Hochschulen für Handwerker

Zugehörige Themenseiten:
Studium

Weiterbildung Handwerker können inzwischen an den meisten Unis studieren. Aber 119 Studiengänge haben eine handwerksspezifische Ausrichtung. Das ergab eine Exklusivumfrage von handwerk magazin.

  • Bild 1 von 5
    © Jens Nieth
    Elektromeister Sven Thiel führt zwei Unternehmen und studiert gleichzeitig Wirtschaftsingenieurwesen.
  • Bild 2 von 5
    © Chart: handwerk magazin
    Die Uni lockt: 2011 nahmen 15,8 Prozent mehr junge Menschen ein Studium auf als im Jahr zuvor, die Zahl der Azubis stieg nur um 1,7 Prozent.
  • Bild 3 von 5
    © Kortstock
    „Hochschulen müssen sich stärker für Berufstätige öffnen.“Michael Kortstock, Professor und Präsident der Hochschule München.
  • Bild 4 von 5
    © Jens Nieth
    „Ein Studium bringt fachlich mehr Tiefe als Weiterbildungen.“Sven Thiel, Handwerksunternehmer, studiert berufsbegleitend.
  • Bild 5 von 5
    © Chart: handwerk magazin
    Deutliche Unterschiede herrschen zwischen Handwerker- und Akademikergehältern, selbst wenn es bei Handwerkern um Führungskräfte geht.

Hochschulen für Handwerker

Elektromeister Sven Thiel ist Geschäftsführer von gleich zwei Handwerksbetrieben: der Thiel Elektro- und Solartechnik GmbH in Homberg und der Thiel Solar GmbH in Lippstadt. Doch das scheint ihn nicht auszufüllen, denn Thiel studiert gleichzeitig noch.

Warum er sich das antut? „Weil die Technik in meiner Branche immer komplexer wird und ich mich als Handwerksunternehmer fit machen will für den großen Markt der regenerativen Energien“, antwortet der 40-jährige Unternehmer. Er hat sich für den Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen-Gebäudesystemtechnologie“ eingeschrieben, den die Handwerkskammer in Arnsberg in Kooperation mit der Fachhochschule Südwestfalen geschaffen hat. Nun sitzt er jeden Samstag im Hörsaal, paukt jeden Abend zuhause und wird sich nach neun Semestern mit dem Titel Bachelor schmücken können.

In vielen Handwerksberufen sind die Anforderungen in den letzten Jahren gewaltig gestiegen: Elektrohandwerker vernetzen Gebäude mit intelligenten Systemen, Kfz-Handwerker warten Hightech-Fahrzeuge oder Bauhandwerker fertigen Häuser, die mehr Energie erzeugen als ihre Bewohner verbrauchen. Gleichzeitig sind Handwerksbetriebe inzwischen Unternehmen, die professionell geführt werden müssen, um am Markt zu bestehen. Wer sich da als Meister nicht mehr ausreichend qualifiziert sieht, dem bieten Hochschulen eine Fülle von Studiengängen in den Bereichen Technik, aber auch Unternehmensführung an. handwerk magazin hat die handwerksspezifischen Studiengänge exklusiv zusammengestellt. Die Übersicht gibt es im Internet (siehe Online exklusiv).

Aufgelistet sind 119 Studiengänge, die in Kooperation mit einer Handwerkskammer oder einem handwerklichen Fachverband angeboten werden. Natürlich können Handwerksmeister nahezu alles studieren, was an deutschen Hochschulen angeboten wird. Doch handwerk magazin hat die Studiengänge herausgefiltert, die gezielt Handwerker ansprechen, und hat deshalb bei den Handwerkskammern und den handwerklichen Fachverbänden nachgefragt, wer mit welcher Hochschule zusammenarbeitet und einen entsprechenden Studiengang anbietet.

In der Mehrheit sind das duale Studiengänge, hier gibt es bundesweit 58, die für einen Handwerksberuf konzipiert sind. 45 Vollzeitstudiengänge und 16 berufsbegleitende Studiengänge machen das Angebot für Handwerker komplett.

Die Studienfächer sind so vielfältig wie das Handwerk selbst, wobei bei den Vollzeitstudien die fachlichen überwiegen, angefangen vom Augenoptikstudium bis hin zur technischen Orthopädie. Ein breites Angebot gibt es für den Baubereich, speziell bei Gebäude- und Energietechnik. Bei den dualen Studienangeboten finden sich etliche Management-Studiengänge, die die Handwerker in Sachen Unternehmensführung fit machen und auf Führungspositionen in größeren Betrieben vorbereiten.

