Jeremy Rifkin: "3D-Druck stärkt den deutschen Mittelstand"

Internet, Energie, Arbeitswelt: Wir erleben den größten Umbruch seit Beginn des Kapitalismus, sagt der Zukunftsforscher und Regierungsberater Jeremy Rifkin. Und Deutschland ist ganz vorne mit dabei. Fortsetzung des Interviews in der Mai-Ausgabe.

Jeremy Rifkin
Jeremy Rifkin, Wirtschaftswissenschaftler, Buchautor und Berater der Bundesregierung - © Campus Verlag

Stichwort Energie. Was man in Deutschland sieht, ist einerseits die Dezentralisierung: Menschen produzieren selbst Energie, nutzen sie oder speisen sie ein. Aber gleichzeitig merkt das Land, dass es nationale und sogar europäische Netze braucht, um den erneuerbaren Strom in alle Regionen zu tragen. Da wird also auch zentralisiert.

Rifkin: Heute wollen die führenden Parteien in Deutschland in ein anderes Energiezeitalter aufbrechen, mit neuer Technologie, neuer Infrastruktur, neuen Geschäftsmodellen. Mehr als ein Viertel des Stroms ist schon grün, 2020 dürften es 35 Prozent sein. An einem Frühlingssonntag waren es schon mal 75 Prozent, sodass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt von Sonne und Wind angetrieben wurde.

Aber das bringt auch große Probleme mit sich. RWE, E.on und Co., diese integrierten Kraftwerks- und Verteilriesen des 20. Jahrhunderts, erfahren das gleiche Schicksal wie die Musikindustrie, wie Zeitungen und Buchverlage. Sie sind teilweise noch im alten Geschäft, produzieren aber nicht die Elektrizität für die nächste industrielle Revolution. Das tun vielmehr kleine Produzenten und Kooperativen, Millionen von Leuten. Da gibt es viele kleine Gemeinschaften, die zu niedrigen Zinsen das nötige Kapital erhalten und die neue Technologie einsetzen.

Die Stromriesen schaffen weniger als sieben Prozent der erneuerbaren Energie, weil sie auf der Idee zentralisierter Energie fußen. Sie können nicht Millionen kleiner Produzenten zusammenbringen. Und jetzt schon gilt: Hat man einmal für sein Solarpanel bezahlt oder für die Windturbine, dann ist die Produktion nahezu umsonst. Sonne und Wind schicken keine Rechnung, man muss nur das Solarpanel und die Turbine sauber halten. Auf Dauer haben fossile und nukleare Energie, deren Preise langfristig steigen, keine Chance.

Und doch hat Deutschland riesige Probleme bei den Kosten.

Deutschland hat vieles richtig gemacht, die Einspeisevergütung, die Umwandlung von einer Million Gebäuden in Minikraftwerke. Aber es hat kurzfristig auch erhebliche Probleme.

Man hat das Energie-Internet nicht vorangebracht. Das Netz ist 60 Jahre alt, geht nur in eine Richtung, vom Lieferanten zum Nutzer, und verliert viel Strom auf dem Weg. Es war eben nicht dafür gemacht, dass Millionen kleiner Mitspieler den Strom teilen. Das muss nun geändert werden. Und die Preise? Nun, während die Großhandelspreise sinken, steigen aufgrund der Einspeisevergütung die Verbraucherpreise – wovon viele Unternehmen wiederum befreit sind. Das ist aber nur ein kurzfristiges Phänomen.

Deutschland ist auf dem Weg, das erste Null-Grenzkosten-Land bei Energie zu werden. Das wäre ein Riesensprung für die Produktivität und die heimische Industrie.

Aber derzeit haben die USA einen riesigen Preisvorsprung, gerade beim Gas.

