Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Versicherungsvermittler | Die EU macht’s möglich: Seit 22. Mai haben Kunden im Kampf mit den Versicherungen mehr Rechte – die Verbraucher müssen sie nur kennen und auch wahrnehmen.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Die angepriesene Rentenpolice stellt sich als renditeschwach und unflexibel heraus. Die Feuerversicherung zahlt nach einem Brand nur 20 Prozent des Schadens, weil der Kunde unterversichert war. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Die Schuld für falsch abgeschlossene Versicherungspolicen liegt selten beim Kunden, der oft nur ein Laie auf diesem Gebiet ist, sondern oft in einer mangelhaften Beratungsleistung. Die Zeche für diesen Umstand zahlt dann später der Verbraucher.

Erster Ansprechpartner für potenzielle Kunden ist oft der Versicherungsvermittler. Er rät von bestimmten Policen ab, empfiehlt dafür andere – und das kann ins Auge gehen. Bisher mussten die Versicherungsvertreter für eine schludrige oder gar falsche Beratung nicht haften, und der Kunde konnte dem Vermittler eine mangelhafte oder gar falsche Aufklärung nur selten beweisen.

Das soll sich jetzt ändern. Nach jahrelangen Kämpfen mit der Versicherungsbranche setzte die Bundesregierung zum 22. Mai eine Richtlinie der Europäischen Union in deutsches Recht um – „die Vermittlerrichtlinie für Versicherungen“. Bereits seit 2002 fordert die EU von ihren Mitgliedsstaaten mehr Verbraucherschutz und Transparenz bei Versicherungen, mehr finanzielle Solidität und Haftung der Versicherungsvermittler.

Gesetzlich geregelt ist jetzt, dass sich künftig alle Verkäufer registrieren lassen müssen, sie sollten halbwegs für ihre Arbeit qualifiziert sein, deshalb einen besseren Job in der Kundenberatung machen, und bei Falschberatung droht ihnen im schlimmsten Fall Schadenersatz. Denn dank der neuen Dokumentationspflicht können Verbraucher mangelhafte Aufklärung endlich auch nachweisen (siehe Kasten).

Problem Freizeitverkäufer

Ganz so einfach, wie es sich anhört, wird die Umsetzung des neuen Gesetzes allerdings nicht. Wie viele Versicherungsvertreter in der Republik herumwuseln und Produkte von der normalen Haftpflicht bis hin zu komplexen Altersvorsorgeangeboten verkaufen, ist nicht klar. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gibt rund 407000 selbständige Vermittler an. Die Mehrheit davon sind 318000 nebenberufliche Verkäufer, die das Versicherungsgeschäft mal eben nach Feierabend am Küchentisch abwickeln. Und gerade sie sind das Problem: Wenig qualifiziert, beraten die Freizeitvertriebler ihre Kunden mehr schlecht als recht – teilweise zur Absicherung von existenzbedrohenden Risiken wie Haftpflicht, Berufsunfähigkeitpolicen oder erklärungsbedürftigen Vorsorgeprodukten. Bisher war dafür kein Qualifikationsnachweis notwendig, ein Gewerbeschein reichte aus. Diese Zeiten sind seit Mai vorbei.

Was sich künftig in der Verkaufspraxis ändert und worauf Kunden verstärkt achten sollten:

Registrierungspflicht. Künftig müssen sich Versicherungsvermittler bei der regionalen Industrie- und Handelskammer (IHK) registrieren lassen: Sie müssen Zuverlässigkeit und geordnete finanzielle Verhältnisse durch eine Erklärung des Finanzamtes und des Insolvenzgerichts sowie Grundkenntnisse in Versicherungsfragen belegen. Interessenten oder Kunden können sich über ihren Vermittler dann bei Bedarf über das Handelregister informieren.

