Unternehmensbewertung Wunsch und Wirklichkeit

Inhabergeführte Handwerksbetriebe funktionieren ganz anders als große Konzerne. Das sollte sich auch in ihrem Wert ausdrücken. Ein spezieller Bewertungsstandard für kleine Betriebe hilft, den richtigen Verkaufspreis zu finden.

Wunsch und Wirklichkeit

„Ein Handwerksbetrieb ist wertlos, zumindest im betriebswirtschaftlichen Sinn.“ Diesen frustrierenden Satz hörte Karl-Reiner Braun immer wieder, als es um die Bewertung seiner Schreinerei in Ulm ging. Vor zwei Jahren wollte der heute 67-Jährige in Rente gehen und seinen Betrieb „an einen jungen Mann übergeben, der eine solide Startchance sucht“. Weil klar war, dass kein Familienmitglied das schon seit 75 Jahren bestehende Unternehmen übernehmen würde, suchte Braun nach einem externen Nachfolger. Dies Unterfangen wurde zum Geduldsspiel. Im Sommer 2007 meldete sich mit Ralf Bodmer endlich ein Interessent, den Braun eigentlich schon kannte. Der 33-jährige Bodmer hatte einst in der Schreinerei Braun gelernt und sich später als Ein-Mann-Unternehmen in einer Werkstatt zur Untermiete selbständig gemacht. Doch die vorhandenen Räume wurden bald zu klein und Bodmer begann, nach einem geeigneten Betrieb zur Übernahme zu suchen.

Mit dem Finden eines geeigneten Nachfolgers war zwar die größte Hürde genommen. Doch nun mussten Braun und Bodmer einen für beide Seiten akzeptablen Kaufpreis vereinbaren und die Übergabe zum 3. Januar 2008 vertraglich regeln. „Mir war es wichtig, dass ich mit dem Kaufpreis die Steuern bezahlen kann, die bei der Auflösung des Betriebs anfallen“, sagt Karl-Reiner Braun. „Sowohl der Landesfachverband Schreinerhandwerk in Stuttgart als auch die Berater der Handwerkskammer Ulm hatten mir schon vor der Bewertung gesagt, dass Handwerksbetriebe oft keinen betriebswirtschaftlichen Wert haben.“ Der Wert der Firma stehe und falle mit der Person des Inhabers. „Wer zum Schreiner geht, will den Meister sprechen“, weiß Braun aus langjähriger Erfahrung. Auch wenn die Mitarbeiter einen Großteil der Arbeit erledigten, das Geschäft laufe allein über den Inhaber.

Standard fürs Handwerk

Diese starke Abhängigkeit des Betriebs von der Person des Inhabers berücksichtigt der Bewertungsstandard der Handwerkskammern, mit dem auch Karl-Reiner Braun seine Schreinerei bewerten ließ. Das spezielle Bewertungsverfahren für kleine, inhabergeführte Betriebe wurde auf Initiative des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) von der Arbeitsgemeinschaft der Wert ermittelnden Betriebsberater im Handwerk (AWH) entwickelt. Der Arbeitskreis aktualisiert den Standard laufend und schult zudem Betriebsberater der Handwerkskammern, die so ihren Mitgliedern eine kostenlose Unternehmensbewertung anbieten können.

Substanz getrennt übergeben

Der AWH-Standard bewertet Betriebe nach dem Ertragswertverfahren. Dieses Verfahren versucht herauszufinden, was sich künftig mit einem Unternehmen erwirtschaften lässt oder welche Ertragskraft in ihm steckt. Substanzwerte wie Gebäude oder Fahrzeuge fließen nicht in die Bewertung ein und werden getrennt an den Nachfolger verkauft. Im Fall der Schreinerei Braun hat Ralf Bodmer zum Beispiel zwei Betriebsfahrzeuge außerhalb des Unternehmenskaufvertrags übernommen. Außerdem hat er das Grundstück der Schreinerei von Braun gemietet.

