Videoüberwachung Viele Unternehmer wissen nicht, was gilt

Terror, Diebstahl und Vandalismus: Immer mehr Videoanlagen werden hierzulande auch in Handwerksbetrieben installiert. Doch ohne schriftliches Datenschutzkonzept drohen Klagen von Kunden und Mitarbeitern.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Aufnahmen einer Videokamera sich nur auf das eigene Grundstück, nicht aber auf die Straße oder Nachbarhäuser beziehen dürfen. - © ARSELA/iStockphoto.com

Der Fall: Ein Einzelhändler hatte den begründeten Verdacht, dass Mitarbeiter bei ihm Zigarettenstangen stehlen. Er überwachte sie heimlich und stellte dabei zwar keinen Diebstahl der Glimmstengel fest, filmte aber mit Hilfe einer Kamera, wie eine Führungskraft in die Kasse griff. Die Filialleiterin stand bis dahin nicht in Verdacht.

Das Urteil: Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt ließ die Aufnahmen als Videobeweis zu (Az.: 2 AZR 848/15). Grundsätzlich sei eine solche Überwachung erlaubt, wenn der Verdacht auf eine Straftat vorliegt. So sieht es das Bundesdatenschutzgesetz vor. Nach diesem Urteil können also auch Zufallsbefunde als Beweis bei einem Gerichtsverfahren akzeptiert werden.

Videoüberwachung auf Baustelle vs. Datenschutz

Ein zweites Beispiel ereignete sich auf einer Großbaustelle in Mecklenburg-Vorpommern. Hier taucht eines Morgens überraschender Besuch auf. Zwei Datenschutzbeamte gehen einer anonymen Anzeige nach. Bei dem Informations- und Kontrollbesuch kommt heraus, dass ein großes Bauunternehmen die Bauarbeiter auf dem jeweils oberen Stockwerk des Hochhausrohbaus während der gesamten Arbeitszeit durch Videokameras überwacht hat. Dazu waren die beiden Baukräne der Baustelle jeweils mit einer Kamera bestückt worden – und das über einen Zeitraum von zehn Monaten.

Nach § 6b des Bundesdatenschutzgesetzes darf ein Unternehmen öffentlich zugängliche Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen wie der Videoüberwachung beobachten, soweit dies zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist. Der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen kenntlich zu machen. Die Verarbeitung oder Nutzung dieser Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen.

Totale Überwachung verboten

Das Bauunternehmen argumentierte, die Videoüberwachung diene dazu, den reibungslosen Bauablauf zu kontrollieren und den Einsatz von größeren Geräten zu überwachen. Doch damit zog sich die Baufirma nur noch weiter in den Schlamassel. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine lückenlose Videoüberwachung von Arbeitnehmern während der gesamten Arbeitszeit unzulässig. Die Datenschützer kritisierten zudem, dass Alternativlösungen bestanden hätten, die weniger schwer in das „informationelle Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Arbeitnehmer“ eingegriffen hätten.

So habe etwa die Möglichkeit bestanden, vor und nach den Arbeitszeiten sowie in den Pausen Aufnahmen anzufertigen, um die Einhaltung von Bauabläufen und den erfolgten Großgeräteeinsatz zu überwachen. Der Datenschutzbeauftragte des Landes verhängte deshalb ein fünfstelliges Bußgeld gegen den Bauunternehmer, der dagegen vor Gericht zog. Die Angelegenheit wird demnächst beim zuständigen Amtsgericht verhandelt.

Das Beispiel zeigt: Die zunehmende digitale Aufrüstung ist Datenschützern ein Dorn im Auge. Längst macht das hässliche Wort des Überwachungskapitalismus die Runde. Auch die Justiz lässt die private Videoüberwachung nur in ­engen Grenzen zu. „Das führt zu der grotesken Situation, dass man als Firmeninhaber fast schon Jura studiert haben muss, um eine Videokamera aufstellen zu können“, sagt Rechtsanwalt und Notar Dr. Sebastian Meyer. Der Rechtsexperte macht dafür die zunehmende Sensibilität in der Bevölkerung gegen eine grenzenlose Überwachung im öffentlichen Bereich verantwortlich.

