Studie Unter den eine Million Betrieben hat handwerk magazin die 1000 umsatzstärksten herausgefiltert. Die Studie zeigt, was modernes Handwerk ausmacht und wie die Firmen wachsen.
Die größten Handwerksbetriebe Deutschlands
Die Lage ist eindeutig zweideutig. Einerseits wäre der Osnabrücker Familienbetrieb Piepenbrock ohne das Putzen wohl nie groß geworden. Andererseits: mit Putzen allein? Da stünde Arnulf Piepenbrock kaum dort, wo er inzwischen steht. An der Spitze einer Unternehmensgruppe mit 800 Standorten, über 25000 Mitarbeitern und 314 Millionen Umsatz. Marktführer in der Gebäudereinigung. „Das Putzen ist nach wie vor unser wichtigstes Geschäft“, sagt der Unternehmer. „Aber gewachsen sind wir mit ganz anderen Dienstleistungen.“ So nennt sich Piepenbrock inzwischen auch eine Service GmbH + Co. KG, und die schickt ihren Kunden nicht mehr nur Reinigungspersonal, sondern kümmert sich auch um Reparaturen und Instandhaltung, stellt Mitarbeiter für Empfangstresen und nächtliche Patrouillen. „Wir haben sukzessive neue Dienstleistungen dazugenommen, weil unsere Kunden danach gefragt haben“, sagt Arnulf Piepenbrock, Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensgruppe: „Inzwischen sind wir häufig deren Manager für alle Fragen rund ums Gebäude.“
Handwerk neu definiert
Dabei ist die Firma, die Gebäudereiniger ebenso beschäftigt wie Schlosser und Mechatroniker, Landschaftsgärtner und Heizungsbauer, im Kern ein Handwerksunternehmen geblieben. Und zwar eines der größten der Republik: Rang sieben hat Piepenbrock nun schriftlich. Ergebnis einer repräsentativen Studie von handwerk magazin zu Deutschands 1000 größten Handwerkern. Das Marktforschungsunternehmen Macrom aus Bergisch Gladbach, Partner der GfK, hat Handwerksrollen, Handelsregister und Geschäftsberichte durchforstet, mit Kammern, Innungen und Verbänden diskutiert. Ziel: Handwerk so zu definieren, dass alle modernen Ausprägungen der Branche erfasst werden. Eine Definition, die Großbetriebsformen zulässt, aber klare - gewerkspezfische - Grenzen zieht zu industrieller Produktion und Dienstleistern. „Traditionelle Definitionen, die nur inhabergeführte Betriebe berücksichtigt oder den Eintrag in die Handwerksrolle in Betracht ziehen, sind überholt“, sagt Michael Jansen, Geschäftsführer von Macrom und Autor der Studie: „Größere Handwerksbetriebe arbeiten inzwischen oft mit modernen Führungsmethoden, übernehmen komplexe Aufträge und werden nicht mehr unbedingt von Meistern geführt, sondern oft auch von Kaufleuten.“ Für das Ranking war allein entscheidend, ob und in welchem Ausmaß die Unternehmen handwerklich arbeiten. Nach diesem Umsatzanteil hat Jansen die Firmen verglichen: Egal, ob es um die Reparatur beim Autohändler geht oder eben um Reinigungsarbeiten eines Gebäudemanagers.
Mehr Umsatz durch mehr Service
Die größten Firmen sind selten groß geworden, indem sie immer mehr Brillen angepasst, Kabel verlegt oder Treppenhäuser geputzt haben. Vielmehr offenbart die Analyse der 1000 Umsatzgrößen drei bestimmende Wachstumsfaktoren: Die Expansion gelang durch den Zukauf von Wettbewerbern, das Anbieten von Handwerksleistungen verwandter Gewerke oder den Ausbau zusätzlicher Services. „Unsere Kunden wollen häufig die Zahl ihrer Lieferanten senken, wollen einen Ansprechpartner und eine Rechnung“, so Piepenbrock: „Wir sind ohnehin ständig vor Ort. Daraus ist der Rundum-Gebäudeservice entstanden.“
Ähnlich entwickelten sich die großen Kfz-Techniker: Sie sind nicht durch Ölwechsel und TÜV-Abnahmen allein gewachsen, sondern durch Dienstleistungen rund um die Mobilität, von der Neuwagenfinanzierung bis zur Einlagerung von Winterreifen (siehe „Wachstum durch Service“). Den Ökonomen Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wundert das nicht: „Die Wertschöpfungsanteile verschieben sich, und das selbst beim kleinen Schreiner oder Sanitärbetrieb. Der Warenanteil nimmt ab, weil man immer häufiger auf günstigere, industriell gefertigte Teile zurückgreift. Und der Wert anderer Leistungen nimmt zu, von Tipps zur Sanierung bis zur Subventionsberatung.“ Als weitere Handwerksbranche, die durch Service wächst, identifiziert Gornig die Bauwirtschaft. Große Handwerker ersetzten etwa bei Gebäudesanierungen oft den Architekten: „Wo keine Baugenehmigung nötig ist, kann auch ein Handwerker die Baustelle steuern. In diese Lücke springen die Betriebe gern.“
Multi-Gewerk-Betriebe
Bestimmend für das Wachstum der Ausbaugewerke, zu denen Trockenbauer genauso zählen wie Elektroinstallateure, ist nicht nur die Übernahme solcher Services. Vielmehr bieten die Betriebe ihren Kunden immer häufiger Leistungen mehrerer Gewerke. Fassadensanierer bringen den Gerüstbauer mit auf die Baustelle, Sanitär-, Heizung- und Klimabetriebe beschäftigen Dachdecker, um Solarthermieanlagen montieren zu können. „In diesen Branchen wachsen fast nur Unternehmen, die eine Kombination unterschiedlicher Handwerke als Gesamtlösung anbieten“, berichtet Studienleiter Jansen (siehe „Wachstum durch Breite“).
