Casting in der Werkstatt

Ausbildungsstart | Wie wird geeigneter Nachwuchs gefunden, und was ist in den ersten Tagen im Betrieb zu beachten? Handwerker Michael Kaiser gibt Tipps.

Casting in der Werkstatt

Michael Kaiser ist Realist. „Wir bereiten uns schon seit längerer Zeit gezielt auf die schwierige Situation vor, dass die Zahl der geeigneten Bewerber für eine Lehrstelle stetig abnimmt, wir als Unternehmen aber auch künftig auf gut ausgebildeten und hoch motivierten Berufsnachwuchs angewiesen sind“, sagt der Schreinermeister aus Bochum. Gemeinsam mit Wolfgang Nonnenmacher führt Kaiser die 1987 gegründete Schreinerei Holz und Form GmbH in Bochum. Zehn Mitarbeiter sind hier beschäftigt, unter ihnen zwei Lehrlinge. Über 20 junge Menschen hat er in seinem Unternehmen ausgebildet. „Jetzt schnappt die demografische Falle zu“, erläutert er die Situation. „In den neuen Bundesländern werden immer mehr Lehrstellen zu Leerstellen. Der Nachwuchs ist schon jetzt nicht mehr da.“

Handwerkspräsident Otto Kentzler teilt die Sorgen des Bochumer Unternehmers durchaus. Zwar lägen zum Stichtag 30. April 2008 schon 27068 neue Ausbildungsverträge im Handwerk vor und damit ein Plus von noch einmal 6,4 Prozent gegenüber dem sehr guten Vorjahresergebnis, sagt er und lobt die anhaltende Ausbildungsbereitschaft der Betriebe. Gleichzeitig verweist er aber auch auf den größer werdenden Wettbewerb um gute Schulabgänger. Für die anspruchsvollen technischen Berufe im Handwerk würden Schulabgänger mit guten Noten in Mathematik und Naturwissenschaften gebraucht. „Deshalb“, so Otto Kentzler, „müssen wir befürchten, dass auch in diesem Jahr Lehrstellen unbesetzt bleiben werden.“

Damit das in seinem Betrieb nicht passiert, geht Firmenchef Kaiser mit System vor. Die Auswahl des neuen Lehrlings beginne meist zu Beginn des Kalenderjahres. Schritt für Schritt arbeitet sich Michael Kaiser auf diesem Weg voran. Der erste Schritt sei die Auswertung der Bewerbungsunterlagen. In einem zweiten Schritt führt er persönliche Bewerbungsgespräche mit fünf bis sechs Bewerbern und bietet ihnen die Möglichkeit eines Praktikums an. Meist in den Osterferien sind die Jugendlichen dann zur Probearbeit im Betrieb. Beide Seiten nutzen dann die Chance, sich gegenseitig besser kennenzulernen, Neigungen und Begabungen auszuloten und auch ein wenig auszuprobieren.

Die Beobachtungen von Klaus Engelhardt bestätigen den Erfolg dieser Vorgehensweise. Als Ausbildungsberater der Handwerkskammer Dortmund weiß Engelhardt, dass die Betriebe die besten Erfahrungen bei ihrer Suche nach dem geeigneten Lehrling machen, die auf einen frühzeitigen Bewerbungsbeginn und ein freiwilliges Praktikum setzen. Dann hält der Berater einen Tipp parat: „Glaubt man, möglicherweise die oder den Richtigen gefunden zu haben, gilt es rasch eine Bindung herzustellen.“ Viele Jugendliche, und natürlich vor allem die besten, bewerben sich in mehreren Betrieben. Damit es dann nicht plötzlich heißt, wie gewonnen, so zerronnen, sollte der Arbeitgeber den Jugendlichen seiner Wahl ständig über Veränderungen und Neuigkeiten im Betrieb informieren und ihn zu Betriebsveranstaltungen oder Feiern einladen. Auch die Bitte an den Bewerber, vorab die Lohnsteuerkarte im Betrieb abzugeben, sei ein gutes Bindungsinstrument, verrät Klaus Engelhardt.

