Reserven heben

Verborgene Liquidität | In der Wirtschaftskrise wird es für viele Handwerksbetriebe finanziell eng. Höchste Zeit, die oft üppigen Puffer und Reserven zu heben. Denn die gibt es fast überall.

Reserven heben

Wahre Überzeugungstäter – das sind Handwerksunternehmer. „Berufene in dem, was sie tun“, beobachtet Christian Hecker, Partner der Beratungsgesellschaft Quest Consulting AG in Rosenheim. Ein guter Kunde von ihm – Schreinermeister – steht voller Elan morgens um vier Uhr auf, wenn eine Maschine repariert wird. „Damit am Abend alles fertig dasteht“, weiß Hecker. Rechnungen schreiben dagegen hasst er. „Und schiebt es gern vor sich her.“

Viele Handwerksbetriebe kommen gar nicht auf die Idee sich zu fragen, ob sie es sich leisten wollen und können, solche geldwerten Puffer im Betrieb brach liegen zu lassen. Auch in Verbindlichkeiten und Lagerbeständen der meisten Handwerksbetriebe – ebenfalls Teil des Umlaufvermögens, auch Working-Capital genannt – verstecken sich zuweilen wahre Reichtümer. Höchste Zeit, die verborgenen Liquiditätsreserven zu heben.

„Ein sinnvolles Working-Capital-Management ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg jedes Unternehmens“, ist Christian Albert Meyer überzeugt, Autor des Buchs Working-Capital und Unternehmenswert. Besonders wichtig ist das in der Finanzkrise, in der Forderungen sich verzögern oder gar ausfallen und Banken längst mit Krediten geizen. Spätestens jetzt sollten Handwerksbetriebe damit anfangen, effizient mit ihrem Umlaufvermögen wirtschaften. Schließlich machen das verstärkt auch ihre Kunden und Konkurrenten.

Für kleinere Betriebe ist nach Heckers Erfahrung das Forderungsmanagement meist das wichtigste Feld. Immer wieder stellt er fest, dass aufgeschobene Rechnungen zum Problem werden. „Es ist nicht so, dass Handwerker die Buchhaltung nicht beherrschten“, betont er. Im Gegenteil – bei großen Aufträgen bekommen sie das bestens hin. „Dann wägen sie ihr Risiko ab, holen Bonitätsauskünfte ein, schreiben schnell und korrekt ihre Rechnungen, bessern gegebenenfalls rasch nach und mahnen notfalls zügig.“

Das Problem ist das Kleinvieh, beobachtet Hecker. Kurz vor Weihnachten hat er selbst eine Rechnung über 120 Euro bekommen – für eine Starkstromdose, die der Elektriker bereits im September gelegt hatte. Verständnis fürs Aufschieben kleiner Rechnungen hat Hecker schon. „Eine Rechnung von 120 Euro macht im Zweifel genauso viel Arbeit und kostet genauso viel Papier und Porto wie eine über den zehnfachen Betrag – das ist frustrierend“, räumt er ein. Wer sich sorgt, wie er Miete und Personalkosten aufbringen soll, dem erschienen dazu 120 Euro wenig hilfreich. Hecker hält das für fatal. Unternehmer müssten nur mal zusammenrechnen, wie viel Mist ihr Kleinvieh macht – schon würden sie handeln, das weiß er aus Erfahrung. „Um sie zu überzeugen, reicht es meist, ihnen vorzurechnen, was ihnen entgeht“, beobachtet Hecker, „oder sie auch nur zu fragen: Was würden Sie mit 50000 Euro tun? – Die leiht Ihnen so einfach keine Bank.“

Doch so viel kommt auch bei Handwerksbetrieben rasch zusammen. Bei einem mittelständischen Möbelschreiner mit Ladenlokal, den Hecker kürzlich sanieren sollte, waren zwei Drittel der fälligen Außenstände von mehr als 90000 Euro Kleinbeträge zwischen 100 und 1000 Euro. „Der Rest war im wesentlichen eine nach der Pleite eines Kunden ausgefallene Rechnung über 24000 Euro“, blickt Hecker zurück. Die Sanierung war einfach. „Der Betrieb gibt Waren heute nicht mehr auf Lieferschein raus, im Ladengeschäft wird bar oder mit EC-Karte gezahlt, und bei den von ihm erledigten Handwerkstätigkeiten fordert und mahnt er zügiger.“

Dass das Forderungsmanagement läuft, ist bei der Oberhaizinger GmbH im oberbayrischen Marktl von jeher selbstverständlich. Die in dem familieneigenen Schreinereibetrieb für die Buchhaltung verantwortliche Elisabeth Oberhaizinger achtet darauf, dass schon Teilleistungen zügig geltend gemacht und notfalls rasch eingetrieben werden. Die Wege in dem mit 45 Mitarbeitern großen Betrieb sind nach wie vor kurz. „Das ist sehr wichtig“, lobt Autor Meyer. Um gezielter zu akquirieren, aber auch beispielsweise Lieferungen zurückzuhalten, wenn fällige Außenstände aufgelaufen sind.

