Keine Angst vor dem Mindestlohn

Arbeitskosten Wo es im Handwerk Lohnuntergrenzen gibt, kommen die meisten Unternehmen gut damit klar. Das beweisen aktuelle Studien. In der Politik sind Mindestlöhne weiter umstritten, zumindest gesetzliche.

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    © Matthias Jung
    Vorkämpfer und Verfechter tariflicher Mindestlöhne: Manfred Schröder, Dachdeckermeister in Köln-Rodenkirchen.
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    © Chart: handwerk magazin
    Westdeutschland liegt mit Arbeitskosten von 36,28 Euro je Stunde auf Platz sechs der Rangliste, zwei Jahre zuvor stand es auf Platz drei.

Keine Angst vor dem Mindestlohn

Manfred Schröder findet Mindestlöhne gut. Er hat kein Problem mit der Verordnung, die Ende 2011 vom Bundeskabinett gebilligt wurde und seit dem 1. Januar gilt. Für das Dachdeckerhandwerk schreibt sie flächendeckend einen um 20 Cent auf 11 Euro steigenden Mindestlohn vor. Schröder, Dachdeckermeister und Chef der Firma Bedachungstechnik Schröder GmbH, bezahlt sowieso deutlich über Tarif. Schon ungelernte Hilfskräfte verdienen bei ihm über 14 Euro die Stunde. Sein Unternehmen mit 60 Mitarbeitern, darunter fünf Meister, 14 Vorarbeiter und acht Azubis, ist im Ballungsraum Köln/Bonn angesiedelt. „Würde ich in dieser Region auf tariflichem Niveau bezahlen, würden mir die Mitarbeiter davonlaufen“, erklärt er.

Seit Ende vergangenen Jahres haben Mindestlöhne im Handwerk zudem den Segen der Wissenschaft. Denn seither liegen sogenannte „Evaluierungsstudien“ vor, die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen in Auftrag gegeben hat. Zum Beispiel hat das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen für das Elektro- und für das Maler- und Lackiererhandwerk untersucht, wie sich der Mindestlohn auf Arbeitskosten, Arbeitsplätze und Wettbewerbskraft der Betriebe auswirkt. Fazit, jenseits einzelner Abweichungen: Die Handwerksbetriebe müssen nur selten negative betriebswirtschaftliche Folgen befürchten. Professor Bernhard Boockmann, Leiter der Studie (siehe auch Interview): „Die Wirkungen auf die Lohnkosten sind zu vernachlässigen, und Beschäftigungsverluste infolge der Mindestlöhne sind nicht festzustellen.“

Soziale Verantwortung

Das Ergebnis überrascht Unternehmer Schröder nicht. Er war Initiator und Vorkämpfer für Mindestlohnregelungen in der Branche. In seiner Zeit als Präsident des Zentralverbandes des Dachdecker-Handwerks saß er auch der Tarifkommission vor, die schon 1997 einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn von knapp über acht Euro im Westen und knapp unter acht Euro im Osten aushandelte. Seit dem Jahr 2002 gibt es auch keinen Ost-West-Unterschied mehr. „Eine gute Entwicklung, mit der das Dachdecker-Handwerk seiner sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung nachkommt“, kommentiert Schröder. Insbesondere befürwortet der ehemalige Verbandschef und heutige Obermeister der Dachdecker-Innung Köln das einheitliche Niveau zwischen Ost und West. „Wettbewerbsverzerrungen bei Ausschreibungen nicht nur im ehemaligen Grenzgebiet konnten damit abgebaut, Abwanderungen von Arbeitnehmern von Ost nach West reduziert werden“, erklärt Schröder.

Allerdings nicht gänzlich. Der ehemalige Tarifpolitiker beklagt, dass eine flächendeckende Durchsetzung des Mindestlohns in der Praxis noch nicht vollständig gelungen ist. Schröder: „Ich würde mir wünschen, dass die zuständigen Zollämter häufiger prüfen und Verstöße rigoros mit Nachzahlungen und Strafen belegen.“ Denn nach wie vor nutzen einige Betriebe aus, dass behördliche Kontrollen zur Einhaltung der gesetzlichen Regelungen eher sporadisch stattfinden. „Natürlich gibt es auch bei uns einzelne Betriebe, die den Mindestlohn unterschreiten oder umgehen“, bestätigt Ulrich Marx, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Dachdecker-Handwerks. Marx arbeitet deshalb eng mit den Zollbehörden zusammen, um das Kontrollnetz möglichst dicht zu halten.

Mehr Kontrollen

Im Bauhauptgewerbe ist die Situation noch gravierender. Die Scheinselbständigkeit nimmt rasant zu, auf diese Weise werden Mindestlohnregelungen unterlaufen, Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer hinterzogen und ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile erzielt. „Im Phänomen der Scheinselbständigkeit sehe ich eine ernsthafte Bedrohung unseres Wirtschaftszweiges“, konstatiert Frank Dupré, Vizepräsident des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe.

Doch abgesehen von diesen Probleme erweisen sich unterm Strich flächendeckende, tariflich vereinbarte Lohnuntergrenzen im Handwerk als ein breit akzeptiertes und in vieler Hinsicht erfolgreiches Instrument. Insbesondere weil es mehr Wettbewerbsgerechtigkeit herstellt. „Nach meiner Einschätzung hat der Mindestlohn deutlich dazu beigetragen, dass die Ausreißer in Ausschreibungen nachgelassen haben - es zeigt sich ein ausgewogenes Bild mit den üblichen kalkulatorischen Spielräumen“, berichtet zum Beispiel Guido Müller, Malermeister mit 33 Mitarbeitern in Berlin. Er geht davon aus, dass Betriebe, die den Mindestlohn nicht bezahlen, sich in der Regel nicht an größeren Ausschreibungen beteiligen. Sie strecken schon im Vorfeld die Waffen, weil sich seriöse Auftraggeber die Einhaltung von Mindestlohnregelungen vertraglich zusichern lassen.

Aus den Handwerksverbänden wird diese Einschätzung bestätigt. „Der Mindestlohn setzt Preisunterbietungsstrategien zumindest gewisse Grenzen“, beobachtet Frank Dupré vom Zentralverband Deutsches Baugewerbe. „Mindestlöhne haben in unserem sehr personalkostenintensiven Handwerk einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung von fairen Wettbewerbsbedingungen geleistet“, ergänzt Werner Loch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Farbe, Gestaltung und Bautenschutz.

Staat soll sich raushalten

Davon geht auch Dachdeckermeister Manfred Schröder aus. Allerdings komme es natürlich auf die Höhe des Mindestlohns an. Der Firmenchef ist, wie die meisten Unternehmer im Handwerk, ein Verfechter branchenindividueller tariflicher Vereinbarungen. Schröder ist überzeugt: „Der Staat sollte die Rahmenbedingungen setzen, sich aber bei der Festlegung des Lohnniveaus heraushalten.“ Mit dieser Ansicht liegt der Handwerksunternehmer voll auf der Linie der Bundesregierung, die einen gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn bis jetzt ablehnt.

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