My Home is my castle

Andererseits sind die Deutschen nicht zimperlich, wenn es um ihre eigenen vier Wände geht. Die große Mehrheit (81 Prozent) hat kein Problem damit, andere in ihrer Wohnung per Videokamera zu überwachen. Das ergab eine repräsentative Studie des Portalbetreibers immowelt AG. Das gilt für vier von fünf Bürgern vor allem dann, wenn sie mit dem mulmigen Gefühl in Urlaub fahren, dass während ihrer Abwesenheit eingebrochen werden könnte. Durch die Videoaufzeichnung erhoffen sie sich zumindest, den Täter zu fassen. Und 43 Prozent der Deutschen würden gern dem Handwerker per Video über die Schulter schauen, wenn er allein in der Wohnung werkelt. Immerhin noch 23 Prozent möchten die Reinigungskraft digital kontrollieren.

Bäcker observiert 90 Filialen

Nicht sonderlich sensibel ist auch ein ostdeutsches Bäckereiunternehmen vorgegangen, welches in ein komplexes Videoüberwachungssystem investiert hatte, mit dem von der Zentrale aus die über 90 Bäckereifilialen des Unternehmens gleichzeitig überwacht werden konnten. Dabei wurden sowohl Tische und Sitzbereiche und damit die Kunden der Filialen überwacht, als auch die Angestellten während ihrer gesamten Arbeitszeit. Der Landesbeauftragte für Datenschutz in Mecklenburg-Vorpommern wies die Geschäftsleitung mehrfach auf die daten­schutzrechtliche Unzulässigkeit hin und gab gleichzeitig Empfehlungen für ein datenschutzgerechtes Betreiben der Videoanlage. Trotz mehrfacher Aufforderungen lehnte der Betrieb eine Änderung des Videosystems entsprechend den Empfehlungen zunächst ab.

Der Leiter des Unternehmens teilte mit, dass es zirka 40 Einbrüche in Bäckereifilialen gegeben habe. Bis auf zwei Vorfälle waren diese nachts verübt worden. Nachts bestehen aber aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Bedenken gegen eine Videoüberwachung. Denn die Gefahr einer Überwachung der Kunden und Angestellten existiert naturgemäß nur während der Öffnungszeiten.

Die Kontrollen der Datenschützer führten dazu, dass das Unternehmen die Videoüberwachung seiner Filialen nunmehr datenschutzgerecht betreibt. Die ursprünglich mitüberwachten Ruhebereiche der Gäste der Bäckereifilialen sind jetzt ausgeblendet. Ebenso größere Teile des Arbeitsbereiches des Personals, sodass die Angestellten nicht mehr während ihrer gesamten Arbeitszeit überwacht werden.

Datenschutzkonzept hilft

Das alles kann sich der FC Bayern München sparen – vorerst zumindest. Der berühmte Fußballverein betreibt im Oberhausener Einkaufszentrum Centro einen Fanshop. Eine Mitarbeiterin warf ihrem Arbeitgeber vor, er mache im Sozialraum in unzulässiger Weise Videoaufnahmen. Doch das Arbeitsgericht hat kürzlich ihre Klage auf Unterlassung und Schadensersatz abgewiesen (Az.: 2 Ca 2024/15).

