Standort Ballungsraum Zukunftsstandorte: Zwischen Stadt und Land

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Steigende Mieten und wenig Platz in den Städten auf der einen, fehlende Infrastruktur und weite Wege auf dem Dorf auf der anderen Seite. Liegt der optimale Firmensitz irgendwo dazwischen? Welche innovativen neuen Standortideen es gibt.

Walter Kellermann und Sohn Paul
Walter Kellermann und Sohn Paul vor ihrem neuen Betriebsgebäude in einem Gewerbegebiet in Bergisch Gladbach. - © Markus J. Feger

Walter Kellermann hatte Glück: Schon früh war klar, dass sein Sohn Paul als Nachfolger den Betrieb übernehmen würde. Trotzdem plagten den Unternehmer Zukunftssorgen: Kellermann hat sich mit seiner Schlossereiin Köln seit Mitte der 1990er-Jahre auf den Bau von Treppen spezialisiert. Das Geschäft mit acht Mitarbeitern läuft gut, aber: „Unser Firmenstandortin Köln war für unser Geschäft eigentlich zu klein – der Hof zu eng, das Gebäude längst nicht mehr modern.“ Neue, größere Gewerberäume im Stadtgebiet waren allerdings nicht zu finden. Und auch im direkten „Speckgürtel“ der Vororte um die Stadt herum stellte sich die Suche nach einem neuen Standort für Werkstatt, Verwaltung und Lager als schwierig heraus. „Früher gab es hierin jedem zweiten Hinterhof einen Handwerker“, erinnert sich Kellermann. „Heute wimmeln einen die Leute direkt ab: ‚Nee, Handwerker, das geht ja gar nicht, die machen nur Dreck und Lärm‘“, berichtet er von seinen Erfahrungen. „Dann bauen sie lieber edle Wohnungen mit hohen Mieten.“

Wie Kellermann geht es vielen Unternehmern im produzierenden Handwerk. In den immer dichter bebauten Städten,in denen Wohnraum immer knapper wird, sind Schreiner, Metallbauer und Bauhandwerker als Nachbarn oft nicht mehr gern gesehen. Ganz raus aufs Land wollen viele Unternehmer aber auch nicht ziehen – zu weit sind die Wege vom Dorf zu den zahlungskräftigen Kundenin den Städten, oft fehlt es auch an der passenden digitalen Infrastruktur, die moderne Betriebe brauchen, um ihr Geschäft zukunftsfähig aufzustellen. Wo aber liegt dann der Standort der Zukunft?

Handwerkerhof gegründet

Kellermann hat für seinen Betrieb eine Antwort auf diese Frage gefunden. Er entdeckte ein Grundstückin einem Gewerbegebiet, zwar weiter außerhalb gelegen als gewünscht, aber direkt an der Autobahn und nochin Reichweite der umliegenden kleineren und größeren Städtein der nordrhein-westfälischen Region. Er bewarb sich um den Kauf des Grundstücks, obwohl es mit fast 4.000 Quadratmetern für sein Unternehmen allein viel zu groß war. Denn Kellermann hatte eine Idee: Warum nicht einen Handwerkerhof gründen? Einen Gewerbestandort, der ganz auf die Bedürfnisse produzierender Unternehmen ausgerichtet ist? Mit genug Platz auch für große Lieferfahrzeuge. Mit modernen, flexibel nutzbaren Werkstatt-, Lager- und Bürogebäuden. Und mit anderen Handwerkern als Nachbarn, die sich auch mal gegenseitig den Gabelstapler leihen, statt sich über laute Maschinen zu beschweren? „Da meine Frau und ich ohnehin baldin Rente gehen wollten, haben wir beschlossen, auf dem Grundstück mehrere Gebäude für Handwerker zu bauen, eines für unseren Sohn Paul für den eigenen Betrieb und die übrigen Gebäude, um sie an andere Handwerker zu vermieten“, erklärt Kellermann.
Die Investition soll sich gleich doppelt auszahlen: „So können wir für die Zukunft des Betriebes und unseres Sohnes vorsorgen und gleichzeitig für unser Alter.“ Kellermann entwarf seinen Handwerkerhof im modernen Industriedesign. „Wir bauen für die Zukunft: Alle Gebäude lassen sich modular umbauen und an die Bedürfnisse der Mieter anpassen“, erläutert Kellermann. Auf den Dächern ist Platz für Solaranlagen, und Schallschutz-Gutachten belegen, dass Handwerker hier auch wirklich ihrer Arbeit nachgehen können, ohne Klagen aus benachbarten Wohngebieten fürchten zu müssen.

