Wohnungsbau im Keller

Baugewerbe | In Deutschland werden zu wenig Wohnungen gebaut. Jetzt soll die neue Bundesregierung durch eine verbesserte Förderung für mehr Aufträge sorgen, fordert das Handwerk.

Kein Ende der Talfahrt absehbarIn Deutschland werden immer weniger neue Häuser und Wohnungen gebaut. Für 2009 werden es voraussichtlich nur noch 140000 sein. Entsprechend sinken die Auftragseingänge im Bereich Wohnungsbau für die Handwerksbetriebe. - © handwerk magazin

Wohnungsbau im Keller

Droht in Deutschland eine Wohnungsnot? So drastisch scheint die Lage noch nicht, aber in den Großstädten steigen die Mieten und „erste Wohnungsengpässe zeichnen sich ab“, beklagen in seltener Einmütigkeit der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes sowie die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Deshalb haben sich die Verbände jetzt zu einer „Initiative Wohnungsbau in Deutschland“ zusammengeschlossen und fordern von der neuen Bundesregierung Impulse für den Neubau und die Sanierung von Wohnungen.

Tatsächlich liegt der Wohnungsbau derzeit im wahrsten Sinn des Wortes im Keller. Die Zahl der neu erstellten Wohnungen lag nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im vergangenen Jahr bei nur 155820, ein historischer Tiefststand. Vier Jahre zuvor waren es noch 100000 mehr. Bei Experten ist unstrittig, dass auf Dauer ein jährliches Fertigstellungsniveau von 250000 bis 300000 Wohnungen notwendig ist, um die Nachfrage zu decken, auch wenn die Gesamteinwohnerzahl zurückgeht. Denn die Zahl der privaten Haushalte wird bis 2020 noch ansteigen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Schreckgespenst Wohnungsnot durchaus real.

Für die Unternehmen des Bau- und Ausbauhandwerks hat der siechende Wohnungsbau gravierende Folgen, denn gerade bei den kleineren Betriebe sind private Neu- und Umbauten das Kerngeschäft. Für 2009 erwartet der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes einen Umsatzrückgang im Wohnungsbau von 5,1 Prozent. Schon 2008 lagen die Auftragseingänge im Wohnungsbau deutlich unter den Vorjahreswerten, und für 2009 werden sie weiter sinken. Da auch im Wirtschaftsbau die Aufträge zurückgehen, wird die Branche das Jahr mit einem Umsatzminus von 4,7 Prozent abschließen.

Als wichtigste Gründe für den starken Rückgang im Wohnungsbau (siehe Grafik) nennt Hans-Hartwig Loewenstein, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, „die Abschaffung der Eigenheimzulage Anfang 2006 und die Erhöhung der Umsatzsteuer von 16 auf 19 Prozent Anfang 2007“. Auch der Wegfall der degressiven Abschreibung bei Mietwohnungen oder die Verlängerung der Spekulationsfrist hätten die Rahmenbedingungen für Investoren verschlechtert, kritisiert die „Initiative Wohnungsbau in Deutschland“.

Politik muss schnell handeln

Jetzt müssen die Fehler der alten Bundesregierung korrigiert werden, fordern die Bauverbände und haben auch gleich einen Maßnahmenkatalog zusammengestellt (siehe links unten) mit dem Hinweis „dringend“. „Der Wohnungsbau muss Schwerpunkt der Politik werden“, so Loewenstein. Die wichtigsten Forderungen aus dem Maßnahmenkatalog sind für den Mietwohnungsbau eine Verdoppelung des Abschreibungssatzes von derzeit zwei auf vier Prozent, beim selbstgenutzten Wohnraum eine für Häuslebauer günstigere Besteuerungsvariante sowie mehr staatliche Förderungen für die energetische Sanierung und den altengerechten Umbau von Wohnungen.

Speziell der private Wohnungsbau muss nach Ansicht der Verbände dringend mit staatlicher Hilfe aufgepäppelt werden. Nicht ohne Grund sei die Wohneigen-tumsquote in Deutschland mit 43 Prozent im internationalen Vergleich niedrig. Das habe auch steuerliche Gründe. So ist, anders als bei anderen Kapitalanlagen, bereits der Kauf einer Immobilie mit Grunderwerbsteuer belastet. Hinzu kommt die jährlich anfallende Grundsteuer. Anders als in vielen anderen Ländern kann der private Wohneigentümer auch keine Schuldzinsen absetzen. Alle Investitionen bezahlt er aus seinem voll versteuerten Einkommen. Als Alternative nennen die Bauverbände eine nachgelagerte Besteuerung bei Investitionen in Wohneigentum. Im Kern kann bei diesem Modell der Bauherr Tilgungsleistungen und Schuldzinsen absetzen, muss die Beträge aber spätestens nach 25 Jahren nachversteuern. Das klingt wie eine Milchmädchenrechnung, aber eine anfängliche Entlastung ist für viele Haushalte die einzige Chance, überhaupt Wohneigentum zu erwerben, argumentiert Ulrich van Suntum vom Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen der Universität Münster, dessen Modell die Bauverbände favorisieren.

Wichtig für die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt ist bei der Ankurbelung des Wohnungsbaus auch der beschäftigungspolitische Effekt. „10000 zusätzliche Wohnungen jährlich schaffen Beschäftigung für rund 30000 Arbeitnehmer“, rechnet IG-Bau-Vorsitzender Klaus Wiesehügel vor. Und die zusätzlichen Arbeitsplätze bringen dem Staat wieder Einnahmen. So rechnen Experten, dass der Neubau eines Einfamilienhauses im Durchschnitt zu Steuern aus Einkommen und Umsatz in Höhe von 46000 Euro und Sozialabgaben in Höhe von 60000 Euro führt.

Marktchance Senioren

Einen Lichtblick am dunklen Wohnungsbauhimmel haben Branchenexperten aber ausgemacht:seniorengerechte Wohnungen. Wer sich hier spezialisiert, hat einen Riesenmarkt vor sich. Nach Schätzungen sind im bundesweiten Wohnungsbestand erst ein Prozent seniorengerecht umgebaut. Auch mit energetischen Sanierungen können Baubetriebe Rückgänge beim Neubau kompensieren, das zeigt die derzeit stabile Auftragslage bei den Ausbau- und Gebäudetechnikbetrieben. Die Fördermittel für private Immobilienbesitzer und die Konjunkturpakete für Kommunen haben zu einem Run auf spezialisierte Handwerker geführt, die Sanierungen aus einer Hand anbieten.

reinhold.mulatz@handwerk-magazin.de