Vom Helfer zum Chef

Sie sind qualifiziert und leistungsbereit, dennoch haben viele Chefs noch immer Vorbehalte gegen die Einstellung behinderter Mitarbeiter. Dazu gibt es jedoch keinen Grund, wie die Reportage von handwerk magazin in der Oktober-Ausgabe zeigt. Mit allen wichtigen Tipps und Ansprechpartnern für Förderung und Zuschüsse.

Vom Helfer zum Chef

Von der Arbeitslosen zum Klassenprimus – die taubstumme Heidrun Zöbisch hat bei Fleischermeister Kurt Torner in Hamburg-Eidelstedt eine Bilderbuchkarriere absolviert. Vor 17 Jahren hatte Fleischer Torner die damals Arbeitslose als Aushilfe für seinen Partyservice eingestellt, heute trägt Heidrun Zöbisch die Verantwortung für den kompletten Geschäftsbereich. Eingestellt hat er die gelernte Pelznäherin vor allem aus zwei Gründen: „Sie war mir von Anfang an sympathisch – und eine Herausforderung.“

Arbeitsagentur hilft

So zeigte sich schon beim ersten Besuch, dass er und seine Mitarbeiter eine völlig neue Art der Kommunikation lernen mussten. Zwar stellte das Arbeitsamt neben dem Lohnzuschuss auch einen Betreuer für das erste Jahr, doch danach mussten Torner und seine Mitarbeiterin selbst klar kommen. Das war weniger kompliziert als erwartet, weil beide Seiten vorbildlich aufeinander zugingen: Fleischer Torner eignete sich im Laufe der Jahre vieles aus der Gebärdensprache an – und seine neue Mitarbeiterin perfektionierte das Ablesen von den Lippen.

Eine Investition, die sich bis heute für beide Seiten auszahlt: „Sie ist einfach die Beste“, betont Fleischer Kurt Torner nicht ohne Stolz. Auch die Verständigung zwischen Heidrun Zöbisch und den anderen sechs Angestellten im Unternehmen klappt inzwischen nahezu problemlos. Schwierig wird es laut Torner nur in besonders hektischen Phasen. Dann knallt Zöbisch schon mal mit den Türen. „Das ist halt ihr Ventil“, sagt der Firmenchef.

Dass es im Vergleich zu anderen Angestellten nur wenige Unterschiede gibt, bestätigt Ulrich Römer von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH): „Behinderte sind Arbeitnehmer wie alle anderen auch.“ So wirken sich nach seiner Erfahrung die meisten Behinderungen gar nicht auf den Arbeitsplatz aus, weil Blinde oder Taubstumme wie Heidrun Zöbisch auch bei den Behinderten eine Minderheit darstellen. Trotzdem zahlen einige Betriebe mit Beschäftigungspflicht lieber die Ausgleichsabgabe (siehe Info-Element auf dieser Seite). „Das kann dann richtig schmerzhaft sein“, sagt Römer.

Die Vorurteile gegenüber der Einstellung behinderter Menschen lassen sich nach Einschätzung des Experten leicht entkräften. Als Beispiel nennt er den Kündigungsschutz, den es bei Behinderten in den ersten sechs Monaten gar nicht gibt. „Der Unternehmer kann hier selbst entscheiden, ob Anforderungen und die Leistung des neuen Mitarbeiters übereinstimmen“, erklärt Römer. Danach muss der Betriebsleiter vor einer Kündigung die Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes einholen – aber auch hier enden Römer zufolge 80 Prozent der Verfahren mit der Trennung vom Arbeitgeber.

Viel motivierter

Ein weiteres Vorurteil sei, dass Menschen mit Behinderungen ständig krank seien. „Die sind viel motivierter“, betont Römer jedoch. „Schließlich wissen sie, dass sie unter ständiger Beobachtung stehen.“ Und auch die Meinung, die Ausstattung eines Arbeitsplatzes sei zu teuer, entkräftet er. So gäbe es immer einen Leistungsträger, der die dafür erforderlichen Maßnahmen auch bezahlt. Nur ein Argument lässt sich nach Aussage des BIH-Mitarbeiters nicht entkräften: Dass Behinderte eine Arbeitswoche länger Urlaub bekommen. „Aber die Kosten“, so Römer, „sind in der Regel wohl nicht so hoch wie die jährliche Ausgleichs-abgabe.“

Die Schlosserei Swars & Söhns in Lübeck hat inzwischen sogar vier behinderte ehemalige Auszubildende übernommen. Der Betrieb gehört zu jenen, die bei 40 Angestellten zwei Schwerbehinderte einstellen müssen. Auf die eingeschränkten Fähigkeiten des körperlich behinderten Kollegen und auf die drei lernschwachen Jugendlichen hat sich Andreas Bähne eingestellt. „Sie brauchen zwar keine gesonderte Aufsicht, aber wir müssen die Aufgaben einschränken“, berichtet der Maschinenbaumeister bei Swars & Söhns. So ist der behinderte Mitarbeiter nicht „kopffest“ und kann nicht in Höhen arbeiten, auch mit der Selbständigkeit hapert es selbst bei einfachen Arbeiten: „Einmal sollte er eine Pforte holen, die einbetoniert werden sollte“; erinnert sich Bähne. „Er kam mit dem Tor wieder, hatte aber keinen Zement mitgebracht.“

Die drei lernschwachen Jugendlichen beschreibt der Meister als „fachlich gut“. Zwar hätten sie Lese- und Schreibschwächen, würden diese Defizite jedoch durch fachliches Wissen ausgleichen. „Sie gehören mit zu den besten Leuten im Betrieb – nur die Zeichnungen können sie eben nicht lesen“, berichtet Bähne. Zudem brauchen auch sie einige Zeit, bis sie eigenständig vorgegebene Aufgaben erledigen können.

Für Helferberufe geeignet

Da das trotz des größten Einsatzes nicht alle schaffen, werden lernschwache oder behinderte Menschen mittlerweile oft in Helferberufen ausgebildet. Die Ausbildung dauert, wie bei regulären Berufen, zwei bis drei Jahre. Geregelt werden diese Helfer- oder Werkerberufe im Paragrafen 66 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG).

Allerdings gibt es diese Sonderqualifikationen nicht für jedes Gewerk und auch nicht einheitlich im gesamten Bundesgebiet. So wird etwa im Bundesland Schleswig-Holstein für das gesamte Gebäudereinigerhandwerk kein Helfer ausgebildet, obwohl das Bildungswerk Bugenhagen sich bemüht hat, einen solchen Beruf zu schaffen.

Dagegen entstand in Zusammenarbeit mit der örtlichen Kraftfahrzeug-Innung die Ausbildung zum Fahrzeugpfleger. „Es ist nicht einfach, jemanden davon zu überzeugen, dass diese Berufe gebraucht werden“, resümiert Ausbildungsleiter Binder. Die Jugendlichen, die zum Beispiel in Timmendorfer Strand eine Ausbildung zum Fahrzeugpfleger erhalten, kommen Binder zufolge meistens in kleinen und mittelständischen Betrieben unter. „Hier ist die Struktur übersichtlicher und der Chef kann sich persönlich entscheiden“, begründet Ausbildungsleiter Binder das Engagement aus dem Mittelstand. K

Ann-Christin Wimber

kerstin.meier@handwerk-magazin.de