Neue Zeitrechnung

Flexible Arbeitszeiten Sie brauchen dringend Fachkräfte und altersgerechte Arbeitsplätze? Mit dem richtigen Arbeitszeitmanagement können Sie Kapazität und Produktivität ohne Mehraufwand erhöhen.

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    Cibaria-Chefin Rike Kappler (links) gibt ihrem Team die Chance, Job und Privates zu vereinbaren.
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    Mehr Produktivität und die Erhaltung der Arbeitskraft sind bei der Einführung von Flexzeit die wichtigsten Motive.
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    Konto fürs Leben -bei Inge und Alwin Otten, Inhaber eines SHK-Betriebs in Meppen, können die Mitarbeiter Renteneinstieg und Auszeiten flexibel planen.
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    Jeder vierte Betrieb setzt im gewerblichen Bereich noch auf starre Arbeitszeiten, jeder zehnte bezahlt die Überstunden nach wie vor aus.

Neue Zeitrechnung

Bei der Cibaria GmbH in Münster hat jeder Wochentag seinen eigenen Charakter. „Montag und Dienstag sind vergleichsweise ruhig, denn die Wochenmärkte beginnen erst am Mittwoch“, erklärt Bäckermeisterin Rike Kappler den Arbeitsrhythmus ihres Unternehmens. Freitag und Samstag dagegen werde „meist jede Hand gebraucht, in der Produktion ebenso wie im Verkauf“. Die Bio-Vollkorn-Bäckerei hat zwar nur ein Ladengeschäft in der Innenstadt, ist aber durch etliche mobile Verkaufsstände regelmäßig auf etwa 15 Märkten in der Stadt und im Münsterland präsent. Dieses seit 20 Jahren gewachsene System verlangt „von Mitarbeitern wie Führungskräften ein hohes Maß an Flexibilität“, wie die Firmenchefin bekennt. Dass am Ende der Woche die im Arbeitsvertrag vermerkte Regelarbeitszeit auf einem Stundenzettel stehe, sei eher die Ausnahme.

Flexibel planen mit Zeitkonten

„Bis vor zehn Jahren haben wir Mehrarbeit monatlich sofort mit dem Gehalt abgegolten“, blickt die Bäckermeisterin zurück. Doch das erwies sich als zu starr und aufwändig. „Seit 2002 führen wir Zeitkonten, bei denen Mehr- und Minderstunden miteinander verrechnet werden“, so die Inhaberin. Die drei Bereichsleiterinnen achten darauf, die Zeitkonten durch vorausschauende Einsatzplanung nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Gelinge dies in Einzelfällen nicht, zum Beispiel aufgrund längerer Krankheitsvertretung, werde spätestens zum Quartalsende ausgeglichen: durch freie Tage oder eine Sonderzahlung.

Was bei der Bio-Bäckerei seit Jahren glänzend funktioniert, wird „in den nächsten Jahren rasant an Bedeutung gewinnen“, prophezeit Ingra Freigang-Bauer vom RKW Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft in Eschborn. Um Klein- und Mittelbetriebe für die mit dem Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel verbundenen Herausforderungen zu rüsten, wurde im vergangenen Jahr das vom Arbeitsministerium geförderte Modellprojekt „Arbeits-Zeit-Gewinn“ gestartet (siehe Interview).

Beruf und Familie besser verbinden

So wird es nach Einschätzung von Diplom-Soziologin Freigang-Bauer für die Betriebe künftig nicht nur darum gehen, flexible Zeitmodelle für eine zunehmend älter werdende Belegschaft zu finden, sondern auch die Attraktivität der Arbeitsplätze in den Kleinbetrieben zu erhöhen. Dass dies sogar in einer Branche mit starkem Wettbewerbsdruck und permanentem Nachwuchsmangel funktionieren kann, zeigen die Vollkornbäcker der Cibaria GmbH eindrucksvoll: 36 der 38 Mitarbeiter sind Frauen, eine fast ausschließlich weiblich besetzte Backstube ist eine echte Rarität in der Branche. Schließlich zählt der Bäckerberuf mit einem Frauenanteil von weniger als 25 Prozent zu den typischen Männerdomänen. „Was weniger an der Arbeit liegt, als vielmehr an den Rahmenbedingungen, insbesondere der schwierigen Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, ist Rike Kappler überzeugt.

Ihr Gegenrezept, für das sie im Herbst von der Handwerkskammer Münster mit dem Sonderpreis im Wettbewerb „Gesundheit und Familie zählt“ ausgezeichnet wurde: „Wir versuchen im Team, für jede Mitarbeiterin eine Arbeitszeitregelung zu finden, die mit ihrer persönlichen Lebenssituation vereinbar ist“, erklärt die Unternehmerin. Dabei werde freilich nur selten hundertprozentige Deckungsgleichheit erreicht, schränkt die 52-Jährige ein. Doch oft helfe den Frauen schon ein Entgegenkommen, „um für den fehlenden Rest Lösungen im privaten Umfeld zu organisieren“, bestätigt Gisela Goos von der Handwerkskammer Münster.

