Die Energiewende wird erneuert

Ganz gleich wie die EEG-Reform ausfällt: Mehr als 100.000 Anlagen zur Stromerzeugung aus Biogas, Fotovoltaik, Wind- und Wasserkraft müssen in den kommenden Jahren renoviert werden. Zahlreiche Handwerksunternehmer haben diese Marktchance bereits für sich erkannt.

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    © Illustrationen: Frank Maier
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    „Wir bauen in 2014 mehr als 50 Rührwerke aus und ersetzen sie durch neue ­innovativere.“ Stefan Steverding, Maschinenbaumechanikermeister aus Stadtlohn, konstruierte zusammen mit Professor Klaus Baalmann (li.) von der Fachhochschule Münster ein neuartiges Paddel für Biogasanlagen.
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    Ziel Bürgerstrom erreicht: Die Mehrheit der Anlagen befindet sich im Eigentum von Privatpersonen.
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    © Wirtschaftsfoerderung Bremen GmbH
    „Traditionelle Bootsbauer pflegen und reparieren die Flügel unserer Windräder.“ Detlef Lindenau, ­Geschäftsführer Reetec, Bremen.
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    „Wir rechnen mit starkem weiterem Wachstum, da wir die Effizienz steigern.“ Silvia Höhentinger, Inhaberin einer Solarreinigung, Raubling.
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    „Der Geschäftsanteil von ­Repowering wird sich bei uns noch erhöhen.“ Ulf Hansen-Röbbel, ­Geschäftsführer Corona Solar, Hannover.
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    „Wir kommen dann, wenn keiner den Fehler an der Anlage findet.“ Roy Werner, Inhaber der Firma Elektro Werner aus dem sächsischen Zeithain bei Meißen, optimiert in ganz Europa große und kleine Fotovoltaik-Anlagen.
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    Der Anteil erneuerbarer Energien wird im Strommix noch weiter wachsen – wenn die Technologie Schritt hält.
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    Der Abbau veralteter Windkraftanlagen wächst schneller als der Bau neuer Anlagen.

Repowering Die Energiewende wird erneuert

Für dieses Jahr haben wir bereits mehr als 50 Aufträge“, berichtet Stefan Steverding zufrieden. Und dabei ist der April noch gar nicht angebrochen. Dann kommen noch einmal etliche dazu. April ist der stärkste Auftragsmonat im Jahr, sagt der Maschinenbaumechanikermeister aus Stadtlohn im Münsterland.

Steverding tauscht Rührwerke von Biogasanlagen aus. Über 200 montiert er durchschnittlich im Jahr. Dazu hat er ein Paddel entwickelt, das besser ist als andere – vor allem aber: besser als die alten Paddel, die vor einigen Jahren noch eingebaut wurden. Das Rührwerk ist das Herzstück einer Biogasanlage. Je effektiver gerührt wird, desto mehr Ertrag wird erwirtschaftet. Deshalb lassen immer mehr Betreiber ihre Anlagen auf den neuesten Stand bringen.

Das ist kein Einzelfall. Viele Biogas-, Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen sind mittlerweile in die Jahre gekommen und technisch überholt. Die erste Generation von Fotovoltaikanlagen wurde vor mehr als zwölf Jahren auf die Dächer geschraubt, unzählige Windräder sind noch viel älter. Seitdem hat die Technologie sich deutlich verbessert – und zwar in allen Bereichen der Erneuerbaren Energien. Experten schätzen, dass in den kommenden Jahren mehr als 100 000 Anlagen optimiert oder ganz ausgetauscht werden. Die Energiewende wird nicht nur politisch, sondern muss in den nächsten Jahren auch technisch renoviert werden. „Repowering“ lautet der Fachbegriff dafür.

Davon profitiert das Handwerk wie kaum eine andere Branche. Auch wenn der Zubau an neuen Anlagen voraussichtlich weit weniger stark gefördert werden wird und die großen Wachstumsraten deshalb der Vergangenheit angehören, bleibt das Handwerk der „offizielle Ausrüster der Energiewende“ – wie das der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) anschaulich beschreibt.

