Vergaberechtsreform: Rechtsexperte warnt vor negativen Folgen für KMUs

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der europäische Gesetzgeber die Regeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge gelockert. Die entsprechende EU-Richtlinie muss Deutschland bis April 2016 in das nationale Recht integrieren. Doch der kürzlich vorgestellte Regierungsentwurf ruft Kritiker auf den Plan.

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Ralf Leinemann (zip, 5 MB)
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Kern des Reformpakets ist ein Paradigmenwechsel mit weitreichenden Konsequenzen: Der bisherige Zwang zur öffentlichen Ausschreibung, an welcher sich europaweit alle Unternehmen beteiligen können, die die Kriterien des jeweiligen Leistungskatalogs für den Auftrag erfüllen, entfällt. Stattdessen können öffentliche Auftraggeber ein beschränktes und nicht offenes Vergabeverfahren wählen. Sie müssen künftig nur noch von drei Bietern Angebote einholen und dürfen sich nach entsprechenden Verhandlungen für einen Auftragnehmer entscheiden.

Korruptionsrisiko steigt

Das öffnet nach Ansicht des Berliner Vergaberechtsexperten Prof. Dr. Ralf Leinemann der Korruption Tür und Tor. In einem Exklusiv-Interview mit dem handwerk magazin warnt Leinemann vor den negativen Konsequenzen für die Allgemeinheit: „Verhandlungsverfahren sind bequem für den Auftraggeber, weil er Einzelverhandlungen mit den jeweiligen Bietern führt und dabei sowohl der Preis wie der Leistungsumfang der Angebote abgeändert werden dürfen, ohne dass Wettbewerber davon erfahren könnten. Das Verhandlungsverfahren ist daher potenziell ein Einfallstor zur Bevorzugung einzelner Bieter („Hoflieferanten“) und – wie die Praxis zeigt – auch eine Erhöhung der Korruptionsgefahr bei Vergabeverfahren.“

Kleine Unternehmen nicht ausschließen

Die wirtschaftliche Bedeutung des Staats als Auftraggeber ist immens: Dessen jährliches bundesweites Beschaffungsvolumen macht mindestens 10 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus. EU-weit werden sogar rund 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Gemeinschaft durch die öffentliche Hand vergeben. Doch gerade kleine und mittlere Unternehmen haben schon nach derzeitiger Vergabepraxis kaum eine Chance, vom Staat beauftragt zu werden. An dieser Stelle fordert Prof. Dr. Leinemann eine gesetzliche Pflicht des Staates, die öffentlichen Aufträge nicht mehr einem Generalunternehmer zuzuschlagen, sondern zumindest Teile des Auftrags im Wege von Fach- und Teillosen an KMUs zu vergeben. Bislang allerdings scheut die Bundesregierung davor zurück, hier Verbesserungen zu schaffen. Das Fazit Leinemanns: „Im Ergebnis ist die großspurig angekündigte Reform des Vergaberechts der Bundesregierung eine Scheinreform.“

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) begrüßt das grundsätzliche Bekenntnis der Bundesregierung zur Mittelstandsgerechtigkeit der Vergaberechtsreform. Ob Mittelstand und Handwerk von der Reform letztlich profitieren können, sei jedoch noch keinesfalls sichergestellt. Die Umsetzung der EU-Richtlinien biete ebenso Chancen wie Gefahren. Ein fairer Zugang gerade für kleine und mittelgroße Unternehmen könne nur gewährleistet werden, wenn weitere bürokratische Auflagen vermieden werden. „Insbesondere darf das deutsche Vergaberecht nicht mit immer neuen vergabefremden Anforderungen aus dem sozialen und ökologischen Bereich belastet werden. Bereits heute verzichten Handwerker zunehmend aufgrund der Komplexität der Verfahren auf die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen“, so der ZDH.

Das vollständige Interview lesen Sie in der April-Ausgabe von ‚handwerk magazin‘.