Sachkundenachweis. Vermittler müssen zumindest ein Basis-Fachwissen nachweisen, und dafür müssen sie nachweisbar 220 Stunden pauken. Das Problem: Verkäufer, die bereits seit August 2000 im Geschäft sind und sich bis 2009 registrieren lassen, kommen ohne Qualifikationsnachweis davon.

Informationspflicht. gegenüber dem Kunden. Bereits beim ersten Gespräch muss der Vermittler schriftlich über seine Person, seinen Status und seinen Auftraggeber Auskunft geben. Laut Gesetz soll er anschließend eine Bedarfsanalyse für den Interessenten aufstellen, die Wünsche und Anforderungen des Verbrauchers berücksichtigt. Außerdem ist er verpflichtet, dem potenziellen Kunden eine „hinreichende Anzahl“ von Produkten verschiedener Versicherungsunternehmen anzubieten. Sollte der Vermittler ausschließlich Angebote eines Versicherers vermarkten, ist er verpflichtet den Kunden darüber schriftlich zu informieren. Lässt er diese Info unter den Tisch fallen, kann ihn der Kunde auf Schadenersatz verklagen, falls ihm güns-tigere Produkte von anderen Anbietern vorenthalten wurden.

Dokumentationspflicht. Ab sofort müssen Vermittler Beratungsgespräche ausführlich protokollieren und dem Kunden eine Kopie der Aufzeichnung aushändigen. Bisher lag die Beweislast für mangelhafte oder falsche Beratung beim Kunden. Ohne Zeugen und ohne Protokoll hatte man bis dato schlechte Karten.

Ausnahmen. Wenn der Kunde freiwillig auf eine Beratung und das Protokoll des Gesprächs verzichtet, wovon Experten dringend abraten, wirft er seine Rechte über Bord. „Die Unterlagen sind für den Kunden ein wertvoller Beweis zur Durchsetzung seiner Interessen“, warnt der Bund der Versicherten. Die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz fürchtet, dass etliche Versicherer künftig sogar versuchen werden, das lästige Protokoll zu umgehen, indem sie den Kunden einen speziellen „Beratungsverzicht“ unterschreiben lassen.

Der Verbraucherorganisation liegen bereits Formulare eines großen deutschen Versicherers vor, in denen der Kunde nur noch ein Kreuz an der richtigen Stelle machen muss, und schon hat er auf sein Recht der Beratung verzichtet. Gewinner ist dann der Vermittler und sein Auftraggeber, das Versicherungsunternehmen. Das eigentlich vorgeschriebene Beratungsprotokoll ist in diesem Fall natürlich nicht vorgesehen.

Protokoll einfordern

Wer eine spezielle Versicherung braucht und abschließen will, sollte unbedingt auf einem Beratungsgespräch und einer korrekten Protokollierung bestehen, so der dringende Rat von Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. „Gerade im Bereich der privaten Altersvorsorge werden immer wieder unsinnige und unflexible Kapitalversicherungen verkauft. Auch wenn der Kunde im Vorgespräch ausdrücklich Flexibilität als ein wichtiges Anlageziel genannt hat“, erklärt Wortberg. Wenn der Kunde das erst nach Jahren bemerke, aber ein Gesprächsprotokoll in seinen Unterlagen habe, in dem Flexibilität als wichtiges Kriterium aufgenommen worden sei, habe er gute Chancen auf eine Rückabwicklung ohne Verlust. „In besonders krassen Fällen kann sogar ein Schadenersatzanspruch entstehen“, meint der Versicherungsexperte weiter.

Haftung. Seit dem 22. Mai haftet jeder Versicherungsvermittler, wenn er gegen die oben genannten gesetzlichen Vorgaben verstoßen sollte – ohne Wenn und Aber. Entweder der Vertreter hat eine eigene Rückversicherung abgeschlossen (Mindesthöhe eine Million Euro pro Schaden beziehungsweise 1,5 Millionen Euro im Jahr) – oder der Vermittler wird über das von ihm vertretene Versicherungsunternehmen abgesichert.

cornelia.hefer@handwerk-magazin.de