Interview mit Trendforscher Peter Wippermann "Wir versuchen, die physische Welt wieder zurückzuholen"

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Zukunftsperspektiven im Handwerk

Automatisierung, Rationalisierung und das Comeback der Handwerkskunst werden zentrale Trends im Handwerk, sagt Trendforscher Peter Wippermann. Für die Internationale Handwerksmesse 2019 entwickelt er eine Trendlandkarte für das Handwerk.

Trendforscher Peter Wippermann im Interview mit handwerk magazin Chefredakteur Olaf Deininger über Veränderungsaxt und "freundliche Matrix". - © Sebastian Berger


Wenn Sie die letzten 20 Jahre Revue passieren lassen: Was waren in den Bereichen Business-to-Business und Wirtschaft die wichtigsten Trends?

Man kann das sehr schön an Amazon festmachen: Die Firma ist vor 21 Jahren gegründet worden. Viele Leute sagten damals, das sei ein Online-Buchhändler und wir werden neue Konkurrenz in einer Branche, eben in der Buchbranche haben. Heute bietet Amazon nicht nur Infrastruktur an, wie Amazon-Web-Services; es ist auch dabei autonome Läden und Shops einzurichten, wo es etwa genau die Produkte gibt, die im Online-Bereich am besten laufen. Aus der Nische Online-Buchhandel ist der weltgröße Online-Händler entstanden. Und der ist jetzt dabei, die physische Welt für sich zu erobern. Internet, Online und Smartphones wurden immer zuerst als Nischenphänomene diskutiert. Heute sieht man das Smartphone als Körperteil an und viele Menschen möchten nicht ohne das Smartphone aus dem Haus gehen.

Kann man Sehnsüchte, Wünsche und Werteideale in einer Gesellschaft ebenfalls als Trends beschreiben. Etwa in den 90er Jahren Cocooning oder heute Hygge?

Ich untersuche zusammen mit TNS Infratest seit zehn Jahren alle zwei Jahre den Wertewandel in Deutschland. Wir stellen hier fest, dass weiter wir in diese virtuelle Welt gehen und je stärker unser Verhalten in zwei Wirklichkeiten ist, desto stärker wird der Wunsch die reale Welt, die Natur, die Vergangenheit neu zu inszenieren. Im Werteindex des Jahres 2018 ist Natur der wichtigste Wert. Früher war es einmal Freiheit. Als zweites kommt Gesundheit, was sehr verständlich ist, da wir in einer Gesellschaft leben, die sehr individuelle Lebensgestaltung praktiziert. Aus dem dritten Platz rangiert Familie. Man sieht, das alles sind Sehnsüchte. So ist die Anzahl der Familien in Deutschland beispielsweise auf dem Rücklauf, das heisst es gibt immer weniger klassische Familien. Wir sind gleichzeitig immer weniger in der Natur, sehnen uns aber mehr danach. Wir investieren viel in unsere Gesundheit, sitzen aber häufig nur rum.

Kann man solche Sehnsüchte auch auf das Handwerk übertragen?

Sicher, auf einmal stehen Naturmaterialien hoch im Kurs. Das gilt für Holz, für Stein, für Innenräume, für Bepflanzung an Innenwänden. Die Ursache liegt darin, dass wir versuchen, uns die physische Welt wieder zurückzuholen.

Lässt sich etwa auch ein Trend zu nationaler Identität feststellen?

Das ist im Augenblick sehr massiv. Das Thema Globalisierung war ja auch die große Idee, dass die unterschiedlichen Nationen zusammenwachsen. In der virtuellen Welt wird plötzlich die Retro-Idee der Heimat außerordentlich wichtig. Reaktionäre politische Gruppen inszenieren das im Augenblick sehr wirkungsvoll.

Löst jeder Trend seinen Gegentrend aus?

Ja, das ist wie zwei Seiten einer Münze: Das, was verschwindet wird wertvoller, ist aber nicht mehr massenhaft vorhanden. Und das, was massenhaft vorhanden ist, wird tendenziell immer preiswerter.

Was unterscheidet Trendforschung von klassischer Marktforschung?

Einfach gesagt: Marktforschung stellt Fragen und Trendforschung beobachtet Veränderungen.

Sie entwickeln im Augenblick für die Internationale Handwerksmesse (IHM) in München eine Trendlandkarte für das Handwerk, die zur IHM 2019 im März nächsten Jahres vorgestellt werden soll. Ohne zu viel zu verraten: Was sind denn die großen allgemeinen gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Trends und Perspektiven, die im Augenblick auf das Handwerk wirken?

Wir sehen im sozialen Bereich Trends wie „New Me“, Self-Coaching, natürlich den demografischen Wandel, die zunehmend relevante Frage nach Geschlechtergerechtigkeit und die Tatsache, dass soziale Beziehungen zunehmend virtuell werden. Im Bereich Technologie ist es das Internet der Dinge, Themen Fernwartung und Roboter. Aber auch die besprochene digitale Matrix. Bei den wirtschaftlichen Entwicklungen wirken Netzökonomie und die Individualisierung der Produktion. Und im kulturellen Bereich sehen wir eine Entschleunigung als Gegentrend zur digitalen Vernetzung, Gesundheit, Natur als Neo-Ökologie sowie Privatsphäre und Sicherheit.

Gibt es auch Entwicklungen und Trends, die in erster Linie handwerksspezifisch sind?

Das Interessante ist: Das Handwerk beginnt Produktionsmittel zu nutzen, die eine Art von Rationalisierung und Automatisierung ihrer handwerklichen Fähigkeiten ermöglichen. Dazu zählen beispielsweise Technologien wie 3D-Druck oder autonome Roboter, die Ziegelsteine setzen. Gleichzeitig ist aber auch die Industrie in der Lage, Unikate zu fertigen. Man sieht sowohl in der Handwerksproduktion als auch in der Industrieproduktion eine Entwicklung zu vernetzten Maschinen und der Möglichkeit, viele digitale Informationen zu verarbeiten und dadurch individuelle Leistungen zu erbringen. Gleichzeitig sehen wir aber auch ein sehr starkes Comeback der Handwerkskunst und der hochindividuellen Handwerksarbeit. Aber dazu mehr im März nächsten Jahres auf der Internationalen Handwerksmesse.


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Vita Peter Wippermann

Peter Wippermann , Jahrgang 1949, ist Gründer der Trendforschungsagentur Trendbüro , ein Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel. Nach seiner Lehre zum Schriftsetzer im Grafik-Design-Studio seines Vaters arbeitete Wippermann zunächst als Art Director beim Rowohlt-Verlag und beim ZEITmagazin. 1988 gründete er gemeinsam mit Jürgen Kaffer und Peter Kabel die Werbeagentur »Büro Hamburg«. Von 1993 bis 2015 lehrte er als Professor für Kommunikationsdesign an der Folkwang Universität der Künste in Essen.