Wer vorsorgt, spart doppelt

Arbeitsschutz | Weil Fehlzeiten den Betrieb mehr kosten als jede Prävention, lohnt es sich, die Gefahrstellen zu entschärfen. Projekte und Infoangebote für Kleinbetriebe gibt es inzwischen reichlich.

  • Bild 1 von 2
    © Antonio Bello
    Gesunde Arbeitsplätze und eine effiziente Organisation bei Orthopädie-Schuhmachermeister Hubert Gassenschmidt in Baden-Baden trägt das Engagement beim Arbeitsschutz auch zum Kosten sparen bei.
  • Bild 2 von 2
    © handwerk magazin

Wer vorsorgt, spart doppelt

Sichere und gesunde Arbeitsplätze gehören schon seit der Firmengründung 1991 zum Selbstverständnis von Hubert Gassenschmidt. „Eine gesundheits- und umweltorientierte Arbeitspraxis ist die elementare Basis für einen Gesundheitsdienstleister“, erklärt der Orthopädie-Schuhmachermeister in Baden-Baden. Damit sich Mitarbeiter und Kunden im elf Köpfe zählenden Kleinbetrieb gleichermaßen wohlfühlen, begnügt sich Gassenschmidt längst nicht nur mit der Einhaltung behördlicher Vorschriften.

So hat er über die Jahre kontinuierlich daran gearbeitet, dass sein Betrieb als Vorreiter in Sachen Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz im Handwerk gilt. Dabei will Gassenschmidt vor allem auch mit dem Vorurteil aufräumen, dass die Maßnahmen für sicheres, gesundes und umweltgerechtes Arbeiten außer Kosten nichts bringen. „Unser Betrieb beweist genau das Gegenteil“, so Gassenschmidt, „wir konnten unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern und durch effizientere Abläufe sogar Kosten reduzieren.“ Für sein von hohem persönlichem Einsatz geprägtes Konzept wurde „Gassenschmidt-Orthopädie“ jetzt für den „Deutschen Arbeitsschutzpreis 2009“ nominiert.

Die Auszeichnung wird vom Arbeitsministerium und der „Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung“ (DGUV) für außerordentliches Engagement bei der Beseitigung typischer Gefahrenquellen (Lärm, Staub, Gefahrstoffe, Sturz- und Schnittverletzungen) sowie der gesundheitsgerechten Arbeitsplatzgestaltung vergeben. Der Preis ist Bestandteil der von Regierung und Unfallversicherung entwickelten „Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie“ (GDA), deren Ziel es ist, die Zahl der Unfälle durch Prävention weiter zu verringern (siehe auch Interview Seite 40).

Spitze bei den Rentenlasten

Im Visier haben die Initiatoren dabei vor allem auch die 1,65 Millionen Kleinbetriebe mit bis zu neun Beschäftigten. Hier liegt die Zahl der Arbeitsunfälle nach Berechnungen der Dortmunder Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zwar im Durchschnitt, bei den Arbeitsunfallrenten stehen die Kleinbetriebe laut BAuA jedoch an der Spitze. Wenn etwas passiert, dann offensichtlich oft mit schwereren Folgen.

Um das in der Vergangenheit oft nur zaghaft vorhandene Engagement der Unternehmer beim Arbeitsschutz zu verbessern, haben Politik und Unfallversicherer den Spielraum für die Firmenchefs inzwischen deutlich erhöht. Gab es Mitte der 90iger-Jahre auch für Kleinbetriebe starre Vorgabezeiten für eine sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Betreuung, können die Unternehmer je nach Anzahl der Mitarbeiter nun zwischen mehreren Varianten wählen (siehe Infokasten rechts).

Flexibilität kommt gut an

Eine Freiheit, die im Handwerk durchaus Zustimmung findet: „Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass es nicht mehr für alle Betriebe konkrete Vorgaben gibt, wir sehen darin einen wichtigen Beitrag zum Bürokratieabbau“, erklärt Jörg Hagedorn, Leiter der Abteilung Soziale Sicherung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) in Berlin. Natürlich, so Hagedorn, bedeute die Liberalisierung auch, dass der Unternehmer sich jetzt verstärkt um die Organisation des Arbeitsschutzes kümmern muss: „Wer das nicht tut, könnte nätürlich in Gefahr geraten, bei einem Arbeitsunfall in Regress genommen zu werden.“

