Urteil des Monats: Versetzungsrecht

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Arbeitnehmer dürfen nicht ohne Weiteres an einen extrem weit entfernten Arbeitsort versetzt werden.

Hunderte Kilometer von der Familie entfernt darf eine Versetzung grundsätzlich nicht erfolgen. - © Illustration: inueng/Fotolia

Der Fall

Ein Arbeitgeber darf seinen Mitarbeiter nicht an einen rund 660 km entfernten Arbeitsort versetzen, ohne bei der Entscheidung die Interessen und familiären Lebensverhältnisse des Beschäftigten zu berücksichtigen. Das hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein zugunsten eines Facharbeiters entschieden (Az.: 3 Sa 157/15). Der spätere Kläger war seit 2009 auf einer Dauerbaustelle an seinem Wohnort in Brunsbüttel als Isolierer tätig. In seinem Arbeitsvertrag ist geregelt, dass er auf allen Baustellen eingesetzt werden kann, auch auf solchen, die er von seiner Wohnung aus nicht jeden Tag erreichen kann.

Der Kläger ist Vater von drei schulpflichtigen Kindern. Nachdem es zwischen ihm und dem Arbeitgeber zu einer kündigungsrechtlichen Streitigkeit gekommen war, die zugunsten des Mitarbeiters ausging, teilte ihm sein Arbeitgeber mit, er müsse ab sofort in Ludwigshafen arbeiten, das ungefähr 660 Kilometer von Brunsbüttel entfernt ist. Sein alter Arbeitsplatz sei zwischenzeitlich besetzt. Der Mitarbeiter hielt die Vorgehensweise seines Arbeitgebers für willkürlich und familienfeindlich. Der Abeitgeber konterte, es sei die Privatangelegenheit des Klägers, dass er familiär gebunden sei.

Das Urteil

Das sah das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein anders. Auch wenn ein Arbeitgeber den Arbeitsort einseitig festlegen dürfe, müsse er nach billigem Ermessen alle wechselseitigen Umstände und Interessen abwägen und angemessen berücksichtigen. Dazu gehörten die beiderseitigen Bedürfnisse und auch die ­sozialen Lebensverhältnisse. Der Arbeitgeber habe Rücksicht auf familiäre Belange des Arbeitnehmers zu nehmen, soweit dem nicht ­betriebliche Gründe oder Belange anderer Kollegen entgegenstehen. Bestünden Auswahlmöglichkeiten, müsse der Arbeitgeber – ohne eine Sozialauswahl im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes durchzuführen – denjenigen Arbeitnehmer für die Versetzung auswählen, der weniger schutzwürdig ist. Schon weil der Arbeitgeber im konkreten Fall all diese Erwägungen nicht angestellt habe, sei seine Anweisung an den Mitarbeiter, fortan in Ludwigshafen zu arbeiten, unwirksam.

Die Praxisfolgen

Der Arbeitgeber kann seinen Mitarbeitern bereits aufgrund des gesetzlich festgelegten Weisungsrechts wechselnde Arbeitsaufgaben an unterschiedlichen Orten zuweisen. Nimmt er das Versetzungsrecht formularmäßig in den Arbeitsvertrag auf, schauen die Arbeitsgerichte genau hin. Außerdem prüfen sie bei der Ausübung sehr genau, ob der Arbeitgeber die Grenze des billigen Ermessens eingehalten hat.

Der Tipp

Bei einer Versetzung muss der Arbeitgeber alle Umstände und gegenseitigen Interessen nach billigem Ermessen abwägen. Zu berücksichtigen sind u.a. die sozialen Lebensverhältnisse und familiären Belange des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber muss die Entscheidung im Zweifel vor Gericht rechtfertigen.