Entspannung Qigong Probier’s mal mit Gelassenheit

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Um sich seine Gesundheit und Beweglichkeit zu bewahren, ließ sich Marcus Matthes von einem Shaolin-Mönch zum Qigong-Lehrer ausbilden. Von seiner neuen Entspanntheit und Kraft profitieren nicht nur seine Schüler, sondern auch die Kunden seines Friseursalons.

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    Marcus Matthes, Friseurmeister und Unternehmer aus Trebur, ließ sich zum Qigong-Lehrer ausbilden.
    © Tim Wegner
    Marcus Matthes, Friseurmeister und Unternehmer aus Trebur, ließ sich zum Qigong-Lehrer ausbilden.
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    Marcus Matthes, Friseurmeister und Unternehmer aus Trebur
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    Marcus Matthes, Friseurmeister und Unternehmer aus Trebur: »Qigong ist keine Sportart. Durch Atmung, Bewegung und Meditation schult man seinen Geist.«

Jeden Morgen betritt Marcus Matthes in bequemer Kleidung seine Terrasse. Er stellt sich aufrecht hin, den Blick nach vorn gerichtet, hält einen Moment inne. Dann setzt er sanft den linken Fuß zur Seite und formt mit den Händen, während er einatmet, eine imaginäre Energiekugel vor seinem Bauch. Diese Energie führt er mit den Handflächen nach oben bis zum Hals, dann langsam ausatmend wieder nach unten. Weich sind seine Bewegungen, leicht, fließend und ganz ohne Anstrengung. So wie es im Qigong sein soll.

„Energie holen“ heißt dieser erste von mehreren Bewegungsabläufen, die zur Shaolin-Qigong-Atemtechnik gehören. Selbst im tiefsten Winter beginnt Matthes mit dieser Übung seinen Tag, obwohl er dann meist sein Wohnzimmer mit geöffneter Terrassentür vorzieht. „Die Übung macht wach und ist wie eine innere Dusche“, beschreibt er ihre Wirkung. Schon ein paar Minuten bewussten Atmens und Bewegens reichen ihm aus, um dieses erste Wohlgefühl des Tages auszulösen. Und wie praktisch: Frische Luft und weite Kleidung – mehr Equipment braucht er zur Ausführung von Qigong nicht.

Mit Karate gestartet

Vor etwa drei Jahren hat es den Friseurmeister aus Trebur gepackt. Bei einer Fotoausstellung über das Shaolin-Kloster in China stieß er auf ein kleines Qigong-Buch des Shaolin-Mönchs und -Meisters Shi Xinggui und entschied: „Den muss ich kennenlernen!“

So ganz aus heiterem Himmel kam Matthes’ Interesse für die chinesische „Energiearbeit“, wie Qigong knapp übersetzt heißt, allerdings nicht. Seit zehn Jahren trainiert der 52-Jährige zwei- bis dreimal pro Woche Karate, hat mittlerweile die Prüfung zum 2. Dan, also dem 2. Meistergrad, absolviert. In seinem Karate-Verein schaut man gern mal über den Tellerrand. Trainer anderer Kampfkunst-Stilrichtungen, wie Ju-Jutsu oder Taekwondo, werden eingeladen, um in Wochenendkursen die verwandten asiatischen Kampfsportarten zu demonstrieren. „Qigong wurde dabei immer mal angetickt“, erzählt Matthes. „Es ist ja eine innere Kampfkunst, wo du mit dir selber kämpfst, zum Beispiel gegen deine innere Ungeduld. Beim Karate kämpfst du gegen andere.“

Matthes blieb am Ball, las über Qigong, lernte durch Videos, fuhr 2015 zum ersten Ausbildungsseminar bei Meister Shi Xinggui und hatte 2016 sein Zertifikat zum Qigong-Lehrer in der Tasche. Seitdem gehört der frühe Donnerstagabend seinen Qigong-Schülern. Schon während seiner Ausbildung konnte er Kunden und Bekannte mit seiner Begeisterung anstecken, sodass seine Kurse, die aus zwölf Einheiten à 90 Minuten bestehen, von Anfang an voll waren.


