Burnout-Prävention Work-Life-Balance: 4 zentrale Gründe für Stress – und wie Sie dem im Alltag vorbeugen können

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Fühlen Sie sich manchmal gestresst und wissen vielleicht gar nicht genau warum? Diplom-Psychologin Ilona Bürgel in Dresden erklärt, was zu einem Gefühl von Stress führt, warum Entscheidungen ein wichtiges Mittel zum Stressabbau sind und wie Sie das Leben entspannter genießen können.

Stressforschung
Diplom-Psychologin Ilona Bürgel erklärt: Stress ist auch eine Sucht. - © BillionPhotos.com - stock.adobe.com

Mit einem Vorurteil räumt Diplom-Psychologin Ilona Bürgel gleich auf: es sind nämlich nahezu die gleichen Themen, die Männer und Frauen stressen. Zu diesem Ergebnis kam eine von der Expertin gemeinsam mit Focus online durchgeführte Umfrage, an der 1083 Frauen und 754 Männer teilnahmen. Ziel war es herauszufinden, was die Menschen in der modernen Arbeitswelt am meisten belastet. Dabei identifizierte die Expertin vier Stressfaktoren, die unglücklich im Job machen.

1. Stress ist ein Denkfehler

Wir machen es uns auch bei der Arbeit selbst schwer: Es sind nicht die ständigen E-Mails oder Anrufe, die nerven, auch nicht das Gefühl, keine Wahl zu haben. Sondern, dass wir uns zu viele Gedanken machen. Bei Männern wie Frauen bekam dieser Spitzenreiter 16 Prozent Zustimmung. Die hohen eigenen Ansprüche und der eigene Wunsch, wachsenden Anforderungen gerecht zu werden, führen dazu, dass wir uns viel zu viel aufhalsen, was wir dann aufgrund der immer weniger beherrschbaren Menge parallel erledigen.

2. Stress ist ein Ungleichgewicht

In der früheren Stresstheorie wurden positiver ( Eustress) und negativer ( Dysstress) unterschieden. Moderne Stressforscher, wie Tobias Esch, gehen inzwischen davon weg, weil die körperlichen, oft unbewusst und automatisch ablaufenden Reaktionen ähnlich sind. Es werden eher Dauer, Dosis und Angemessenheit der Stressreaktion betrachtet. Da zwischen dem Stressor oder Reiz aus der Umwelt oder auch von innen (z. B. Gedanken) und der Reaktion immer ein Individuum mit seinen Erfahrungen, Gewohnheiten, Ressourcen usw. steht, wird klar, dass es ein allgemeingültiges „gut“ oder „schlecht“ nicht geben kann. Vielmehr kommt es darauf an, wie, wie lange, wie oft und wie gut wir Belastungen von innen oder außen ausgleichen.

3. Stress ist eine Frage der Bewertung

Der gemeinsame Konsens aller Erklärungsversuche zu negativem Stress besteht in dem Ungleichgewicht von erlebten Anforderungen und Bewältigungsmöglichkeiten. Letztere bestehen aus objektiven Faktoren, wie z. B. die zur Verfügung stehende Zeit oder Arbeitsmittel, und subjektiven, wie Zeiteinteilung, Arbeitsorganisation oder Belastbarkeit. Ausschlaggebend ist vor allem die Bewertung einer Situation z. B. als Überforderung, Einschränkung oder nicht handhabbar. Einen Vortrag vor ausgewählten Kunden zu halten, eine lange Strecke Auto zu fahren oder ein Jahresgespräch mit dem Chef sind Situationen im Alltag, die von der einen Person als spannend und angenehm, von einer anderen als belastend, ja sogar bedrohlich erlebt werden.

4. Stress ist eine Sucht

Jahr für Jahr ist der liebste Vorsatz der Deutschen zum Jahresende, weniger Stress im neuen Jahr zu haben. Immerhin halten sich statistisch gesehen etwa die Hälfte an ihre guten Vorsätze, doch offenbar ohne Erfolg. Sonst stünden dieselben Vorsätze nicht im Folgejahr wieder auf der Tagesordnung. Das Stresshormon Cortisol wird vom Körper produziert, um die notwendigen Veränderungen zu steuern . Wir atmen schneller, die Muskeln werden angespannt, Körper und Geist werden in Bruchteilen von Sekunden darauf vorbereitet, zu reagieren. Das ist die gute Seite, sonst wären wir nicht handlungsfähig und würden im Übrigen auch morgens das Bett kaum verlassen. Die andere Seite der Medaille ist, dass Cortisol im Körper wie eine Droge wirkt und abhängig macht.

Vorsicht: Botenstoffe lassen Stresslevel automatisch steigen

Das Gehirn bevorzugt Bekanntes , selbst wenn es nachteilig für uns ist. Der Teufelskreis ist schwer zu durchbrechen und irgendwann wird Stress als Normalzustand erlebt, den man immer wieder sucht. Das geschieht ganz unbewusst und automatisch. Wir schaffen Erlebnisse und Umstände, die uns stressen, weil das vertraut ist. Auf der Gehirnebene wird immer wieder auf die Botenstoffe und Hormone hingearbeitet, die vertraut sind. Leider gewöhnt sich das Gehirn an alles und der Wohlfühlbotenstoff Dopamin nutzt sich ab. Wir brauchen dann andere Reize oder eine größere Menge, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Für den Stress heißt das eben leider auch, dass wir mehr Anstrengung, mehr Stress suchen. Die biochemische Reaktion auf Stress wird zur Gewohnheit.

