Gute Geschäfte in luftiger Höhe

Reportage Wenn Uwe Piur und sein Team die Glasfassaden am Frankfurter Flughafen erklimmen, ist das keine Show, sondern harte Arbeit. Wie ein Hobby zu einer lukrativen Geschäftsidee wurde.

Gute Geschäfte in luftiger Höhe (frei lesbar)

An diesem Donnerstag greifen viele Urlauber schon in der Abfertigungshalle des Frankfurter Flughafens zur Kamera: Drei Männer schwingen an langen Seilen vor der Glasfassade des Terminal 2 – und putzen die Scheiben. Nebeneinander, in der Höhe etwas versetzt, pendeln die Industriekletterer vor der 25 Meter hohen Fensterfront. Zwischen ihren Schuhsohlen und dem Boden ist so viel Luft, dass von den Geräuschen des Terminals nur ein dumpf verwobener Klangteppich zu hören ist. Uwe Piur, Inhaber des auf seilunterstützte Höhenarbeiten und Glasreinigung spezialisierten Betriebs Pigo Extremtechnik aus Mühlheim/Main, und seine Mitarbeiter Merlin Czarnulla und Marcus Freiheit, sind mit Sitzgurt, Abseilgerät und Seilklemme an jeweils zwei Seilen gesichert. An ihren Gurten hängen Putztücher, Abzieher und Wasserbehälter, alle befestigt mit langen Schlingen. Eine Gartenspritze zischt, Gummi saugt sich am Glas fest: Piur spritzt Neutralreiniger auf die Scheibe, die anderen wischen ein, ziehen ab und polieren. Dann drücken sie den Hebel vom Abseilgerät, lassen sich ein Stück ab und putzen die nächste der vier Meter breiten und 1,80 Meter hohen, in die Stahlträger der Hallenkonstruktion eingepassten Scheiben.

Erfolgsfaktor Körperspannung

Rund 700 Quadratmeter Glas reinigen Piur und sein Team an diesem Tag im Terminal 2. In zwölf Bahnen haben sie die Fläche aufgeteilt. Jeweils von oben nach unten seilen sich die Kletterer vor der Glasfassade ab – und pendeln dabei über eine Breite von drei bis vier Metern hin und her, weil das Hängen im Seil keine feste Position erlaubt. Ein dunkles Klong schwingt durch die Trägerkonstruktion, wenn ihre Sicherungskarabiner gegen das Metall schlagen. Mit einem leichten Zehendruck versuchen sie sich auf den Verstrebungen zu fixieren: Um optimal wischen zu können, brauchen sie eine gewisse Stabilität, die nur mit viel Körperspannung gelingt. „Jede Bewegung drückt nach hinten weg, man verliert leicht den Druckpunkt“, erklärt Uwe Piur später beim Pausen-Kaffee. „Dadurch hebt sich der Abzieher und hinterlässt Schlieren.“ Um optimal zu arbeiten, müssten Industriekletterer das Reinigen am Seil üben – oft mehrere Monate lang.

Gut 100000 Quadratmeter Glas reinigt Pigo Extremtechnik jedes Jahr mit Hilfe von Seiltechnik, darunter die 7500 Quadratmeter Fensterfläche im Terminal 2 des Frankfurter Flughafens genauso wie die Scheiben von Banken, Einkaufszentren oder Bürotürmen. Rund 80 Prozent seines Umsatzes macht Uwe Piur mit seilgesicherter Glasreinigung. Dazu kommen Installationen für Blitzschutz und Taubenabwehr auf Kirchtürmen oder ähnlich exponierten Gebäuden, Stahlbauarbeiten, Schieferreparaturen und Steinsanierungen. Piur und seine 12 Mitarbeiter hängen Plakate für Werbefirmen auf, steigen für Reparaturarbeiten auf Windräder oder montieren auch schon mal Weihnachtssterne auf Denkmälern. Bei ihrem bislang höchsten Einsatz hatten sie 180 Meter Luft unter den Füßen.

Hobby und Beruf verbinden

Als erster Anbieter für seilunterstützte Höhenarbeiten in den alten Bundesländern hat Uwe Piur Pigo Extremtechnik 1993 gegründet. „Meine Idee war, Hobby und Beruf zu verbinden“, sagt der 52-Jährige. Sein Hobby ist, damals wie heute, das Klettern. Im Gebirge, an Sportkletterfelsen oder in der Halle – jedes Wochenende, jeden Urlaub und drei Abende in der Woche nutzt der gelernte Dachdecker für die Bewegung in der Vertikalen. Ein Training für Ausdauer und Hartnäckigkeit, zwei Eigenschaften, die er auch als Unternehmer braucht. „Am Anfang war es schwierig, Genehmigungen zu bekommen“, erinnert sich Piur.

Respekt, aber keine Angst

Industrieklettern spielte sich Mitte der neunziger Jahre noch in einer rechtlichen Grauzone ab und wurde von den Berufsgenossenschaften kaum toleriert. Erst als 1995 Industriekletterer – mit Ausnahmegenehmigung – für den Künstler Christo den Berliner Reichstag verhüllten, begann ein Art Boom für seilunterstützte Höhenarbeiten. Heute wächst Pigo Extremtechnik jedes Jahr. „Es ist natürlich eine Nische“, sagt Piur, „doch der Bedarf ist riesig.“ Auch weil immer mehr „futuristische“ Gebäude entstünden. „Da denkt beim Planen, zu unserem Glück, niemand ans Reinigen.“

Ungefähr 20 Minuten brauchen Uwe Piur, Merlin Czarnulla und Marcus Freiheit im Terminal 2 für eine Fenster-Bahn. Unten angekommen, steigen sie über ein Versorgungstreppenhaus wieder auf die kleine Plattform rund fünf Meter unterhalb der obersten Scheibe. Von hier klettert Marcus Freiheit als Erster über das Geländer der Plattform in die Verstrebungen der Hallenkonstruktion. An einem Querseil gesichert, balanciert er auf den kaum fußbreiten Stahlträgern bis zur nächsten Fensterreihe. „Die Höhenangst, eine Urangst, haben wir komplett verloren“, sagt Uwe Piur. „Wir bewegen uns in 200 Metern Höhe so wie andere auf dem Erdboden.“ Nur wer gegen die Höhe absolut immun sei, könne als Industriekletterer arbeiten. Man dürfe keine Angst haben, wohl aber Respekt. „Die Schwerkraft ist bei unserer Arbeit König“, sagt Piur. Deshalb ist die Sicherung immer redundant aufgebaut, versagt ein System, greift das andere. Außerdem kontrollierten die Kletterer ständig den Zustand von Seil, Karabinern und ob der Kollege sich richtig gesichert habe. „Wenn wir runterfallen, muss uns jemand abgeschnitten haben“, sagt Uwe Piur, „so bauen wir die Sicherung auf.“

Nur das Ergebnis zählt

Die größte Herausforderung besteht dabei im Identifizieren und Einrichten der Fixierungspunkte. Um im Terminal 2 zum ersten Mal von der Versorgungsplattform auf den obersten Träger der Glasfassade zu kommen, hat sich Uwe Piur etwa mit einer Schlingentechnik aus dem Sportklettern gesichert. „Wer nicht vom Klettern kommt, hat oft so viel allein mit der Höhe zu tun, dass das eigentliche Arbeiten in den Hintergrund rückt“, sagt Piur. Doch für den Kunden sei die Kletterei uninteressant. „Der möchte eine saubere Scheibe haben. Dafür werden wir bezahlt.“

kerstin.meier@handwerk-magazin.de


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