Außerhalb des Speckgürtels

Im Jahr 2018 übernahm Sohn Paul die Führung des Unternehmens am neuen Standort. Walter Kellermann konzentriert sich nun auf Bau und Vermietung der Gebäude. Neben den Kellermanns hat sich bereits ein Elektrotechnik-Unternehmen eingemietet. Bis zu sechs weitere Gebäude und Betriebe sollen nach und nach dazukommen. Mit der Lage außerhalb der Stadt und des direkten Speckgürtels haben sich die Handwerker arrangiert: „Wir sind zwar weiter draußen als früher, aber nicht zu weit“, sagt Kellermann. „Wir müssen mit unseren Teams heute sehr früh los, um die morgendlichen Staus auf den Straßenin die Städte hinein zu vermeiden, aber dann geht es gut“, erklärt er. Unterm Strich gelte: „Die Vorteile des Standortes überwiegen – hier kann man sicher sein, dass man die nächsten Jahrzehnte vernünftig arbeiten kann.“

Ein ähnliches Konzept im größeren Maßstab verfolgt auch der Handwerkerhof „Meistermeile“ in Hamburg: Dort hat die Stadt im Sommer 2019 nahe der Innenstadt einen Gewerbehof für insgesamt rund 100 kleine und mittelgroße Handwerks- und Produktionsbetriebe eröffnet. Elektrohandwerker, Küchenbauer, Malerbetriebe, Bauunternehmen und Glasereien arbeiten hier nun als Nachbarn. Das Gelände ist allerdings noch bei weitem nicht ausgebucht, obwohl die Stadt kräftig die Werbetrommel gerührt hat: Viele Handwerker fremdeln offenbar noch mit dem Konzept , sichin den mehrstöckigen Gebäuderiegeln einzumieten.

Kleinteilige Gewerbegebiete

Dennoch sehen vielein Politik und Wirtschaftin solchen Gemeinschafts-Gewerbeflächen für produzierendes Handwerk und mittelständische Industrie die Zukunft: Auch private Immobilienentwickler wie etwa das Unternehmen Beos in Berlin wollen kleinteiligere Gewerbegebiete schaffen,in denen Handwerker sich nicht zwischen genug Platz auf dem Land und Kundenzugangin der Stadt entscheiden müssen. Sie bauen etwa alte Industrieflächenin verkehrsgünstigen Lagen so um, dass diese für mehrere kleinere Unternehmen nutzbar werden.

Das Konzept bietet viele Vorteile – etwa die Möglichkeit, enger mit anderen Betrieben zu kooperieren, Infrastruktur, Maschinen und Gebäude gemeinsam zu nutzen. So ließen sich Kosten sparen und vielleicht sogar ganz neue Geschäftsmodelle entwickeln. Und nicht zuletzt bieten solche Gemeinschaftsprojekte die Möglichkeit, überhaupt noch ein passendes Grundstück zu bezahlbaren Mietpreisen zu finden.

Ungefähr ein Viertel aller Immobilienwertein Deutschland sind Gewerbeimmobilien, davon wiederum die Hälfte sind Industrieimmobilien, werden also von produzierenden Unternehmen genutzt. „Etwa die Hälfte der produzierenden Unternehmen arbeitet dabeiin eigenen Gebäuden, die andere Hälfte mietet Flächen an“, erklärt Ulrich Nack, Experte für Gewerbeimmobilien und Professor an der Immobilienwirtschafts-Hochschule EBZin Bochum . Er sieht für kleine und mittelständische Unternehmen einen Trend zum Miet-Modell: „Professionell gemanagte und für produzierende Unternehmen aufbereitete Gewerbeparks,in denen etwa Handwerksunternehmen passende Flächen anmieten können, werden an Bedeutung gewinnen“, sagt Nack.