Erfolgreiches Stuhl-Projekt

„Meine besten Erfahrungen bei der Suche nach dem geeigneten Lehrling habe ich mit einer neuen Methode gemacht“, ergänzt Michael Kaiser. Die sechs bis sieben interessantesten Bewerber lud er zum „Casting“ in die Werkstatt ein. An einem Sonnabend fand inzwischen bereits zum zweiten Mal ein Eignungstest statt, das so genannte Stuhl-Projekt. Die anderen Mitarbeiter des Betriebs einschließlich der Lehrlinge sind ebenfalls eingeladen, freiwillig an diesem Eignungstest mitzuwirken. Gemeinsam entwerfen und bauen die Ausbildungsplatzbewerber einen Stuhl, unterstützt von den Gesellen und Lehrlingen des Betriebs. Sie entwickeln Ideen, gestalten einen Entwurf und setzen ihn schließlich gemeinsam in der Werkstatt um.

Kein Fremdeln

Mit dem „Stuhl-Projekt“ werden fast ideale Bedingungen zur Auswahl des besten neuen Lehrlings geschaffen. Auch das gemeinsame Pizza-Essen ergebe zusätzliche Aufschlüsse über das Verhalten der Bewerber, verrät Kaiser. Darüber hinaus nutzen die beiden Firmenchefs das Casting auch als Möglichkeit einer gezielten Personalentwicklung. So wird einerseits eine Konkurrenzsituation geschaffen und andererseits die Teamfähigkeit eines jeden Beteiligten gefordert. Abschließend werden an die Bewerber Punkte vergeben. Stimmberechtigt sind nicht nur die Firmeninhaber, sondern jeder Mitarbeiter.

Hält der neue Lehrling seinen Ausbildungsvertrag in der Hand und betritt zum ersten Mal als Kollege den Betrieb, gibt es kein Fremdeln. Im Idealfall haben alle bereits im „Stuhl-Projekt“ zusammengearbeitet. Eine selbst entwickelte, ständig überarbeitete Checkliste verhindert böse Überraschungen. Einer der beiden Geschäftsführer nimmt sich einen ganzen Tag Zeit und begleitet den „Neuen“ oder die „Neue“ durch den Betrieb. Die ausführliche Präsentation des Betriebs und des künftigen Arbeitsplatzes soll dem Neuankömmling das Gefühl von Vertrautheit und Transparenz vermitteln. Dazu gehört, dass ihm vom ers-ten Tag an ein unmittelbarer Ansprechpartner vorgestellt wird.

Fragen gemeinsam klären

Ausbildungsberater Klaus Engelhardt weiß, wie wichtig dieser persönliche Ansprechpartner sein kann. „Vieles ist für den neuen Lehrling unbekannt, manches auch für möglicherweise erstmals ausbildende Unternehmer“, sagt er. „Je früher sich beide Seiten bemühen, auftretende Fragen gemeinsam zu klären, umso seltener werden daraus Probleme, die manchmal nur mühsam gelöst werden können.“ Engelhardt empfiehlt im Zweifel die Kontaktaufnahme des Unternehmers mit den Ausbildungsberatern seiner Kammer: „Wir Berater haben den gesetzlichen Auftrag, die Ausbilder zu lenken, zu leiten und zu überprüfen, sprich, wir sind die unmittelbaren Partner für den Ausbildungsbetrieb.“ Unabhängig davon rät er dazu, die neuen Lehrlinge vom ersten Tag an mit der betrieblichen Normalität und Routine vertraut zu machen und dies entsprechend zu kommunizieren. „Dem Lehrling muss unmissverständlich erklärt werden, dass er beispielsweise im Krankheitsfall trotz eventueller Berufsschulphase immer zuerst seinen Betrieb zu informieren hat“, erläutert der Experte einen häufigen Anfängerfehler.

Reinhard Myritz

reinhold.mulatz@handwerk-magazin.de