„Qigong ist keine Sportart, wie man vielleicht denken könnte.“ Es gehe eher darum, durch Atmung, Bewegung und Meditation seinen Körper und gleichzeitig seinen Geist zu schulen, erklärt Matthes. Nach dem Verständnis der jahrtausendealten traditionellen chinesischen Medizin, zu der Qigong als eine von fünf Behandlungssäulen zählt, fließt durch unseren Körper Qi, also Lebensenergie. Mit diesem Qi wird bewusst und konzentriert gearbeitet, denn ist es blockiert, können Krankheiten oder einfach nur Unausgeglichenheit entstehen.

In der Ruhe liegt die Kraft

Ganz praktisch sollen die Qigong-Stunden zur inneren Ruhe führen, Kraft geben – und natürlich auch Spaß machen. Manche Übungen dienen beispielsweise der Mobilisierung der Wirbelsäule oder der Stärkung des Kreislaufsystems. Jede Bewegung, die bestimmte Akupressurpunkte, Meridiane oder Organe anspricht, wird sehr geschmeidig und langsam ausgeführt. „Am Anfang denkt man, wie lange geht denn das noch? Man wird fast wahnsinnig“, erinnert sich Matthes lachend. „Aber wenn man länger dabei ist, wundert man sich: Oh, die fünf Minuten sind schon um?“

Seine Schüler sollen aus dem täglichen Getriebe herauskommen. Sie sollen innehalten, in sich hineinhören, Entspannung finden. Über 70 Jahre alt war sein ältester Teilnehmer, die jüngste 15. Am schönsten ist es, wenn Matthes hört, wie sie Qigong mit in ihren Alltag nehmen. Eine Teilnehmerin lässt als leitende Angestellte die Atemübungen sogar in die Mitarbeiter-Meetings einfließen.

Entspannung für den Rücken

Auch in Matthes’ eigenen Friseursalon ist ein bisschen Qigong geschwappt. Zum einen sind ihm die Aspekte Entspannung und Zur-Ruhe-Kommen auch für seine Kundschaft wichtig, zum anderen hat er seine Körperhaltung verbessert. „Das Stehen beim Arbeiten ist jetzt ein anderes als früher“, erzählt er. „Wir arbeiten meist nach vorn gerichtet, mit den Händen zum Kopf der Kundin hin.“ Das führt nicht nur bei ihm, sondern bei vielen Friseuren zu Rückenschmerzen. „Ich achte jetzt darauf, dass Fersen und Ballen gleichmäßig fest auf dem Boden stehen. Mein Becken geht nach vorn, die Wirbelsäule ist aufgerichtet und ich arbeite gerade.“ Auch sein Tennisarm vom Fönen ist passé. „Ich habe gelernt, aus dem Bauch heraus Kraft zu erzeugen.“

Seine neun Mitarbeiterinnen konnte er trotzdem noch nicht vom Qigong überzeugen. Manchmal tippt er ihnen ins Kreuz, als Signal, dass sie krumm stehen. „Jetzt ist das für die jungen Leute noch kein Problem, aber in zehn, 20 Jahren … Es ist doch leichter, den Rückenleiden vorzubeugen, als sie später zu behandeln.“ Qigong hat ihn gelassener gemacht. „Es lohnt sich doch nicht, sich über alles aufzuregen.“ Seiner Tochter, die auch im Betrieb mitarbeitet, entfuhr einmal: „Deine Gelassenheit geht mir total auf die Nerven.“ Er nahm es als Kompliment.

Zum entspannten Arbeiten

Wenn es langfristig etwas mehr Qigong und etwas weniger Friseur werden würde, hätte er nichts dagegen. „Austausch von der aktiven Arbeit zur entspannten Arbeit“, nennt er es. Denn Qigong-Lehrer zu sein bedeutet nicht nur Vergnügen. Auch hier gibt es Hand-outs zu erstellen, die Kurse inhaltlich vorzubereiten, die Webseite aufzubauen und zu pflegen. Organisatorisches und Administratives eben.

Kann man eigentlich zu viel Qigong machen? „Nee, das tut einfach nur gut!“ Deshalb nimmt er Qigong auch mit in den Urlaub. Während seine Frau morgens noch schläft, atmet er schon am Strand auf Mallorca oder formt Energiekugeln auf einer Obstwiese in Stade. „Wo es toll sein muss, das ist in den Bergen“, schwärmt er. „Die Erdenergie, diese besondere Kraft spüren. Das habe ich noch nie gemacht.“ Doch bis dahin reicht die Terrasse in Trebur.