Was Grün dem Handwerk bringt

Wirtschaftspolitik Die Grünen erobern die Landesregierungen. Welche Schwerpunkte die Ökopartei in der Wirtschaftspolitik setzt und welche Auswirkungen das für Handwerksunternehmer hat.

„Nicht der ganz große Wurf.“Joachim Möhrle, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages. - © Möhrle

Was Grün dem Handwerk bringt

Man könnte den Eindruck gewinnen, die neue grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg unter Führung des ersten grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann hätte in ihrem Koalitionsvertrag beim Handwerk abgeschrieben: erneuerbare Energien und energetische Gebäudesanierung ausbauen, die Handwerkskammern als wertvolle Partner der Regierung unterstützen, den Fachkräftebedarf sichern, im Wohnungsbau investieren, die Schulpolitik neu ausrichten das sind alles Forderungen des Handwerks.

Acht Mal erscheint das Wort Handwerk im 85 Seiten dicken Koalitionspapier, und immer geht es um Wohltaten für den Wirtschaftszweig, der das „Musterländle“ prägt wie kein anderer. Doch was wird sich konkret für Handwerksbetriebe ändern, wenn die Grünen ihren Vormarsch in die Landesregierungen fortsetzen, so wie jüngst in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz? Welche Schwerpunkte setzt die Ökopartei in der Wirtschaftspolitik und wie sehen Handwerksunternehmer die neue politische Lage? handwerk magazin ist auf Stimmenfang in Baden-Württemberg gegangen und hat wichtige Ziele der Grünen mit Forderungen des Handwerks verglichen (siehe Tabelle auf Seite 20).

Wenn der Blaumann grün wird

Das Ende der Atomkraft und ein schneller Ausbau erneuerbarer Energien ist der Kernpunkt grüner Politik. So soll in Baden-Württemberg ein Förderprogramm für Investitionen in die Umsetzung von energie-, rohstoff- und materialeffizienten Produktionsverfahren in kleinen und mittleren Unternehmen aufgelegt werden. Das liegt ganz auf der Linie des Handwerks. „Wir werden die forcierte Energiewende mit unserem Expertenwissen mittragen“, erklärt Joachim Möhrle, Präsident des Baden-Württembergischen Handwerkstages. Solaranlagen, Windkraft und Biomasse seien typische handwerkliche Betätigungsfelder. Zwar bedeute der Energie-Umbau für die Betriebe höhere Strompreise, „dafür ergeben sich neue Geschäftsfelder für das Handwerk“, so Möhrle.

In der Wirtschaftspolitik wurde eine soziale und ökologische Marktwirtschaft mit einer ressourcenverträglichen Produktion schon im Wahlprogramm der Grünen 2009 gefordert. Wörtlich stand geschrieben: „Wenn der Blaumann grün wird, hat er Zukunft.“ Darauf setzt auch Malermeister Sven Steltzel aus Esslingen. Der 24-jährige Jungunternehmer ist gerade dabei, einen zweiten Betrieb zu gründen mit dem Schwerpunkt gesundes Wohnen und Leben. „Die neue Regierung könnte das Bewusstsein in der Bevölkerung für nachhaltige und gesunde Produkte stärken“, sieht Steltzel als Chance für ökologisch ausgerichtete Handwerker. Allerdings könnte der Preis für eine umweltfreundliche Wirtschaft von den Betrieben in Form von höheren Abgaben zu zahlen sein, fürchtet der Malermeister. Karl Kronmüller, Bäckermeister aus Schwäbisch Hall, der in seinen 14 Filialen Bioprodukte verkauft, erwartet von Grün-Rot in Baden-Württemberg einen Schub für umweltfreundliche Handwerker: „In unserer Region mit einer hohen Kaufkraft sind die Kunden für eine direkte Vermarktung ökologischer Lebensmittel sehr aufgeschlossen, das wird sich mit der neuen Politik noch steigern.“ Ansonsten bleibt der Demeter-Vertragsbäcker Realist: „Die Wirtschaft ist international, da schrumpft der Einfluss von Regierungen.“

Bessere Ausbildungsreife

„Mit der Neuausrichtung der Schulpolitik greift die neue Koalition Vorschläge auf, die das baden-württembergische Handwerk schon vor neun Jahren eingebracht hat“, kommentiert Rainer Reichhold, Präsident der Handwerkskammer Region Stuttgart das Vorhaben von Grün-Rot, Gemeinschaftsschulen für alle Kinder bis Klasse 10 einzuführen und Ganztagesschulen zu fördern. Mit längerem gemeinsamem Lernen werden auch die musischen, kreativen und handwerklichen Interessen und Fähigkeiten besser entwickelt, erwartet Reichhold. Das wäre eine Chance für die Betriebe, mehr junge Leute zu bekommen, die besser gerüstet und motiviert eine Lehre im Handwerk antreten. Ulrich Bopp, Maurermeister und Präsident der Handwerkskammer Heilbronn-Franken, erwartet eine „besondere Unterstützung im Bereich der Ausbildungsreife und Fachkräftesicherung“ von der neuen Regierung.

Baden-Württembergs neuer grüner Ministerpräsident Kretschmann ist mit dem Versprechen angetreten, den Mittelstand zu stärken und das Mittelstandsförderungsgesetz wiederzubeleben.

Anton Gindele, Schreinermeister und Präsident der Handwerkskammer Ulm, konkretisiert, was das Handwerk darunter versteht: „Die Mittel für die überbetriebliche Ausbildung müssen verstetigt werden, Bürokratie muss abgebaut und die Wettbewerbsbedingungen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge müssen für das Handwerk fairer gestaltet werden.

Insgesamt beginnt sich das Handwerk mit den Grünen anzufreunden - und umgekehrt, wie es Christine Scheel, die Mittelstandsbeauftragte der Grünen, im Interview beschreibt. Noch sind viele Handwerksunternehmer allerdings etwas skeptisch und scheinen es zu halten wie Frank Hohl aus Esslingen, Inhaber eines Werbetechnik-Unternehmens. Eigentlich wäre ihm eine schwarz-grüne Regierung lieber gewesen, aber „es kann durchaus etwas werden mit Grün-Rot und dem Handwerk“, sagt Hohl.

reinhold.mulatz@handwerk-magazin.de

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