Freier Zugang an die Uni

Seit 2009 gibt es einen Beschluss der Kultusministerkonferenz, Handwerksmeistern und Gesellen den freien Zugang an die Hochschulen zu ermöglichen (siehe Kasten links). Die meisten Bundesländer haben den Beschluss längst umgesetzt, Meister können also problemlos studieren. Aber auch für Auszubildende im Handwerk gibt es einen Weg an die Uni über duale Studiengänge. Hier machen junge Menschen eine Lehre im Handwerksbetrieb und studieren gleichzeitig an einer Berufsakademie oder Fachhochschule mit Abschluss Bachelor. Rund 1200 solcher dualer Studiengänge gibt es insgesamt, für Handwerker eignen sich 58, weil bei diesen Handwerksbetriebe zu den Partnerunternehmen zählen.

Ein Beispiel ist die Duale Hochschule Baden-Württemberg mit dem Studiengang BWL-Handwerk, bei dem Azubis von über 100 Handwerksbetrieben studieren. Sie wechseln im Dreimonatsrhythmus zwischen dem wissenschaftlichen Studienbetrieb an der Hochschule und der Praxiserfahrung im Unternehmen. Theorie- und Praxisinhalte sind eng aufeinander abgestimmt und beziehen aktuelle Entwicklungen in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft in die Lehrpläne ein.

Wer Meister ist, kann ein Vollzeitstudium belegen oder berufsbegleitend zu akademischen Würden gelangen. Handwerksunternehmer Thiel hat sich für die berufsbegleitende Variante entschieden. Sein Studiengang über Gebäudesystemtechnologie ist passgenau für Handwerker, sagt Andreas Pater, Studienkoordinator im Berufsbildungszentrum der Handwerkskammer Südwestfalen. Gelehrt werden Elemente des Wirtschaftsingenieurwesens sowie der Gebäudesystemtechnologie, die den Studierenden die Entwicklung von wirtschaftlichen und ökologischen Lösungen für heutige Gebäude ermöglichen. Sven Thiel will sich durch sein Studium weitere Geschäftsfelder öffnen und seine Unternehmen auch für Industriekunden attraktiv machen.

Gesellen mit Berufserfahrung können ebenfalls studieren, müssen aber in der Regel ein Aufnahmeverfahren durchlaufen. Bei Holger Mund war das eine Prüfung. Der angestellte Mechaniker aus Staufenberg bei Kassel sagte sich mit 36 Jahren, „das kann doch nicht alles gewesen sein“ und begann ein Fernstudium an der staatlich anerkannten Wilhelm Büchner Hochschule, mit über 5000 Studierenden die größte private Hochschule für Technik in Deutschland. Mund studiert Maschinenbau in Pfungstadt bei Darmstadt, arbeitet gleichzeitig 40 Stunden die Woche bei seinem Arbeitgeber, der sich an den Kosten für das Fernstudium beteiligt.

Nicht nur Technik

Doch nicht nur technische Studiengänge sind für Handwerker interessant. So hat die Handwerkskammer für Oberbayern mit der Hochschule für angewandte Wissenschaften München den Studiengang Unternehmensführung entwickelt. Das vom Bundesbildungsministerium geförderte Projekt startet zum Wintersemester 2012/13 berufsbegleitend zur betrieblichen Tätigkeit. „Zielgruppe sind Handwerksmeister und Betriebswirte des Handwerks“, erklärt Professor Michael Kortstock, Präsident der Hochschule München. Denn auch für Handwerker gelte, dass es heute nicht mehr ausreiche, das einmal Gelernte gelegentlich aufzufrischen, so Kortstock. Interessant an dem Projekt ist, dass die Studieninhalte gemeinsam mit Experten aus der Handwerkskammer entwickelt wurden. „Hier wird keine Industrie-BWL gelehrt, es geht um praxisnahe Themen wie Existenzgründung, Vergaberecht oder Kooperationen, erklärt Christian Gohlisch von der Handwerkskammer für München und Oberbayern.

Ein weiterer Vorteil: Handwerksmeister und Betriebswirte des Handwerks bekommen bei den elf Semestern Gesamtstudiendauer drei Semester angerechnet. „Die Anrechnung beruflicher Kompetenzen des Handwerks auf Hochschulstudiengänge ist ein wichtiger Faktor“, argumentiert Hendrik Voß vom Zentralverband des Deutschen Handwerks. Denn das schaffe zusätzliche Anreize, sich für ein Studium zu entscheiden.

„In den kommenden Jahren wird es eine zentrale Aufgabe von Hochschulen sein, Qualifizierungen für Berufstätige auf akademischem Niveau bereitzustellen“, fordert Hochschulpräsident Kortstock. Handwerker, egal ob Azubi, Geselle oder Meister, werden davon profitieren und ihre Karrierechancen verbessern.

reinhold.mulatz@handwerk-magazin.de

Online exklusiv

Alle Studiengänge für Handwerker und
weitere Infos unter:
handwerk-magazin.de/06_2012

Handwerksstudiengänge

Fördermittel für Studenten

Ahnliche Beiträge zum Thema finden Sie hier:
handwerk-magazin.de/wirtschaft