Aus dem Schneider

Übernahme | Bei Betrieben mit veralteten Strukturen ist es oft schwierig, einen externen Käufer zu finden. Wie dennoch eine Übernahme erfolgreich gelingen kann, zeigt das Beispiel der Maßschneiderei Reiser.

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    Inhaber Martin Weigand hat gemeinsam mit Daniela Kopp (li.) und Helene Fent die Maßschneiderei Reiser saniert.
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    Perfekte Handarbeit: Martin Weigand setzt auf das handwerkliche Können seiner Schneiderinnen.
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    Schnittdirektrice Helene Fent berät seit Jahrzehnten ihre Kunden mit viel Gespür für’s Detail.Die stellvertretende Geschäftsführerin Daniela Kopp (re.) kümmert sich unter anderem um den Stoffeinkauf.
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    Tradition: In der Reiser Manufaktur ist jedes Hemd eine Maßanfertigung.
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    Münchner Lehel: Dort befindet sich heute die traditionelle Reiser Manufaktur.

Aus dem Schneider

Das Kapital der Reiser Manufaktur im Münchner Stadtteil Lehel ist in braunen Umschlägen verpackt. Direktrice Helene Fent steht an einem wandhohen Regal. Holzkisten sortiert von A bis Z reihen sich aneinander. Sie greift in eine Kiste und zieht einen Umschlag heraus. Weiße Schnipsel befinden sich darin. „Aus diesem Papierhemdenschnitt fertigen wir ein Hemd“, erklärt sie. In der Maßschneiderei werden die Hemden noch von Hand geschneidert – mittlerweile wieder gewinnbringend. Der jetzige Geschäftsführer Martin Weigand kaufte die Schneiderei 2004 aus der Insolvenz heraus.

Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage entschied er sich für das Unternehmen: Der gute Ruf, die erfahrenen Mitarbeiter und der gewachsene Kundenstamm waren Beweggründe dafür. Hemdencouturier Hans Reiser eröffnete den Betrieb 1953. Stars wie Schauspieler Kirk Douglas und Regisseur Rainer Werner Fassbinder ließen sich ihr Maßhemd bei Reiser auf den Leib schneidern. Zwanzig Jahre später übergab er das Geschäft seiner langjährigen Mitarbeiterin Helene Fent und ihrem Ehemann Josef Fent. Nach dessen Tod 1984 führte sie den Betrieb alleine weiter, war aber 2003 in die Insolvenz gerutscht. Die Schließung drohte. Während die Mitarbeiter trotz der angespannten Lage den täglichen Betrieb aufrechterhielten, suchte der Insolvenzverwalter händeringend einen Käufer, der nicht nur an Teilen, wie etwa den exklusiven Kundendaten interessiert war.

Produktpalette erweitern

Weigand erfuhr zufällig von einem seiner Kunden von der Insolvenz. Der Einzelhandelskaufmann und Kommunikationswirt hatte damals sein Geschäft AlFerano in München für Maßkonfektionsanzüge und Hemden. „Der Kunde war zwar immer mit meinen Anzügen zufrieden, nur Hemden kaufte er bei mir nie.“

So kam er auf die Idee, sich die Maßschneiderei genauer anzusehen und schließlich mit seiner Firma zur Reiser Manufaktur zu verschmelzen. Finanziert hat er die Übernahme mit Eigenkapital und einem Kredit für Jungunternehmer von der KfW-Kreditbank. Geblieben ist die traditionelle Maßanfertigung der Hemden, hinzugekommen sind Produkte aus der Maßkonfektion – Anzüge, Sakkos, Pyjamas und Schuhe. „Somit können sich die Kunden von Kopf bis Fuß bei Reiser einkleiden“, erklärt Weigand. „Sie sind ja dann schon hier, wenn sie für ein Hemd vermessen werden.“ Fast alle Mitarbeiter konnte er übernehmen, auch die vorherige Besitzerin Helene Fent ist geblieben. „Ohne sie hätte ich den Laden damals nicht übernommen“, erzählt er.

Die gelernte Herrenschneiderin und Schnittdirektrice ist das Bindeglied zu dem lang gewachsenen Kundenstamm. „Es gibt Kunden, die kommen seit Jahrzehnten“, erzählt Fent. Die Kunden kennen sie und schätzen ihr schneiderisches Können. Weigand hingegen bleibt eher im Hintergrund, kümmert sich um den finanziellen Teil. Für den Stoffeinkauf und den reibungslosen Ablauf in der Schneiderei ist seine stellvertretende Geschäftsführerin Daniela Kopp da. Beide mussten zuerst die gewachsenen Strukturen „entstauben“.

Alte Strukturen umbauen

„Es gab bis 2004 keinen Computer“, erzählt Weigand. „Die Kundendaten lagen nur handschriftlich vor.“ Das sei gar nicht so einfach gewesen, sie zu digitalisieren. „Viele unserer Kunden führen akademische oder Adelstitel, da muss man dem Computer erst einmal die richtige Reihenfolge beibringen.“ Das Handzettelsystem hatte auch dazu geführt, dass viel zu viel Stoff vorhanden gewesen sei, so Kopp. Auch hier musste eine Bestandsaufnahme her, um den Einkauf effizienter zu gestalten. „Bei unserer Stoffqualität ist das ein immenser Kostenfaktor.“

Die Arbeit zahlt sich nun aus: „Mittlerweile trägt sich das Geschäft wieder gut“, sagt Weigand. Rund 6500 Namen sind in der Datenbank – Barone, Grafen, Sportler, Professoren, Geschäftsleute, Schauspieler. Viele aus München und Süddeutschland, aber auch aus dem Ausland. Etwa 4000 Hemden verkauft die Manufaktur im Jahr. Sie kosten zwischen 200 und 300 Euro, je nach Stoffqualität. „Das sind nach wie vor zwei Drittel unseres Umsatzes“, sagt Weigand.

Kommt ein neuer Kunde, nimmt Helene Fent Maß und schneidert das erste Hemd. „Es gibt Herren, die wollen ihr Hemd eng anliegend und andere halt nicht.“ Erst wenn das passt, geht der Zuschnitt in die hauseigene Schneiderei, die sich im Untergeschoss des Ladens befindet.

Gespür für Schnitt und Muster

Kurze Wege und gut ausgebildete Schneiderinnen seien wichtig für die Qualität. „Bei Hemden muss jedes Detail passen, da kann man handwerklich so viel falsch machen“, erklärt Kopp. Wegen dieser immensen Arbeit seien sie auf Stammkunden angewiesen. „Den Mehraufwand für das erste Hemd stellen wir den Kunden nicht inRechnung.“

Das überzeugende Argument sei heute nicht nur die Maßanfertigung an sich, sondern Zeit und die Qualität, ist sich Weigand sicher. „Zu uns kommen die Kunden, weil sie keine Zeit haben, für jedes Hemd in die Stadt zu fahren.“

Die Zeit, sich das erste Hemd an den Körper schneidern zu lassen, müssten die Kunden allerdings immer noch mitbringen. Später komme dann oft nur noch eine kurze Mail mit der Bitte: „Die gleichen Hemden wie beim letzten Mal.“

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