Die Transparenz hilft auch, den zweiten kritischen Bereich in den Griff zu bekommen, mit dem sich das Umlaufvermögen erhöhen lässt: das Verbindlichkeitsmanagement. Auch darum sollten Handwerker sich kümmern. „In der Krise versuchen alle, ihr Geld zu horten“, argumentiert Meyer. Haben Handwerksmeister selbst einmal bei einer Lieferung etwas zu bemängeln, sollten sie auch bei der Buchhaltung darauf reagieren – und selbst gegebenenfalls angemessen Rechnungen kürzen.

Auch in den Lagern zahlreicher Betriebe schlummern wahre Reichtümer – vor allem wenn sie nicht nur von Projekt zu Projekt ihr Material einkaufen, sondern auch produzieren, wie etwa der zunehmend ins Objektgeschäft eingestiegene Schreinereibetrieb Oberhaizinger. Juniorgeschäftsführer Hans-Martin Oberhaizinger begann daher vor wenigen Monaten damit, die Lager zu leeren. Die sind voller Span- und Dekorplatten aus Massivholz, aus denen die Produktionsmitarbeiter die Einrichtung für Bankfilialen oder Autohäuser zimmern, etwa von Audi oder Porsche. Heute breiten sich die Produktionsvorräte statt auf 300 nur noch auf 140 Quadratmetern aus. Die gewonnene Fläche kann Oberhaizinger bald sinnvoller nutzen: für die Produktion. So kann er auch den eigentlich wegen des rasanten Wachstums geplanten Neubau – in den vergangenen fünf Jahren verdoppelte die Schreinerei Umsatz und Mitarbeiterzahl – noch ein Weilchen aufschieben. Dabei liefen erste Finanzierungsgespräche bereits. „Und auch nach Grundstücken hatten wir schon Ausschau gehalten“, erinnert sich Oberhaizinger.

Ein Teil von Oberhaizingers Platten und weiteren Rohmaterialien lagert heute bei Lieferanten. Von dort entnehmen die Produktionsmitarbeiter nach Bedarf das nötige Material. „Wir bezahlen nur das, was wir verbraucht haben“, erklärt Oberhaizinger. Er nutzt hier eine Variante des Lieferantenkredits, die dem Unternehmen viel bringt: „Mindestens die Hälfte mehr Platz im Rohmateriallager, weniger Arbeit etwa beim Umstapeln und weniger gebundenes Kapital“, fasst der Junior-Chef zusammen. Dafür zahlt er einen etwas höheren Quadratmeterpreis als zuvor. Doch diese Kosten und auch den Aufwand für die Optimierung wiegen aus Oberhaizingers Sicht die gesunkenen Material- und Lagerkosten sowie die aufgeschobenen Kosten für den Neubau und die Umwandlung des Lagers in Produktionsfläche mehr als auf. „Das Bestandsmanagement lohnt sich auch deswegen, weil im Materialbestand der größte Teil unseres Umlaufvermögens gebunden ist“, berichtet Oberhaizinger.

Für viele Handwerksbetriebe würde es dagegen schon reichen, wenn sie ihr Material wirklich nur bedarfsgerecht bestellen. Ihr Sicherheitsdenken füllt oft die Lager übermäßig. Das konnte Hecker kürzlich bei einem mittlerweile pleite gegangenen Hersteller von bis zu mannshohen Zahnrädern anschauen. „Der Betrieb hielt Material und Rohlinge vor, mit dem er einzelne Artikel drei Jahre hätte produzieren können“, erinnert sich Hecker. Von jedem Vorprodukt hatte er mehrere Stück auf Lager – aber kein Geld, um seine laufenden Rechnungen zu bezahlen.

„Die Verantwortlichen sollten lieber erst analysieren, wovon sie wirklich wie viel brauchen“, rät Hecker. Für schnelldrehende – also oft benötigte oder verkaufte – Bestände oder Fertigprodukte reicht es, ausreichend Vorrat zu haben, um flüssig arbeiten und rasch liefern zu können. „Bei weniger nachgefragten Materialien oder Fertigprodukten ist es dagegen ratsam, eher knapp zu kalkulieren und lieber selbst bei Bedarf zu bestellen und zu fertigen.“

Schließlich werden auch Materialien und Produkte vom Lagern weder besser noch zahlreicher. „Sie verrotten oder werden durch bessere Nachfolge- oder Konkurrenzprodukte ersetzt“, weiß Hecker. „Und gerade üppige Vorräte bekommen auch eher mal Beine, als knappe Lagerbestände.“

Midia Nuri

cornelia.hefer@handwerk-magazin.de