Das Interesse des Arbeitgebers an der Diebstahlsaufklärung wurde höher bewertet als die mögliche Persönlichkeitsrechtsverletzung der Arbeitnehmerin. Ob diese Entscheidung in den nächsten Gerichtsinstanzen hält, ist angesichts der Zurückhaltung des Bundesarbeitsgerichts bei privaten Videoaufzeichnungen fraglich. „Dem Shopbetreiber wäre das aber sicher nicht passiert, wenn er sich vor der Videoüberwachung ein Datenschutzkonzept ausgedacht hätte“, ist Rechtsanwalt Sebastian Meyer überzeugt. Seiner Einschätzung nach ärgert die staatlichen Datenschützer nichts mehr als Gewerbetreibende, die sich über die Digitalüberwachung vor dem ersten Einsatz keine Gedanken machen. „Es reicht, wenn der Anwender eine Kurzdokumentation von zwei, drei Seiten erstellt, warum und warum auf ganz konkrete Weise überwacht werden soll“, erläutert Rechtsanwalt Meyer.

Das jeweilige Unternehmen sollte also zunächst einmal schriftlich festhalten, was mit der Videoüberwachung überhaupt erreicht werden soll. Geht es darum, nachts Diebstähle zu verhindern oder tagsüber? Sollen alle Kunden dauerhaft überwacht werden – verdeckt oder offen? Oder geht es darum, die Mitarbeiter zu kontrollieren, ob sie arbeiten oder Zeitung lesen? Schriftlich festzuhalten ist auch, wie und wie lange die Daten gespeichert werden und wer Zugriff darauf hat. Ganz wichtig: Nach § 6b Absatz 5 des Bundesdatenschutzgesetzes sind die Daten unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen.

Die Datenschutzbeauftragten der Länder gehen davon aus, dass die Daten nach spätestens 48 Stunden zu löschen sind. „Das ist illusorisch und so pauschal nicht richtig“, kritisiert Anwalt Meyer. „Befindet sich der Handwerker während der Woche auf Montage, kann er die Videoaufzeichnungen erst freitags oder samstags durchsehen. Dann beträgt die Löschfrist durchaus eine Woche.“ Je nach Überwachungszweck kann auch eine dauerhafte Speicherung in Betracht kommen. Dann muss allerdings genau dokumentiert werden, wo die Daten sicher gespeichert werden und welche Personen Zugriff darauf haben.

Das sagen die Gerichte zu den verschiedenen Überwachungsmöglichkeiten

Überwachungskamera: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Aufnahmen einer Videokamera sich nur auf das eigene Grundstück, nicht aber auf die Straße oder Nachbarhäuser beziehen dürfen (Az.: C-212/13). Ob eine solche Videoüberwachung im Einzelfall zum Schutz des Eigentums, der Gesundheit und des Lebens zulässig ist, muss im Rahmen einer Interessenabwägung festgestellt werden. Der Fall betraf einen tschechischen Hausbesitzer, der mit seiner Videokamera Diebe in flagranti erwischt hatte und die Aufzeichnung der Polizei übergab.

Dashcam: Das Verwaltungsgericht Ansbach (Az.: AN 4 K 1634/13) hält das heimliche Filmen von Verkehrsteilnehmern für unvereinbar mit dem Datenschutzgesetz. Auch das Amtsgericht München ist dagegen (Az.: 345 C 5551/14). Die Zulassung solcher Videos als Beweismittel würde zu einer weiten Verbreitung der Ausstattung mit Car-Cams führen. Was mit den Aufzeichnungen geschehe und wem diese zugänglich gemacht würden, wäre völlig unkontrollierbar. Andere Gerichte sehen das lockerer. Rechtssicherheit wird erst ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs bringen.

Drohne: Das Führen einer Flugdrohne über das Grundstück des Nachbarn unter Übertragung von Bildern in Echtzeit während der gesamten Flugzeit stellt nach einem Urteil des Amtsgerichts Potsdam (Az.: 37 C 454/13) einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht in Erscheinungsform des „Rechts auf Privatsphäre“ dar. Hierzu gehört die Integrität eines räumlichen Bereichs, der dazu bestimmt ist, für sich zu sein, zu sich zu kommen, sich zu entspannen oder auch sich gehen lassen zu können. Die nicht einsehbaren Bereiche eines Wohngrundstücks sind typische Rückzugsorte.