Der wichtigste Vorteil aus seiner Sicht: „In so einem Gewerbepark können Unternehmen je nach Geschäftslage flexibel wachsen oder auch wieder schrumpfen .“ Wer als Unternehmerin eigene Immobilien für den Firmenstandort investiert, ist hingegen weniger flexibel – und muss sich zum anderen auf eigene Faust mit Baubehörden, Nachbarn und Lärmschutzgutachtern herumschlagen.

Urbane Dörfer

Auch weiter draußen, außerhalb der Innenstädte und Speckgürtel, können gemeinsam genutzte Immobilienprojekte eine interessante Lösung für Handwerker sein, die zukunftssichere Standorte suchen. Denn auch dort finden sich Initiativen für gemeinsam genutzte Immobilien, an die Handwerker andocken können. Silvia Hennig vom Thinktank Neuland 21 ist davon überzeugt, dass Kooperationen und die Digitalisierung Unternehmern neue Möglichkeiten eröffnen, um auch auf dem Land erfolgreich moderne Unternehmen zu betreiben. In einer Studie für das Berlin Institut hat sie sogenannte „urbane Dörfer“ untersucht: Das sind Gemeinschaftswohnprojekte von Städtern, die lieber auf dem Land arbeiten und leben wollen, dort aber oft nicht die geeignete Infrastruktur finden – und deshalb gemeinsamin Immobilienin ländlichen Regionen investieren.

Silvia Hennig nennt diese Ansiedlungen nicht Speckgürtel, sondern Speckwürfel: „Speckwürfel entstehen, wenn sich Digitalarbeiter im ländlichen Raum niederlassen, weil sie dort dynamische Effekte auslösen – sie machen diese Region insgesamt attraktiver“, erklärt sie: „Die Infrastruktur, die diese Projekte schaffen, etwa durch Coworking-Spaces und durch neue Dienstleistungen, zieht immer noch mehr Leute an“, sagt die Land-Forscherin. „Und das setzt in manchen Orten eine Aufwärtsspiralein Gang – immer mehr junge Leute, immer mehr Chancen für regionale Unternehmer, dort anzudocken“, erklärt sie. „Und dann entsteht so ein Speckwürfel,in dem es viele Standortvorteile gibt, die man sonst nur im direkten Umfeld der Städte hat.“

Handwerker gern gesehen

Die so entstehenden urbanen Dörfer sind oft Gemeinschaftswohnprojekte, an die sich Coworking-Spaces anschließen, also gemeinsam genutzte Büros, ebenso wie Makerspaces, also gemeinschaftlich genutzte Werkstätten mit modernen Maschinen von der CNC-Fräse bis zum 3D-Drucker. „Wir haben bei unserer Untersuchung dieser Immobilienprojekte festgestellt, dass oft Handwerker an den urbanen Dörfern beteiligt sind“, berichtet Studienleiterin Hennig. Das sei auch naheliegend: „Zum einen wollen ja auch junge Handwerker oft mit ihren Familien aus den Städten wegziehen – wegen der hohen Mieten und fehlender geeigneter Standorte für diejenigen, die sich selbstständig machen wollen“, sagt sie. Zum anderen seien Tischler, Metallbauer oder Kunsthandwerkerin den Gemeinschaftswohnprojekten als Handwerker gern gesehen: „Da geht es auch um den Neu- oder Umbau von Gebäuden, da ist handwerkliches Fachwissen gefragt.“

