Überstunden: Arbeitgeber muss geduldete Mehrarbeit zahlen

Zu den unausrottbaren Rechtsirrtümern zählt auch die Meinung, der Arbeitgeber müsse Überstunden nur dann bezahlen, wenn er diese angeordnet habe. Was richtig ist, erfahren Sie hier.

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Arbeitgeber müssen Überstunden auch dann bezahlen, wenn sie deren Ableistung nur dulden. Das geht aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Mecklenburg-Vorpommern hervor (Az.: 2 Sa 180/13).

Der Fall betraf eine Altenpflegerin, die von ihrem Arbeitgeber die Zahlung von insgesamt 150 Überstunden verlangte, welche über einen Zeitraum von einem Jahr angefallen waren. Da dieser die Zahlung mit der Begründung verweigerte, er könne nicht wissen, ob die Mitarbeiterin Überstunden geleistet habe, weil sie diese nicht detailliert nachgewiesen habe, zog die Mitarbeiterin vor Gericht. Dort verteidigte sich der Arbeitgeber mit dem weiteren Argument, er habe keine Überstunden angeordnet.

Leugnen von erbrachten Überstunden bringt Arbeitgeber nicht weiter

Die Landesarbeitsrichter belehrten ihn eines Besseren. Sie hielten die Aufstellungen der Mitarbeiterin hinsichtlich der geleisteten Überstunden für ausreichend. Diese hatte die entsprechenden Wochenarbeits- und Tourenpläne vorgelegt. Aus diesen Aufzeichnungen konnte der Arbeitgeber genau entnehmen, wann die Mitarbeiterin die Patientinnen besucht hatte und wie viel Zeit sie dafür brauchte. Mehr könne die Mitarbeiterin zur Erfüllung ihrer Darlegungslast hinsichtlich der geleisteten Überstunden nicht tun, betonten die Richter. 

Die Überstunden seien auch als unstreitig anzusehen, da das Bestreiten des Arbeitgebers mit Nichtwissen unerheblich sei. Der Arbeitgeber muss nämlich laut Richterspruch seine Leistungen gegenüber den Krankenkassen abrechnen. Das setzt aber voraus, dass er über Aufzeichnungen verfügt, aus denen sich ergibt, zu welchen Arbeitszeiten die Mitarbeiterin tatsächlich ihre Hausbesuche bei den Patienten absolviert hat. Auch verfügte der Arbeitgeber  über Tourenpläne, aus denen sich Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ergibt. Bei dieser Sachlage hätte der Arbeitgeber nach Ansicht des Gerichts zu dem substantiierten Vortrag der Mitarbeiterin unschwer erwidern können und müssen, warum die behaupteten Zeiten unrichtig sein sollen.

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Duldung ist gleich Einwilligung

Die Überstunden sind vom Arbeitgeber zwar nicht ausdrücklich angeordnet, aber doch zumindest geduldet worden. Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden künftig zu unterbinden. Mit anderen Worten: Er schreitet nicht gegen die Leistung von Überstunden ein, sondern nimmt  sie weiterhin entgegen.

Im vorliegenden Fall ist das LAG Mecklenburg-Vorpommern davon ausgegangen, dass der Arbeitgeber von den geleisteten Überstunden spätestens zum Ende des jeweiligen Monats Kenntnis gehabt hatte. Im Prozess blieb er eine Antwort auf die Frage schuldig, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm unerwünschten Überstunden ergriffen hatte. „Somit ist von einer Duldung auszugehen“, resümierte das Gericht. Im Klartext heißt das: Juristisch wird die Duldung wie eine aktive Anordnung von Überstunden gewertet.

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Breiter Rückgang der Überstunden

Nach Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) leisten immer weniger Arbeitnehmer Überstunden. Während in den 70er Jahren mehr als 170 Überstunden je Arbeitnehmer und Jahr anfielen, waren es in den 90er Jahren nur noch 50 zusätzliche Stunden. Und 2013 sank die Zahl auf nur noch 37 Stunden oder 1,4 Milliarden bezahlte Mehrarbeitsstunden. Hauptgrund für den Rückgang sind die flexiblen Arbeitszeitkonten, welche einen Ausgleich von Überstunden in Freizeit vorsehen. Wie das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) herausfand, schieben zwar nach wie vor vier von fünf Vollzeitbeschäftigten bezahlte Überstunden – aber nur 60 Prozent der Arbeitnehmer ohne Berufsausbildung, dafür aber 80 Prozent der Akademiker. Deren Spezialwissen lässt sich anscheinend nicht so leicht ersetzen.

Akademiker bekommen Überstunden oft nicht bezahlt

Doch nicht jeder Akademiker, der Überstunden leistet, bekommt diese auch bezahlt. Für stattliche 17 Prozent der Arbeitnehmer gibt es nach Informationen des IW keinerlei Kompensation. Das liegt in erster Linie daran, dass ihr Arbeitsvertrag einen Passus enthält, wonach sämtliche Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Solche Klauseln betreffen laut IW zu 50 Prozent vor allem Hochqualifizierte: Fachkräfte, Führungskräfte und Wissenschaftler, deren Gehälter aber meist auch weit über der Beitragsbemessungsgrenze zur gesetzlichen Sozialversicherung liegt. Das Bundesarbeitsgericht hat derartige Ausschlussregelungen gebilligt. Fehlen Vergütungsregeln für Mehrarbeit ganz, verpflichtet § 612 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Arbeitgeber, geleistete Mehrarbeit zusätzlich zu vergüten, wenn diese den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Eine entsprechende objektive Vergütungserwartung ist nach Ansicht der Erfurter Bundesarbeitsrichter regelmäßig gegeben, wenn der Arbeitnehmer „kein herausgehobenes Entgelt“ bezieht. In dem konkreten Fall sprach das Bundesarbeitsgericht einem Lagerleiter mit einem Bruttoentgelt von monatlich 1.800 € eine nachträgliche Überstundenvergütung für 968 geleistete Überstunden zu (Az.: 5 AZR 765/10).