Fazit der Expertin: „Überforderung am Arbeitsplatz durch Stress entsteht insbesondere dann, wenn wir den Belastungen nicht genug entgegenzusetzen haben und wenn ein Ungleichgewicht aus Anforderung und körperlichen und geistigen Ressourcen entsteht.“

Wie Routine Glück kostet und wir keinen Stress abbauen

Prüfen Sie einmal an einigen Beispielen, wie lange Sie schon etwas auf eine bestimmte Art tun : An welcher Hand tragen Sie Ihre Uhr, auf welcher Seite telefonieren Sie, putzen die Zähne oder be dienen das Handy. Seit wann sind Sie Vegetarier oder Radfahrer, wie lange schon fahren Sie im Urlaub ans Meer? Diese Routinen sind ungeheuer praktisch, wenn man wenig Zeit in Entscheidungen investieren will. Zeit haben wir alle zu wenig. So bin ich eben, das ist eben so.

Machen wir uns nichts vor, das sind richtig gute Ausreden, den eigenen Alltag, das eigene Leben lieber nicht in Frage zu stellen . Wir wissen, so ist es bequemer. Und wir haben die Erfahrung dass es aufwendig ist, größere Dinge zu ändern. Schon allein der Gedanke an ein neues Geschäftsmodell, eine gesündere Ernährung oder neue Mitarbeiter fühlt sich unsicher an. Wir wissen nicht, was kommt.

Warum Aufschieben keine Lösung ist

Doch wünschen wir uns nicht jedes Jahr, dass wir Stress selbst abbauen? Und was, wenn die Ergebnisse unserer Routinen nicht stimmen? Wir mehr wiegen, als wir wollen, schon viel zu lange allein leben oder der Beruf uns einfach nur noch stresst? Dann scheitern wir meist schon daran, dass aus einer guten Absicht keine Tat wird. Ich möchte das noch etwas deutlicher schreiben. Ich erlebe im Coaching häufig Menschen, die mehr oder weniger lange abwägen und sich dann für eine Variante entscheiden. Aber nicht richtig . Zum Beispiel wenn jemand einen neuen Partner finden möchte. Da höre ich folgendes: „Ja, mein Ziel ist es, wieder in einer glücklichen Partnerschaft zu leben. Aber wenn es nicht klappt, ist es auch nicht so schlimm.“ Das ist ungefähr so, als wenn Sie in Ihr Navi eingeben „fahre mich nach Leipzig“ und es dann wieder löschen. Oder wenn Sie online eine schicke Hose aussuchen, die Sie gern haben wollen, aber nicht bestellen.

Entscheidungen sind der erste Schritt zu glücklichen Lösungen

Wenn Sie eine klare Entscheidung gefällt haben „Ich will ein neues Geschäftsmodell, neue Kunden oder Mitarbeiter und zwar voll und ganz, dann kann das Gehirn nach neuen Ideen suchen und zwar so lange, bis es klappt. Es kann außerdem unangenehme Gefühle, etwa beim Ansprechen eines unbekannten Menschen oder einem Bewerbergespräch relativieren, Stress abbauen und auch nach einer Ablehnung weiter machen . Es wird eine Erfahrung wie etwa die Enttäuschung durch einen ungeeigneten Bewerber nicht mehr als gute Begründung für das Nichtstun nutzen. Sondern es wird einen besseren Kontext definieren wie „Auch wenn der letzte Bewerber eine Enttäuschung war lohnt es sich, für eine bessere Arbeitsverteilung und ein gute Betriebsklima weiter nach Verstärkung zu suchen.“

Entscheidungen verändern die Informationsverarbeitung

Die Entscheidung „ich will“ verändert Ihre Wahrnehmung. Denn unser Gehirn filtert Informationen immer so, dass Sie zu unseren Gedanken und Erwartungen passen. Wenn Sie sich hinter der Enttäuschung mit früheren Bewerbern verstecken, werden Sie folglich diejenigen Berichte zum Fachkräftemangel wahrnehmen, die Ihre vorsichtige und zweifelnde Haltung bestätigen. Wenn Sie sich für „ich will“ entschieden haben werden Sie ermutigende Beispiele und Erfahrungen wahrnehmen. Dann ist dies ein täglicher kleiner Glücksbringer

Entscheidungen verbessern das Lebensgefühl

Wenn Sie sich für „ich will nicht“ entscheiden , ist das genauso gut. Hauptsache Sie tun dies auch zu 100 Prozent. Dann gibt es nämlich keinen Grund mehr, sich über eine zu hohe Arbeitsbelastung, zu geringe Umsätze oder ein angespanntes Betriebsklima aufzuregen. Sie haben sich ja entschieden, dass es so bleiben soll, wie es ist. So haben Sie plötzlich die Energie, die Sie vorher auf das Grübeln „ob oder ob nicht“ verwendet haben frei, um Ihr Leben so, wie es ist, zu genießen . Nur Sie sind der Maßstab für Ihre Entscheidung. Schließlich müssen nur Sie damit leben und die Konsequenzen tragen.