Ausschlaggebend für das Breitenwachstum ist auch hier der Wunsch nach einem zentralen Ansprechpartner. „Viele Auftraggeber wollen nicht mehr selbst dafür zuständig sein, verschiedene Handwerksbetriebe zu koordinieren“, sagt Arno Sonderfeld, Geschäftsführer von Lindner Isoliertechnik und Industrieservice aus dem niederbayerischen Arnstorf, das zur Lindner Gruppe gehört - einem der größten Handwerksbetriebe rund um den Bau überhaupt. Der einstige Isoliertechnikbetrieb kümmert sich deshalb inzwischen auch um Schall- und Brandschutz, Gerüstbau, Asbest-sanierung, Böden, Decken und Fassaden. Sonderfelds Grundsatz: Je mehr Leistungen er anbieten und auch selbst ausführen kann, desto mehr kommt er dem Kunden entgegen. „Wer wachsen will, muss sein Portfolio erweitern“, sagt er. „Erst dann bekommt man große und komplexe Bauaufträge und kann sie auch stemmen.“
Optiker im Kaufrausch
In zwei weiteren Traditionshandwerken, die zusammen gleich vier der Top-10-Betriebe stellen, war in den vergangenen Jahren ein weiterer Wachstumsmotor entscheidend: Bäckereien und Optiker haben ihre Umsätze vor allem durch Zukäufe ausgebaut (siehe „Wachstum durch Zukauf“). Der größte Handwerksbetrieb überhaupt, die Fielmann AG, kauft seit den 1980er Jahren bis heute immer wieder Optikerkonkurrenten. Inzwischen fertigt und verkauft das börsennotierte Unternehmen, das mehrheitlich nach wie vor Gründer Günther Fielmann gehört, jedes Jahr Brillen im Wert von 1,1 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass die Konkurrenten Apollo Optik und Eschenbach dem Vorreiter nacheifern.
Das Bäckereihandwerk hat sich ganz ähnlich entwickelt. „Brötchen und Brote lassen sich industriell in Produktionsstraßen herstellen“, erklärt Marktforscher Jansen. „Deshalb können Bäcker durch den Kauf neuer Produktionen besonders schnell und problemlos wachsen.“ Ein einziger Anbieter überragt die Konkurrenz: Das Brötchen- und Kuchenimperium Kamps, das der Düsseldorfer Bäckermeister Heiner Kamps fast ausschließlich durch Übernahmen schuf. 283 Millionen Euro Umsatz erwirtschafteten die Filialisten und Franchisenehmer von Kamps zuletzt mit Kornecken, Rübli-Broten und Streuseltalern. Kein anderer Handwerker bäckt mehr, kein einziger ist von Hamburg bis nach München derart bekannt. Und keiner war in den vergangenen Jahren so wachstumshungrig wie Kamps, der manche Straßenzüge gleich mit sieben Filialen zupflasterte.
Bäcker mit Qualität vor Quantität
Allerdings gehört Kamps nach einem Intermezzo beim italienischen Nudelkonzern Barilla heute zu zwei Dritteln einem Finanzinvestor und zu einem Drittel dem eigenen Management. Der neue geschäftsführende Gesellschafter, Jaap Schalken, änderte die Strategie: Konzentration auf das dichte Filialnetz in und um Nordrhein-Westfalen. Der Niederländer macht aus den Verkaufsstellen gläserne Bäckereien - „Kamps Backstuben“, die vor Ort Brot oder Brezeln frisch backen und zudem Snacks und Getränke verkaufen. Die alte Expansionsstrategie hält er inzwischen für gefährlich, weil Lebensmittelhändler immer mehr Backwaren anbieten und die Logistikkosten bei zentraler Produktion und bundesweiten Filialen explodieren. Konsequenz: Schalken hat 200 der 900 Kamps-Filialen verkauft - an regionale Bäcker. Damit ist klar: Bis zum nächsten Handwerker-Ranking sind die Karten in dieser Branche völlig neu gemischt.
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Mehr Informationen zur Studie und die vollständige Liste der 1000 größten Handwerker finden Sie online unter handwerk-magazin.de/ top1000
Liste der 1000 größten Handwerker