Amerika hat ein Fenster von vielleicht fünf Jahren mit dem Fracking-Gas. Die großen Investoren haben schnell alle wichtigen Vorkommen gekauft. Da gibt es schon eine Blase. Es dauert nämlich nur eineinhalb Jahre, die jeweils kleine Menge Gas aus einem Vorkommen herauszuholen. Ölquellen sprudeln dagegen Jahrzehnte. Und die Gaspreise sind so stark gesunken, weil gerade jedes Vorkommen angezapft wird. Aber eine Studie zeigt schon, dass 2019 die Preise wieder steigen werden, weil die lukrativsten Vorkommen dann weitgehend ausgeschöpft sind.

Und – nutzen die USA diese gekaufte Zeit?

Nein, wir speisen derzeit Gas, die Energieform des 20. Jahrhunderts, in die Netze ein. Doch in zehn Jahren werden weltweit viele Millionen Produzenten grünen Strom bereitstellen, Technologieparks, Fabriken, Privathäuser, Nachbarschaftskooperativen. Und in einem Vierteljahrhundert wird ein großer Teil der Menschheit, vielleicht mehr als eine Milliarde Menschen, seine Energie produzieren und übers Internet der Dinge teilen – so wie es Milliarden Leute heute mit Informationen machen.

Es hat 24 Jahre gedauert, bis 40 Prozent der Menschheit zu Nutzern und Bereitstellern virtueller Güter über das World Wide Web wurden. Noch mal so lange, und die meisten können auch die Energie herstellen und teilen.

Kurzfristige Probleme, aber langfristig die Erlösung. Scheint zu schön, um wahr zu sein.

Was ich außerdem erwarte: Das Internet für Transport und Logistik wird sich in dieser Zeitspanne ebenfalls entwickeln. Schon nutzen Millionen junger Leute Carsharing, und innerhalb von 15 Jahren werden diese Autos elektrisch oder mit Brennstoffzellen fahren, angetrieben von erneuerbarer Energie, wahrscheinlich fahrerlos und hergestellt im 3-D-Drucker. Der 3-D-Druck hat mich wirklich überrascht. Da gibt es schon Tausende Hobbyproduzenten und Start-ups, und die Deutschen haben tolle Leute, die mit dem Silicon Valley konkurrieren können, weil es hier so viele Präzisionshersteller unter den Mittelständlern gibt.

Die Software ist umsonst, die Grenzkosten sind nahe null. Es ist wie bei virtuellen Gütern, weil Menschen sie füreinander schaffen. Und viele dieser Fabrikationslaboratorien, kurz fab labs, nutzen ihr eigenes recyceltes Material wie Papier, Plastik oder Metall. Die amerikanische Regierung überlegt schon, in jeder Schule ein fab lab einzurichten. Die heutigen Kinder wachsen auf und schaffen alle Arten neuer Software, um 3-D-gedruckte Produkte zu kreieren und zu teilen – so wie ihre Eltern als Heranwachsende mit neuer Software experimentierten, um virtuelle Produkte fürs Internet herzustellen.

Dieser Teil Ihrer Vision mag deutschen Mittelständlern Auftrieb geben. Aber die Autoindustrie hätte ein riesiges Problem.

Das Auto ist der Kernbestandteil der Wirtschaft im 20. Jahrhundert. Und unsere Generation glaubte daran, Autos zu besitzen. So wurden wir Teil des kapitalistischen Eigentumsmarkts. Aber sämtliche jungen Leute, die ich kenne, wollen kein Auto kaufen. Sie wollen Zugang, sie wollen Mobilität statt Eigentum. Larry Burns, ehemals die Nummer zwei bei General Motors, hat das in einer Studie mal für eine kleinere Stadt ausgerechnet: Durc h GPS-Führung und Carsharing kann man dieselbe Mobilität mit 80 Prozent weniger Autos erreichen. Und von den verbleibenden 20 Prozent werden mehr und mehr mit erneuerbarem Strom fahren ...

... atemberaubend. Sie reden über riesige Verwerfungen und haben am Ende immer eine optimistische Vision. Aber viele Menschen sehen diesen Wandel, und auch wenn sie ihn nicht als so allumfassend wahrnehmen wie Sie selbst, fürchten sie doch, dass über alldem die Ungleichheit weiter steigt. Dass eine dauerhafte Unterklasse entsteht, wenn Fabrikarbeiter und Manager, wie bei den Autos prognostiziert, ihre Jobs verlieren. Müssen wir uns auf den großen Bruch in der Gesellschaft gefasst machen?

