Korsett für Handwerker

Die EU-Kommission plant europaweit einheitliche Normen für Dienstleister. Handwerksbetriebe befürchten neue Belastungen und ein Aushöhlen der Handwerksordnung. Was auf die Betriebe zukommt.

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    Lichttechniker Uwe Teichert aus Leipzig hat keine Angst vor den EU-Normungen: „Ich vertraue auf die Qualität deutscher Handwerker.“
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    Seit Jahren bemühen sich Arbeitsgruppen in Berlin und Brüssel darum, die Bürokratiekosten für Unternehmen zu senken. Erfolg stellt sich erst langsam ein.

Korsett für Handwerker

Sie haben wieder einmal große Pläne gemacht, die Damen und Herren der Europäischen Kommission in Brüssel. Im Juni kündigten sie an, dass künftig auch Dienstleistungen europaweiten Normen unterliegen sollen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) warnte in einem Brief an Abgeordnete im Europaparlament sogleich, man solle es lieber dem Wettbewerb überlassen, Dienstleistungen zu verbessern. Europaweite Normen führten in der Regel eher zu einem „Absinken bestehender Qualitätsniveaus“.

Service nach EU-Norm

Grund für die Aufregung: Treten die nun geplanten Dienstleistungsnormen in Kraft, müssten zum Beispiel nicht mehr nur die Fenster und Türen selbst, die ein Tischler herstellt, gemäß EU-Standards gebaut sein, so wie es geltende Richtlinien bereits heute vorsehen. Auch der Montage-Service wäre genormt. In ihren Dienstleistungsnormen könnten die EU-Beamten zum Beispiel festlegen lassen, welche Qualifikation ein Fens-terbauer mitzubringen hat, an welche Arbeitsschutzrichtlinien sich das Unternehmen beim Einbau halten muss. Und dass auch die Reinigung der Scheibe zur Fenstermontage gehört. „Ein Zeichen für Wirtschaftswachstum“ wolle man so setzen, betont EU-Kommissar Tajani. Seine Idee: Auch für Dienstleistungen einen grenzenlosen EU-Binnenmarkt schaffen.

Noch sind die Pläne nicht konkret (siehe Seite 19 „Der Weg zum Service-Standard“). Doch Handwerksvertreter fürchten bereits, dass ein erheblicher Mehraufwand auf die Betriebe zukommen könnte. In Deutschland, so ihr Argument, seien Dienstleistungen von Handwerkern nämlich bereits über Handwerksordnung, Zulassungspflicht und Kammerzwang schließlich bis ins Detail geregelt. Zusätzliche Normen mithin überflüssig. „Das brauchen wir nicht“, sagt ein Kammer-Vertreter hinter vorgehaltener Hand.

So sieht das auch Uwe Teichert, Geschäftsführer der Leipziger Firma NEL Neontechnik und Anlagenbau. Der Unternehmer, der unter anderem Elektriker, Schilder- und Licht-Reklamehersteller, Glasbläser und Maler beschäftigt, findet: „Ordentliche Betriebe wissen, welche Qualitätsstandards sie einhalten müssen.“ Dafür brauchen wir nicht die EU.

Dienstleistungsnormen wären nicht die ersten Gesetze und Richtlinien aus Brüssel, mit denen sich Handwerksbetriebe herumschlagen müssen. Seit kurzem erst haben sie mit den technischen EU-Normen und CE-Kennzeichen für ihre Erzeugnisse zu tun, müssen „Konformitätserklärungen“ für ihre Produkte formulieren. Rund 20000 solcher Normen gibt es bereits, sagt Rainer Neumann, Leiter Gewerbeförderung beim ZDH in Berlin. „Angesichts der Größe des Dienstleistungssektors fürchten wir, dass das Ausmaß möglicher Normungsaktivitäten hier noch weit darüber hinausgehen wird.“

EU-Norm für Föhnfrisuren

Besonders Handwerker, deren Arbeit stark aus Dienstleistungen besteht, sorgen sich. Die Friseure zum Beispiel: „Friseurdienstleistungen müssen individuell bleiben“, sagt Andreas Popp, Präsident des Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks (ZV). Die EU-Pläne, schimpft der Funktionär, gingen an der Realität vorbei.

Auch Friseurmeister Udo Luy aus Köln ist genervt, dass er sich ständig über die neuesten Gesetze und Vorschriften auf dem Laufenden halten muss - als Nächstes womöglich auch noch über EU-Standards fürs Waschen, Legen, Föhnen. „Das ist gerade für kleine Unternehmen mit wenigen Mitarbeitern kaum zu bewältigen“, sagt Luy. Neuerdings legt er allen Mitarbeitern ein Standardschreiben vor, bevor er ihre Daten Monat für Monat an Bundesknappschaft, Krankenkasse und Steuerberater weitergibt. Ohne Einwilligung der Angestellten darf er die Informationen nämlich nicht preisgeben, obwohl andere Behörden sie brauchen. „Unsinnig“, findet Luy das.

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Edmund Stoiber, seit 2007 für den Bürokratieabbau in der EU verantwortlich, hält dagegen (siehe Interview). Er sieht in europaweiten Dienstleistungsnormen sogar die Chance, Unternehmern Papierkram zu ersparen. Tausende unterschiedlicher nationaler Standards, in jedem Land andere, machten Chefs das Leben viel schwerer als ein einheitlicher für ganz Europa.

Überall andere Regeln

Dieser Meinung ist auch Klaus Wellner, Geschäftsführer des gleichnamigen Elektrotechnik-Betriebs aus dem sächsischen Gerichshain. Seit 20 Jahren installiert seine Firma Telefonanlagen und Computernetzwerke in Unternehmen und Behörden, in fast jedem europäischen Land waren die Monteure schon tätig. „Bei jeder Baustelle müssen wir uns auf neue Rahmenbedingungen einstellen“, sagt Wellner. In Irland etwa müssen seine Mitarbeiter einen Führerschein für Hebebühnen ablegen. Anderswo sollen alle Warnwesten tragen. „In Frankreich werden meine Mitarbeiter nochmals über die Sicherheitsauflagen belehrt“, erzählt Wellner. „Damit jeder das versteht, habe ich zuletzt einen Französischstudenten aus Leipzig mitgeschickt. Zum Übersetzen.“ Wellner hofft, dass EU-weite Dienstleistungsnormen, auf die richtigen Bereiche angewandt, dieses Regel-Dickicht lichten könnten.

Die EU, sagt Teichert, habe Handwerkern aber auch viel Positives gebracht. Als er vor elf Jahren die ersten Aufträge in Polen annahm, das damals noch nicht zur EU gehörte, hätten nicht nur die NEL-Lastwagen regelmäßig stundenlang vor der Grenze gewartet. Auch Zollverfahren und Genehmigungen hielten den Unternehmer auf. „Der bürokratische Aufwand war immens“, erinnert sich Unternehmer Teichert. „Das ist heute viel einfacher.“ Das mag für den Exporteur gelten, dem Friseur wird die neue Freizügigkeit indes nicht so viel nützen.

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