Fotovoltaik

Die Hannoveraner Corona Solar versteht sich seit 1993 als Spezialist für ökologische Haustechnik. Mit 22 Mitarbeitern plant und realisiert der Handwerksbetrieb Solaranlagen, Pelletheizungen, Brennwerttechnik und Blockheizkraftwerke. „Rund zehn Prozent unseres Umsatzes entfällt auf Repowering“, stellt Geschäftsführer Ulf Hansen-Röbbel fest. Und das werde noch steigen.

Der Bundesverband Solarwirtschaft schätzt, dass rund 1,28 Millionen Fotovoltaikanlagen in Deutschland existieren. Davon sind rund 390 000 älter als fünf Jahre, etwa 70 000 sind zehn Jahre und älter. Stefan Wippich, Experte der Berliner Repowering-Firma Envaris geht davon aus, dass mehrere Zehntausend davon jedes Jahr renoviert werden müssen.

Ein Teil kommt dabei der Ersatzbeschaffung für fehlerhafte, defekte oder verbrauchte Module zu. Zwar sorgen die Vorschriften des EEGs dafür, dass die Gesamtleistung einer Solaranlage nicht vergrößert werden darf. Doch neue Module sind bei gleicher Leistung oft kleiner. So lässt sich bei großen Anlagen die Platzersparnis oft in einer zweiten Anlage umsetzen.

Die Erneuerung betrifft vor allem die Wechselrichter, denn diese Komponente bestimmt mit am stärksten über die Effektivität der Anlage. Leistungsfähigere Wechselrichter dürften jederzeit ohne negative Auswirkungen auf die Einspeisevergütung installiert werden.

„Rund 80 Prozent der Anlagen sind mangelhaft realisiert“, urteilt Wippich. Vor allem solche aus den Boomjahren 2010 und 2011. „Das ist ein Markt mit einer Größe von 30 bis 100 Millionen Euro, der besonders für Dachdecker, Elektro- und SHK-Betriebe relevant ist“, schätzt Wippich.

Dieses Marktpotenzial will Envaris ausschöpfen. Dafür arbeitet der Dienstleister bereits mit rund 180 Handwerksbetrieben in ganz Deutschland zusammen. Weitere werden gesucht. Auch für das neu entstehende Auslandsgeschäft suchen immer mehr Firmen Partner aus dem Handwerk.

Die Firma Elektro Werner aus dem sächsischen Zeithain bei Meißen ist eine davon. Gerade kommt Inhaber Roy Werner aus der russischen Republik Dagestan: „Dort haben wir die erste Freiflächenanlage in Russland gebaut.“ Der Solar-Experte bekommt im Schnitt 50 Aufträge von Envaris im Jahr, davon etliche im Ausland. Das macht rund fünf Prozent seines Umsatzes aus.

Um geeignete Betriebe zu finden, hat Envaris einen Fragebogen erstellt, der die Fähigkeiten des entsprechenden Elektrobetriebs abfragt. Darin wird etwa ermittelt, ob Ausrüstung wie Kennlinienmessgerät oder Elektrolumineszenz-Kamera vorliegen. Eine andere Frage lautet: „Können Sie IP-Adressen pingen?“ (den kompletten Fragebogen können Sie auf unserer Webseite abrufen).

Kommt die Zusammenarbeit zustande, wirkt sie in zwei Richtungen: Handwerker vor Ort übernehmen die Arbeiten für die Kundenprojekte der Envaris. Andererseits holen Handwerker die Envaris mit ins Boot, wenn deren Kunden eine kompetente Planung benötigen oder einen Marktüberblick der relevanten Modul-Hersteller.

