann in Ruhe einen
Sanierungsplan ausarbeiten (siehe Ablaufdiagramm „Früher neu anfangen“, Seite 55). Das ist kein reguläres Insolvenzverfahren, sondern eine Art außergerichtlicher Vergleich.

Künftig sollen Gläubiger auch leichter ihre Forderungen in Firmenanteile verwandeln können - im Fachjargon spricht man von „Debt-to-Equity-Swaps“. Der Vorteil: Ein solches Angebot soll die Kompromissbereitschaft der Gläubiger erhöhen. Ebenfalls neu: „Wenn der Antrag gut vorbereitet und die Sanierungsfähigkeit schlüssig begründet ist, kann ein Gericht diesen Weg demnächst eigentlich kaum noch verwehren“, ermuntert Insolvenzverwalter Christopher Seagon betroffene Unternehmer. Zudem erhalten Gläubiger und Betriebe mehr Einfluss auf die Wahl des Insolvenzverwalters. Die war bislang oft Glückssache, denn die zuständigen Amtsrichter bestimmten einfach die Treuhänder. Wenn ein Pleitier Pech hatte, bekam er einen Verwalter zugeteilt, der die Firma einfach möglichst rasch abwickeln wollte.

Markus Stumbaum hatte das Glück, schon vor der Reform an einen verständnisvollen Richter und eine fähige Insolvenzverwalterin zu geraten. Der Elektroinstallateur aus Schöngeising bei München hatte die Firma seines Vaters Anfang 2005 übernommen, merkte aber schnell, dass der Senior Aufträge falsch kalkuliert hatte. Seit fast drei Jahren machte der Betrieb Verlust. Stumbaum junior kam zu dem Schluss, dass das Geld nur noch wenige Wochen reichen würde. Also trat er den Gang zum Insolvenzgericht an. Der Richter erkannte: Die Firma Stumbaum ist zu retten. Mit der flugs bestellten Verwalterin Barbara Beutler entwickelte der Handwerker den Plan, seinen Betrieb gesundzuschrumpfen, zu entschulden und sich dann auf Gebäudeservices und gehobene Privatkunden zu konzentrieren.

Elektrobetrieb gerettet

Die neue Strategie ging auf. Schon zum offiziellen Abschluss des Insolvenzverfahrens 2009 war die Belegschaft von 26 auf 33 Leute angewachsen. Heute beschäftigt Stumbaum fast 50 Mitarbeiter. Der Umsatz hat sich seit 2007 mehr als verdoppelt - in diesem Jahr hat Stumbaum sogar eine Firma für Heizungsservices übernommen. „Ich hätte das anfangs nie gedacht“, sagt der Handwerker. „Eigentlich wollte ich nur das Kerngeschäft retten.“ Doch mit Hilfe von Gericht und Verwalterin setzte er die Firma auf die Erfolgsspur.

„Der Gang zum Insolvenzgericht ist keine Katastrophe oder Schande, für die man den schwarzen Anzug aus dem Schrank holt“, sagt Dirk Andres, Partner der Düsseldorfer Insolvenzrechtskanzlei Andres Schneider, der das Accente-Verfahren begleitet hat. „Die Insolvenz ist eine Chance auf die Sanierung.“ Um eine gute Vorbereitung, am bes-ten mit Berater, kämen Unternehmen indes auch unter den erleichterten Bedingungen nach der Gesetzesnovelle nicht herum, betont Andres. Eine Schnellanalyse, welche Optionen ein Betrieb noch hat, kostet bei einer Kanzlei wie Andres Schneider 5000 Euro, plus Vorab-Insolvenzplan 10000 Euro. Das Geld sei aber gut angelegt, so Andres. „Wenn man das als größerer Handwerksbetrieb nicht mehr aufbringen kann, ist es für eine Sanierung ohnehin zu spät.“

Sanierung auch für kleine Betriebe

Auch Handwerksbetriebe, die zu klein für eine solche Beratung sind, kommen für den Schutzschirm in Frage. Oder sie nutzen eine Variante, die Insolvenzverwalter gerne im Handwerk wählen: Die „übertragende Sanierung“, bei der die Firma und ihre Vermögenswerte verkauft und mit dem Erlös die Schulden bedient werden.

„Für Unternehmen mit zehn oder 20 Mitarbeitern ist das eigentliche Planverfahren zu kompliziert“, so Kirsten Wilczek, Insolvenzexpertin der Handwerkskammer Köln. Also begibt sich Wilczek oft schon vor dem Insolvenzantrag auf die Suche nach einem Käufer. Dann entwickelt die Juristin einen Plan, wie der Käufer den Kaufpreis aus künftigen Firmengewinnen erwirtschaften kann, wenn Verwalter und Gläubigerversammlung zustimmen. „Das ist eine Art Planverfahren des kleinen Mannes“, scherzt Kirsten Wilczek. Entscheidend sei doch ohnehin, dass der Betrieb weiter arbeiten könne. „Und da bietet das Insolvenzrecht eine Menge Möglichkeiten.“ Bald noch mehr.

harald.klein@handwerk-magazin.de

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