Möglich ist das. Es hängt davon ab, wie wir auf all das antworten. Natürlich kämpfen viele Unternehmen – Telekomfirmen, Kabelanbieter, Energieproduzenten – gegen Netzneutralität. Sie wollen unterschiedlichen Kunden unterschiedliche Qualität bieten und unterschiedliche Preise abverlangen. Auch die Frage, wem die Daten gehören, spielt da hinein.

Ich bin nicht naiv, aber vorsichtig hoffnungsvoll. Schauen Sie auf die Musikindustrie. Diese Riesenbranche hat alles versucht, neue Gesetze, neue Datenverschlüsselung, aber es hielt junge Leute nicht davon ab, ihre Musik zu teilen. Zeitungen waren nicht gerade froh über Millionen Blogger, die eigene Nachrichten schufen und teilten, abhalten konnten sie sie aber nicht. Und das mächtige Fernsehen konnte YouTube nicht stoppen.

Noch schauen viele Menschen fern.

Aber wenn bei diesen riesigen Konzernen des 20. Jahrhunderts nur zehn Prozent der Nutzer wegbleiben, dann sind sie schon verwundbar, weil die Gewinnraten so gering sind. Das sieht man jetzt auch im Einzelhandel. Netzhändler haben dagegen Grenzkosten von fast null, und kein Angehöriger der Millennium-Generation kauft noch im Laden. Sie gehen da noch hin, um was anzuprobieren oder anzusehen. Und dann scannen sie das Produkt mit ihrem Smartphone und kaufen es übers Netz. Fit lift nennt man das.

Akzeptiert, dass der Widerstand vieler alter Industrieriesen zwecklos sein wird. Aber wenn unser Wirtschaftssystem auf einer Idee beruht, dann doch der, dass die große Mehrheit der Menschen ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen kann. Und das ist auch tief eingewoben in unsere Demokratie. Wie soll dieses Modell überleben, wenn die Fähigkeiten der meisten Menschen am Markt nicht mehr gebraucht werden?

Mit der Zukunft der Arbeit habe ich mich nun wirklich beschäftigt. Die erste industrielle Revolution im 19. Jahrhundert beendete die Sklavenarbeit. Im 20. Jahrhundert ließ die zweite industrielle Revolution die Arbeit in der Landwirtschaft und im Handwerk dramatisch schrumpfen. Die dritte Revolution im 21. Jahrhundert wird der massenhaften Lohn- und Gehaltsarbeit ein Ende setzen. Aber das dauert ein halbes Jahrhundert. Schon jetzt gibt es Fabriken ohne Arbeiter und ohne Licht. Manche Büros und Händler gehen schon in Richtung automatisierter Datenverarbeitung und Stimmerkennung. Jetzt werden Jobs automatisiert, die professionelle Fähigkeiten verlangen, und daher beginnt sich die geistige Elite zu sorgen. Ökonomen sagen, dass steigende Produktivität mehr Jobs schafft, als sie zerstört. Aber jetzt sieht man: Wir brauchen nicht mehr all die Anwälte, Buchhalter oder Radiologen, weil es Datenanalyse mittels Algorithmen gibt.

 

Vita Jeremy Rifkin
1945 kam er in Denver als Fabrikantensohn zur Welt. Er wuchs in Chicago auf und studierte in Philadelphia an der Wharton School Ökonomie.
1977 gründete er eine Stiftung in Washington, um große Trends zu beobachten. Er machte sich bald als Gegner von Gentechnik und Klonen einen Namen.
1995 warnte er davor, dass die IT eine Massenarbeitslosigkeit auslösen könne, und bringt den dritten Sektor der Sozialwirtschaft in die Debatte.
2014 erscheint sein Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft . Er ist Berater vieler Regierungen, auch der deutschen.