Eine ganz andere Art von Repowering praktiziert Sylvia Höhentinger aus dem oberbayerischen Raubling bei Rosenheim: Sie betreibt einen DLG-zertifizierten Reinigungsservice für Solarmodule. Das ist für Landwirte interessant, denn besonders durch Viehwirtschaft verschmutzen die Module. Eine Reinigung bringt etwa fünf bis 15 Prozent Effektivitätszuwachs. „Das rechnet sich schon nach einem Jahr“, sagt die Unternehmerin. 61 Kunden hat sie in diesem Jahr bereits. „41 davon sind neu, die anderen Bestandskunden. Doch wir gehen von weiterem Wachstum aus.“

Windkraft

Bei Wind sind die Repowering-Effekte am deutlichsten: „In den letzten zehn Jahren hat sich die Nennleistung bei Verdoppelung des Rotordurchmessers und der Nabenhöhe verzehnfacht“, berichtet Diplom-Ingenieurin Wiebke Abeling vom Umweltverband „Kommunale Umwelt-AktioN U.A.N.“ in Hannover. Mit jedem zusätzlichen Meter Höhe steigert sich der Ertrag um ein Prozent, so eine Faustregel.

Bereits zwischen 2007 und 2009 ersetzte man etwa im nordfriesischen Galmsbüll 38 Windräder, die insgesamt 12,4 Megawatt lieferten, durch 21 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 60 Megawatt: Bei einer Steigerung der Leistung um das Fünffache wurde gleichzeitig die Anlagenzahl auf fast die Hälfte reduziert. Doch nicht nur die schiere Größe entscheidet. Die heutigen Anlagen sind grundsätzlich wesentlich effektiver – auch bei gleicher Größe. Aus diesem Grund gibt es einen sogenannten Repowering-Bonus: Wer sein altes Windrad abreißt und durch ein neueres ersetzt, wird gefördert.

Rund 23 600 Onshore-Windräder lieferten in 2013 mehr als 33 700 Megawatt (MW). Von diesen Anlagen sind etwa 9500 bereits mehr als zwölf Jahre alt. Etwa 416 Räder wurden im letzten Jahr aufgrund von Repowering-Maßnahmen abgebaut, dafür 269 Anlagen an deren Standorte aufgebaut. Insgesamt stieg die Zahl der Anlagen um 1154. Und dabei dürfte es nicht bleiben: Glaubt man der EU-Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard, so steht die Stromerzeugung aus Windkraft an Land kurz vor der Wettbewerbsfähigkeit. Und was Geld verdient, wird weiter ausgebaut. So dürfte auch nach EEG-Reform die Zahl der abgebauten Windanlagen weiter steigen.

Die neuen Anlagen benötigen nicht nur neue Fähigkeiten, sondern auch traditionelle. So sind nicht nur Elektroniker und Mechaniker gefragt, sondern etwa auch handwerkliche Bootsbauer. Denn sie sind Experten im Umgang mit Kunst- und Faserverbundstoffen, aus denen die meisten Rotorblätter der Windkraftanlagen bestehen. „Da die Rotorblätter sehr sensibel und permanent der Witterung ausgesetzt sind, brauchen wir das Know-how und die Materialkenntnis von Bootsbauern für regelmäßige Reparaturen“, erläutert Geschäftsführer Detlef Lindenau, bei dessen Bremer Firma Reetec zwei Bootsbauer beschäftigt sind und die zu den erfahrensten Betrieben der Windenergie-Branche zählt.

Neben Firmen, die neue Windräder aufstellen, existieren in Deutschland etwa 20 freie Service-Unternehmen, die sich auf Messung, Monitoring und Wartung bestehender Anlagen spezialisiert haben.

Wasserkraft

Rund 7700 Wasserkraftwerke existieren in Deutschland. 90 bis 92 Prozent des Wasserkraftstroms produzieren 355 Anlagen mit einer Leistung größer als ein MW, die restlichen acht bis zehn Prozent erzeugen rund 7300 Kleinwasserkraftanlagen.

In Europa, so schätzen Experten, ist etwa die Hälfte der Kleinwasserkraftwerke über 60 Jahre alt. Das größte Potenzial hat die Wasserkraft bei Kleinwasserkraftwerken. Laut einer aktuellen Studie der Universität Stuttgart könnte etwa die Leistung bereits bestehender Kraftwerke in Nebengewässern des Oberrheins durch Repowering um 29 Prozent gesteigert werden.