Die maßgeblichen Größen für die Berechnung des Unternehmenswerts nach dem AWH-Standard sind der zu erwartende betriebswirtschaftliche Gewinn pro Wirtschaftsjahr und der Kapitalisierungszinssatz. Der zu erwartende betriebswirtschaftliche Gewinn berechnet sich aus den Gewinnen der letzten vier Jahre. Diese werden um außerordentliche Erträge bereinigt – etwa um das Auflösen einer Anspar-Abschreibung, außerordentliche Aufwendungen wie zum Beispiel nicht durch eine Versicherung ersetzte Schäden sowie um kalkulatorische Werte etwa eine allgemein anzusetzende Summe für den Unternehmerlohn. Das Bereinigen der Ergebnisse bewirkt, dass einmalige Effekte, die nichts mit der betrieblichen Leistung des Unternehmens zu tun haben, nicht in die Bewertung einfließen. Nach dem Bereinigen der Gewinne werden die einzelnen Geschäftsjahre gewichtet. Aktuelle Ergebnisse wiegen mehr als weiter zurückliegende Werte.

Der Kapitalisierungszinssatz – die zweite Größe zur Berechnung des Unternehmenswerts – wird aus einem Basiszins, Risikozuschlägen und einem Zuschlag für die Abhängigkeit des Betriebs vom Inhaber ermittelt. Als Größe für den Basiszins dient die aktuelle Umlaufrendite, die den „landesüblichen Zinssatz für eine risikofreie Kapitalmarktanlage“ ausdrückt. Sie wird von der Deutschen Bundesbank veröffentlicht und beträgt aktuell 3,98 Prozent (Stand 28. März 2008). Als Risikozuschläge fließen Faktoren wie die Abhängigkeit von bestimmten Kunden oder die Beschäftigtenstruktur in den Kapitalisierungszins ein. Ebenso erhöht eine starke Inhaberabhängigkeit diese Größe.

Mit dem erwarteten betriebswirtschaftlichen Gewinn und dem Kapitalisierungszinssatz lässt sich der Unternehmenswert nach folgender Formel berechnen:

Rechnet man zum Beispiel mit einem betriebswirtschaftlichen Gewinn von 100000 Euro und liegt der Kapitalisierungszinssatz bei 20 Prozent, so beträgt der Unternehmenswert 500.000 Euro. Je höher der Kapitalisierungszinssatz ist – das heißt, je mehr Risikofaktoren in die Bewertung mit einfließen – desto geringer wird der Faktor, mit dem der angenommene Gewinn multipliziert wird. Die Höhe des Kapitalisierungszinssatzes ist deshalb ein zentraler, aber auch kritischer Punkt bei der Unternehmensbewertung, weil der Betriebsinhaber natürlich einen möglichst hohen Preis erzielen will.

Was den Preis drückt

Potenzielle Nachfolger sollten daher die möglichen Abschlagsfaktoren kennen und bei den Preisverhandlungen behutsam zur Sprache bringen. „Bei den Handwerksbetrieben, die wir bewerten, liegt der Kapitalisierungszinssatz in der Regel bei 20 Prozent“, sagt Bernd Juhl, Betriebsberater der Handwerkskammer Ulm. Juhl hat den AWH-Standard maßgeblich mit entwickelt und kennt aus seiner täglichen Praxis viele Bewertungsfälle. „Der AWH-Standard hilft überzogene Preisvorstellungen zu korrigieren. Er schafft die Grundlage für erfolgversprechende Preisverhandlungen und ermöglicht so oft überhaupt erst die Übergabe des Betriebs an einen Nachfolger“, sagt Juhl.

Denn nicht immer stünden Betriebsinhaber dem tatsächlichen, in Geld ausgedrückten Wert ihres Lebenswerks so realistisch gegenüber wie Karl-Reiner Braun. Der Schreinermeister hatte in den letzten Jahren bewusst auf Investitionen verzichtet und wusste, dass die vorhandenen Maschinen beim Verkauf nur einen geringen Preis erzielen würden. Auch dass Wartungs- oder Werkverträge mit Großunternehmen, die noch bis Ende 2008 laufen und damit der Schreinerei unter der neuen Führung Umsatz bringen, ohne Wertansatz – also für Bodmer kostenlos – übernommen wurden, drückt sicherlich keine angemessene Wertschätzung der langjährigen Kundenpflege aus. Es entspricht aber durchaus der Realität bei Betriebsübergaben.