Nachwuchs für Betriebe

Für Handwerker, die bereits auf dem Land ihre Unternehmen betreiben, können die neu zugezogenen Städterin solchen Gemeinschaftswohnprojekten zum einen interessante, zahlungskräftige neue Kunden sein. Zum anderen können siein urbanen Dörfern auch auf potenzielle Nachwuchskräfte und kreative Geschäftspartner treffen. So kommen junge, kreative Menschen ins Dorf, die den Kontakt zu regionalen Handwerkern suchen und somit zum Beispiel Partner für Produktdesign-Projekte werden. Und offene Werkstätten und Maker Spacesin Wohnprojekten können dazu beitragen, dass sich in der Region insgesamt mehr junge Menschen für produzierende, handwerkliche Berufe interessieren. „Unternehmer, die für solche neuen Trends an ihrem Firmenstandort offen sind, profitieren von diesen Ideen und Projekten“, ist Hennig überzeugt. Für Handwerker auf der Suche nach einem neuen, zukunftsfähigen Standort bieten diese Trends neue Alternativen: Die Frage istin Zukunft womöglich nicht mehr nur: Stadt oder Land? „Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten“, betont Hennig. „In Zukunft muss man sicher genauer hinschauen. Typische städtische Standortvorteile können Unternehmer immer häufiger auch außerhalb der Städte finden, wenn sie gezielt danach suchen – und offen sind für Kooperationen und neue Ideen.“

Innovative Ideen Schritt für Schritt zur neuen Heimat

Wer auf eigene Faust keinen passenden und bezahlbaren Unternehmensstandort mehr findet, muss vielleicht einmal etwas Neues ausprobieren: Hier sind innovative neue Standort-Ideen im Überblick.
  1. Festin Handwerkerhand: Der Handwerkerhof
    Was einer alleine nicht schafft, kannin der Gemeinschaft womöglich besser gelingen: Verpächter und Verkäufer von Gewerbeflächen wollen oft lieber an große Unternehmen verkaufen, statt sich mit kleinteiligen Vermietungen oder Verkäufen zu beschäftigen. Daher kann es sich lohnen, wenn Unternehmer sich zusammenschließen und gemeinsam ein Angebot machen – um anschließend die Fläche gemeinsam zu nutzen.
  2. All-inclusive-Angebot: Einmieten im Handwerker-Gewerbepark
    Viele Städte erkennen, dass sie etwas tun müssen, um kleine und mittelständische Betriebein der Stadt zu halten. Und auch private Immobilienfirmen haben den Bedarf erkannt. Städtisch subventionierte oder privat entwickelte Gewerbehöfe im Speckgürtel der Städte liegen daher im Trend – und können für Handwerker eine interessante Alternative zum klassischen Einzelstandort sein.
  3. Speckwürfel: Standortvorteile selbst gemacht
    Viele junge Familien und auch viele Unternehmer liebäugeln mit einem Umzug aufs Land, um hohen Mieten und der Enge der Stadt zu entgehen. Weite Entfernungen zum Arbeitsplatz oder zu Kundenin der City halten sie oft von diesem Vorhaben ab. Ein Lösungsansatz sind Gemeinschaftswohnprojekte, die Wohnen und Arbeiten auf dem Land verbinden. Digitalarbeiter und Unternehmer tun sich dabei zusammen, um gemeinsamin Immobilien und Infrastruktur zu investieren und sogenannte „urbane Dörfer“ zu schaffen: Dörfer, die die Vorteile von Stadt und Land optimal verbinden. Für Handwerker sind diese Initiativen eine gute Gelegenheit, um ihr Geschäft anzudocken und etwa Coworking-Spaces und offene Werkstätten mit zu nutzen oder angrenzende Gewerbeflächen zu mieten.

Standort Anbindung ist wichtig

Das sind die entscheidenden Standortfaktoren für einen Betrieb. (Ergebnisse einer Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks)

Standort Anbindung ist wichtig
© Quelle: ZDH-Umfrage 2019, Chart: handwerk magazin


8 % der Handwerksbetriebe planenin den kommenden beiden Jahren einen Standortwechsel. In Innenstädten liegt dieser Anteil bei 17 Prozent. Hauptgrund für die Standortverlagerung sind fehlende Erweiterungsmöglichkeiten am aktuellen Standort. (Quelle: ZDH)