Ein Beispiel: Beim Repowering der Alten Mühle im oberbayerischen Weichs an der Glonn konnte die Leistung mehr als verdoppelt werden: Die Turbine aus dem Jahr 1921 lieferte 16 kW. Nach Austausch von Turbine, Generator und Steuerung bringt die Anlage heute 40 kW – und versorgt 80 bis 100 Haushalte mit Strom.

So fördert die Stuttgarter Landesregierung seit Kurzem die technische und ökologische Modernisierung kleiner Wasserkraftanlagen in Baden-Württemberg bis 2015 mit 6,9 Mio. Euro (weitere Informationen dazu auf handwerk-magazin.de/repowering).

Biogas

Rund 7800 Biogas-Anlagen sind in Deutschland im Augenblick in Betrieb. Davon wurde laut Andrea Horbelt, Sprecherin des Fachverbandes Biogas, der Großteil im Jahr 2010 gebaut. Die Hälfte aller Anlagen ist vier Jahre alt und älter. Wer zur Anlage ein Blockheizkraftwerk betreibt, muss bereits heute über einen Austausch nachdenken. Denn deren Lebensdauer geht über diesen Zeitraum kaum hinaus.

In den Boomjahren 2010 und 2011 wurden viele Anlagen sehr schnell hochgezogen, berichtet Diplom-Ingenieur und Sachverständiger für Biogastechnik der IHK Flensburg Martin Paproth: „Bausünden und Ausführungsmängel sind eher der Normalfall als die Ausnahme“, erklärt der Ingenieur. Sie zu beseitigen kann die Effektivität einer Anlage enorm steigern. Und dazu sind die Betreiber im Augenblick sehr stark motiviert. Denn Kauf oder Eigenanbau von Substraten wird immer kostspieliger, was zu einer weit besseren Ausnutzung der Rohstoffe zwingt.

„Die Modernisierung und Erweiterung bestehender Biogasanlagen bietet viel Potenzial“, wertet auch Karsten Krieg. Der Prokurist und Bereichsleiter Biogas der Danpower Gruppe (mehrheitlich Stadtwerke Hannover) ist selbst für eine Anlage verantwortlich. Für ihn bedeutet Repowering nicht nur Reparatur, Mängelbeseitigung und der Austausch verbrauchter Komponenten: „Mit Repowering-Maßnahmen erreichen wir, dass aus unserer Biogasanlage in Gröbern eine Biomethananlage entstehen wird. Und dieses Bio-Erdgas werden wir in das örtliche Erdgasnetz einspeisen können.“ Bundesweit speisen bereits heute mehr als 100 Anlagen ihr Gas direkt ins Erdgasnetz ein.

Etliche Dienstleister haben sich auf diesen Markt eingestellt, wie etwa die Agraferm aus dem oberbayerischen Pfaffenhofen an der Ilm. „Es gibt ein deutliches Wachstum bei Repowering“, urteilt auch Firmensprecherin Margitta Kley. Bei Agraferm kümmert sich seit Juni 2013 die neu gegründete Repowering-Abteilung ausschließlich um die Optimierung bestehender Fremd- und Eigenanlagen. Damit reagiere man auf die aktuelle Entwicklung auf dem Biogasmarkt. Über 200 Komplettanbieter, die ihr Angebot auf Repowering ausgeweitet haben, sollen laut Experten in Deutschland existieren. Die meisten suchen noch nach kompetenten Partnern aus dem Handwerk.

Agraferm agiert dabei als Generalunternehmer, der für einzelne Leistungen entsprechende Handwerksbetriebe mit einbindet. Auch für ausländische Märkte. Denn speziell in Italien und Spanien ist deutsches Biogas-Know-how begehrt.

So macht Stefan Steverding mittlerweile mehr als 80 Prozent seiner Geschäfte mit seinen innovativen Rührwerken im Ausland. „Der englische Markt geht gut, der türkische Markt wird interessant“, sagt er. Und als Nächstes hat sich der findige Handwerksmeister nun Steuerungstechnik von Biogasanlagen vorgenommen. Auch hier sieht er noch großen Optimierungsbedarf.