Dem Neuen Reserven lassen

Braun und sein Nachfolger Ralf Bodmer einigten sich schließlich ziemlich genau auf den Betrag, den die Bewertung der Handwerkskammer ergeben hatte. Am Ende war es sogar noch „ein bisschen weniger“ als Bodmer erwartet hatte. Das so „gesparte“ Geld wird der Existenzgründer wahrscheinlich gut gebrauchen können. Denn „bei großen Aufträgen muss man schnell Materialrechnungen über 80000 bis 100000 Euro vorfinanzieren. Da braucht man Reserven und eine Bank, mit der man über Kreditlinien verhandeln kann“, hat ihm sein Vorgänger Karl-Reiner Braun mit auf den Weg gegeben.

Bewertungsexperte Bernd Juhl: „Jeder Betrieb ist anders”

Warum brauchen die Betriebsberater überhaupt ein spezielles Bewertungsverfahren für Handwerksbetriebe?

Juhl: Bis zur Gründung des Arbeitskreises der wertermittelnden Betriebsberater im Handwerk (AWH) vor sechs Jahren gab es keinen Bewertungsstandard für kleine, inhabergeführte Betriebe. Das Problem dabei ist: Die gängigen Verfahren zur Unternehmensbewertung berücksichtigten nicht die im Handwerk übliche, starke Abhängigkeit des Geschäftserfolgs vom Inhaber. Daraus folgt, dass Inhaber oft den Wert des eigenen Betriebs überschätzen. Wer persönliche Kontakte pflegt und sich vor Ort engagiert, profitiert auch geschäftlich von diesen Verflechtungen. Viele Aufträge entstehen beispielsweise im Sportverein. Ein Betriebsübernehmer hat diese Kontakte natürlich zuerst nicht.

Wie genau geht das Bewertungsverfahren Ihres Arbeitskreises – also der AWH-Standard – auf diese besondere Situation von kleinen Betrieben ein?

Juhl: Für ganz entscheidend halte ich, dass sich der Faktor, mit dem die Ertragskraft des Unternehmens bei der Bewertung multipliziert wird, beim AWH-Verfahren aus der individuellen Struktur des jeweiligen Betriebs ergibt. Ein veralteter Maschinenpark oder die Abhängigkeit von bestimmten Kunden beispielsweise führen als Risikozuschläge zu einem geringeren Unternehmenswert. Im Vergleich dazu benutzen andere Bewertungsmodelle „branchenübliche“ Faktoren, die keine betriebsspezifische Bewertung zulassen.

Wie können Betriebsinhaber hohe Abschläge bei der Bewertung vermeiden?

Juhl: Wenn der Betrieb auch ohne seinen alten Chef erfolgreich weiterlaufen kann und eine solide Geschäftsausstattung vorhanden ist. Wer in den Jahren vor der Übergabe zukunftsweisend investiert und eine breite Kundenstruktur geschaffen hat, reduziert die Risikozuschläge in der Bewertungsformel. Vorteilhaft ist auch, den Nachfolger über längere Zeit einzuarbeiten, ihn wichtigen Kunden vorzustellen und ihm zu helfen, ein vertrauensvolles Verhältnis zu den Mitarbeitern aufzubauen. Betriebsübernehmer sollten deshalb auch genau diese Punkte sehr kritisch hinterfragen und behutsam auf jene Schwachstellen hinweisen, die sich dann auch im Preis wiederfinden müssen.

Wie läuft eine Bewertung ab und wie lange dauert sie?

Juhl: Der Betriebsinhaber meldet sich direkt bei seiner Handwerkskammer und füllt ein Formular mit verschiedenen Daten zum Betrieb aus. Dafür benötigt er Unterlagen wie Jahresabschlüsse oder Anlagenverzeichnisse. Oft kann hier der Steuerberater weiterhelfen. Wenn der Fragebogen ausgefüllt ist, schlägt der Betriebsberater zwei bis drei Beratungstermine vor, darunter auch einen Termin vor Ort. Bei den Terminen macht sich der Berater ein Bild vom Unternehmen, sammelt noch fehlende Daten und lernt auch den Nachfolger kennen. Anschließend erstellt er dann seine Bewertung.