Abschreiben von Kursverlusten

Urteil | Unternehmen dürfen Kursverluste bei Aktien, die sie im Anlagevermögen halten, zum Bilanzstichtag abschreiben. Das hat der Bundesfinanzhof (BFH) in einem Urteil entschieden.

Abschreiben von Kursverlusten

Rauf, runter und dann ganz tief unten – und das über Wochen und Monate hinweg. Seit längerem wird Anlegern wieder einmal schmerzlich klar, welche Bedeutung der Begriff „Volatilität“ an den Aktienmärkten eigentlich hat. Übersetzt heißt er „Schwankungsbreite“, und er meint die Ausschläge der Aktienkurse nach oben und nach unten.

Je stärker besagte Volatilität, desto größer ist die Angst und die Unsicherheit der Investoren. In solchen Zeiten, die wir seit Mitte vergangenen Jahres wieder einmal erleben, werden börsennotierte Unternehmensbeteiligungen, nichts anderes sind Aktien, weit häufiger ver- als gekauft. Die Folge: Bekannte Aktienbarometer gehen auf Tauchstation. In den ersten drei Monaten etwa verlor der deutsche Aktienindex (Dax) 19 Prozent an Wert. 170 Milliarden Euro Marktkapitalisierung lösten sich allein bei der hiesigen Unternehmenselite in Luft auf.

Für Privatanleger, die etwa ihre Altersversorgung durch Aktien und Aktienfonds aufbessern möchten, ist das mehr als ärgerlich. Für Unternehmen, die börsennotierte Beteiligungen im Anlagevermögen halten, möglicherweise brisant. Und auch ein schwer wiegender Fall fürs Finanzamt. Neuerdings mehr als früher. Hintergrund: Mit seinem Urteil vom 26. September 2007 (Az.: I R 58/06) erlaubt der Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Steuergericht, Unternehmen, in ihren Bilanzen Aktienverluste abzuschreiben. Pikant: Mit dieser Entscheidung stellt sich der BFH ausdrücklich gegen die bei der Finanzverwaltung bis dato übliche Praxis, solche (Teilwert-) Abschreibungen überhaupt nicht oder nur ganz selten zuzulassen.

Im vorliegenden Fall ging es um die dramatischen Kursverluste der Aktie des Chip-Herstellers Infineon im Jahr 2001. Am Bilanzstichtag, dem 31. Dezember des Jahres, lag der Börsenkurs bei nur noch 60 Prozent der Anschaffungskosten. Die Klägerin, eine GmbH, die in ihrem Anlagevermögen die Chip-Aktie hielt, nahm in der Bilanz eine Teilwert-Abschreibung vor. Die Finanzverwaltung lehnte ab und der BFH als letzte Steuerinstanz stimmte zu.

Richter, die sich auskennen

Interessant ist die Urteilsbegründung. Darin schimmert durch, dass die höchs-ten deutschen Steuerrichter offenbar mehr über die Funktionsweise der Aktienmärkte wissen als angenommen. Hintergrund: Seit dem Jahr 1999 sind Abschreibungen auf Aktienbestände im Anlagevermögen nur erlaubt bei einer „voraussichtlich dauernden Wertminderung“. Eine schwammige Vorgabe, die letztlich den Blick in die Glaskugel erfordert. Bekanntlich sind Prognosen kompliziert, sobald sie sich mit der Zukunft beschäftigen. Folgerichtig unterstellte die Finanzverwaltung in den meisten Fällen, dass abgetauchte Börsenkurse lediglich die üblichen Wertschwankungen, also Volatilitäten, spiegelten. Da sich die Börsenpreise früher oder später wieder erholen würden, wurden Abschreibungen so gut wie nie gestattet.

Weitaus klarsichtiger und ausgestattet mit profunden Marktkenntnissen indes ist die Einschätzung des BFH. An den Aktienmärkten wird bekanntlich die Zukunft gehandelt. Deshalb spiegelt der aktuelle Börsenkurs, so die Meinung der BFH-Richter, die künftige Entwicklung eines Unternehmens. Will heißen: Die Börsen haben immer Recht. Ist eine Aktie in den Keller gerauscht, unterstellen Investoren substanzielle Probleme eines Unternehmens, die – erstens – nicht so schnell behoben werden und die – zweitens – über die an den Börsen üblichen Marktschwankungen weit hinausgehen.

Infineon ist nicht das einzige Beispiel. Die T-Aktie und auch die Anteilsscheine ungezählter kleinerer Unternehmen aus dem ehemaligen Börsensegment „Neuer Markt“ gehören dazu. Dass deren Aktien jemals die früheren Kurse erreichen werden, ist denkbar unwahrscheinlich.

Heinz-Josef Simons

cornelia.hefer@handwerk-magazin.de