Ob und wie die Kleinbetriebe mit der neuen Freiheit zurechtkommen, ermittelt die DGUV noch bis Ende des Jahres systematisch in einer Studie. Obwohl es für ein abschließendes Urteil noch zu früh ist, zeigt sich DGUV-Experte Gerhard Strothotte optimistisch, dass sich die Regelung in der Praxis bewährt: „Als erste grundsätzliche Tendenz lässt sich ablesen, dass die Betriebe die neue Regelung annehmen und auch erfolgreich praktizieren“, erklärt der Leiter der Abteilung „Betrieblicher Arbeitsschutz“. Dem Einwand der Kritiker, die neuen Regeln seien zu wenig konkret und könnten die Unternehmer überfordern, begegnet er gelassen: schließlich gäbe es in der Praxis genug Hilfen und Projekte, auf die Firmenchefs zurückgreifen können.

In der Tat ist die Vielzahl der von Politik, Berufsgenossenschaften, Unfallversicherern, Verbänden, Kammern und Krankenkassen für Kleinbetriebe durchgeführten Projekte inzwischen atemberaubend. ZDH-Experte Hagedorn sieht darin kein Problem, geht es nach seiner Einschätzung vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Belegschaft vorwiegend darum, die Unternehmer verstärkt für das Thema sichere und gesunde Arbeitsplätze zu sensibilisieren.

Während viele der Kollegen erst mehr oder weniger mühevoll den für sie passenden Weg beim Arbeitsschutz suchen, zeigt Hubert Gassenschmidt, das sich der berühmte „Blick über den Tellerrand“ auch für einen Betrieb seiner Größenordnung lohnt. So wollte er es sich und seinen Mitarbeitern nicht zumuten, weiterhin mit den in seiner Branche bisher üblichen gesundheitsgefährdenden Klebstoffen zu arbeiten. Zusammen mit Wissenschaftlern entwickelte er etwa schadstoffarme Klebstoffe auf Wasserbasis, die keine organischen Lösungsmittel enthalten. Um die in einer Orthopädiewerkstatt traditionell hohe Staubbelastung zu reduzieren, motivierte Hubert Gassenschmidt den Hersteller zu technischen Änderungen an seinen Maschinen. Da der Baden-Badener Unternehmer als passionierter Musiker zudem ein besonderes Gespür für Lärm und die damit verbundenen Belastungen hat, legt er zudem Wert auf geräuscharme Maschinen und setzt konsequent Lärmschutzvorrichtungen ein. Sein System zum Umgang mit Gießharzen ist inzwischen sogar Branchenstandard.

Sollten der Jury noch Argumente für eine Preisvergabe fehlen, kann Gassenschmidt auch im Bereich der Mitarbeiter auf ein schlagkräftiges Konzept verweisen: „Bei uns gibt es praktisch keine Fluktuation, wir haben zudem über 20 Gesellen erfolgreich auf die Meisterprüfung vorbereitet.“ Die Fehlzeitenquote liegt deutlich unter einem Prozent, außer einer Schnittverletzung gab es keine Krankheiten, die auf die Arbeit zurückzuführen sind. Alle Mitarbeiter arbeiten auf Vertrauensbasis, die Stechuhr wurde längst abgeschafft.

Besonders stolz ist Gassenschmidt auf sein Konzept zur Emissionsreduzierung. Als es beim Umzug an den neuen Standort bei der Frage der gewerblichen Nutzung um die Emissionsbelastung ging, kamen die Gutachter zu einem überraschenden Ergebnis: „Die Abluft des Betriebs ist sauberer als die Umgebungsluft und das im Luftkurort Baden-Baden“, freut sich Gassenschmidt.

Mitarbeitergrenze ausweiten

Während er der Verleihung des Arbeitsschutzpreises bei der Düsseldorfer Leitmesse A + A entgegenfiebert, können künftig eventuell auch Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern von flexibleren Regelungen beim Arbeitsschutz profitieren. Der Entwurf zur Anhebung der Mitarbeiterzahl liegt zwar bereits vor, muss aber nach Aussage des ZDH-Experten Hagedorn „noch abgestimmt werden“. Das dauert zwar sicher länger als die Entscheidung der Jury, wäre aber für das Handwerk genauso positiv wie ein Preis für Orthopädie Gassenschmidt.

kerstin.meier@handwerk-magazin.de