Zwei Drittel der Cibaria-Beschäftigten arbeiten zudem in Teilzeit, bis hinein in die Führungsebene. So kommt die stellvertretende Produktionsleiterin Ute Kaulitz nur montags, mittwochs und freitags in den Betrieb. „Das funktioniert, weil die Organisation und Motivation im Team stimmen“, ist sich die Mutter einer zehnjährigen Tochter mit ihrer Chefin einig.

Wenig Interesse an Flexzeit

Trotz der eindeutigen Vorteile für Betrieb, Mitarbeiter und Kunden sind längst noch nicht alle Firmenchefs von der Einführung flexibler Arbeitszeiten überzeugt. Wie eine Umfrage des RKW Hessen im Rahmen des Modellprojekts „Arbeits-Zeit-Gewinn“ zeigt, haben 58 Prozent der befragten Betriebe kein Interesse an einer Veränderung der bestehenden Arbeitszeitregelung, nur 28 Prozent sind konkret an einer Arbeitszeitberatung interessiert.

Wie schnell das Thema akut werden kann, erleben Inge und Alwin Otten, Inhaber eines Kälte-, Klima- und Elektrofachbetriebes in Meppen, gerade hautnah. „Ein über Jahrzehnte treuer und sehr engagierter Mitarbeiter stieß mit 62 zunehmend an körperliche Grenzen und musste sich immer häufiger krank melden“, erklärt der Elektromeister. Sehr gern wäre der Senior vorzeitig in Rente gegangen, konnte sich das aufgrund hoher Abschläge jedoch nicht leisten.

Angst vor der Altersfalle

„Das hat uns zu denken gegeben“, bekennt Inge Otten, „zumal die Rente sich weiter nach hinten verschieben, das Rentenniveau sinken und unsere in den letzten Jahren stark gewachsene, heute noch relativ junge Belegschaft fast geschlossen älter werden wird.“ Bei der mühsamen Suche nach Auswegen wurde das Unternehmerehepaar schließlich durch den Tipp eines Kollegen fündig: Seit März 2010 bietet die Alwin Otten GmbH ihren Beschäftigten die Möglichkeit, in ein Lebensarbeitszeitkonto zu investieren.

In diese Sparanlage können Mitarbeiter vom Bruttolohn beispielsweise monatliche Festbeträge, Überstunden oder auch Sonderzahlungen inklusive der Arbeitgeber-Sozialbeiträge fließen lassen. In späteren Lebensphasen lassen sich diese Ersparnisse wieder als Einkommensquelle abrufen. „Je nach Ansparbetrag erhalten Beschäftigte so die Chance, etwa vorzeitig in Rente zu gehen, ihre Elternzeit zu verlängern oder auch eine Auszeit für die Pflege eines Familienmitglieds zu nehmen“, nennt Harald Röder von der Deutschen Beratungsgesellschaft für Zeitwertkonten (DBZWK) einige Einsatzmöglichkeiten (siehe auch Online exklusiv Seite 37).

Der Spezialist hat das Vorsorgemodell für den Meppener Handwerksbetrieb federführend mit entwickelt und seine Einführung begleitet. „In einer Mitarbeiterversammlung stellten wir das Konzept vor und beantworteten Fragen“, berichtet Röder. Anschließend konnten Interessenten die Details in einer Broschüre nochmals in Ruhe zu Hause nachlesen.

Sämtliche Kosten für Einführung und Unterhaltung des Kontos trägt das Unternehmen. Neben dem vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Insolvenzschutz, der über ein Treuhandmodell sichergestellt wird, garantiert die Firma zudem eine dreiprozentige Verzinsung. „Für den Fall, dass das gewählte Anlageprodukt, ein Zeitwertfonds, weniger erwirtschaftet, schießen wir die Differenz zu“, erläutert Inge Otten das selbst gewählte Modell. Liege der tatsächliche Ertrag über drei Prozent, komme der Mehrbetrag indes dem Unternehmen zugute. Darüber hinaus sollen aktive Sparer mit einem Bonus von jährlich 300 Euro aus der Firmenkasse motiviert werden, dauerhaft am Ball zu bleiben.

Das Angebot kommt an: Drei Viertel der 55 Beschäftigten sparen bereits in das Vorsorgemodell. Die Ausgaben sehen die Unternehmer als lohnende Investition. „Langfristig werden wir Geld sparen“, ist der Geschäftsführer überzeugt, „weil wir Mitarbeiter stärker an uns binden und in verschiedensten Lebenssituationen attraktive Lösungen anbieten können.“

kerstin.meier@handwerk-magazin.de

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