Interview Elektromobilität Günther Schuh: "Übermorgen arbeiten Handwerker beim Fahren"

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Nach der Entwicklung des Streetscooter startet Günther Schuh seinen nächsten Coup. Der Kleinwagen e.GO Life soll die Elektromobilität in Deutschland revolutionieren. Im hm-Interview berichtet er über seine Pläne und Visionen.

Prof. Günther Schuh
Professor Günther Schuh will nach dem Streetscooter jetzt einen Kleinwagen bauen. - © Markus J. Feger

Ein nebliger Morgen im weitläufigen Campus der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH). Günther Schuh, Universitätsprofessor und Gründer von e.GO Mobile AG, sprüht trotz starker Erkältung vor Energie. Er will die Elektromobilität in Deutschland revolutionieren.

Professor Schuh, was raten Sie Handwerksunternehmern, die ein neues Fahrzeug für Ihren Fuhrpark kaufen wollen. Sollen Sie beim Diesel bleiben oder ein Elektrofahrzeug kaufen?

Günther Schuh: Es kommt darauf an, wo der Betrieb sitzt. Hat er seinen Standort in einer der emissionsbelasteten Städte oder muss er oft dorthin, dann würde ich keinen Diesel mehr kaufen, sondern ein Elektroauto oder einen Plug-in-Hybrid. Denn in den nächsten fünf Jahren wird es in in diesen Zentren Fahrverbote für Dieselautos geben, das ist sicher. Dann kann der Handwerker vor Ort seine Arbeit nicht mehr erledigen, wenn er nicht elektrisch unterwegs ist.

Ist der von Ihnen entwickelte e.GO Life auch eine Alternative für den handwerklichen Fuhrpark?

Klar, für alle Handwerker, die nicht gerade mit einem Werkstattwagen unterwegs sein müssen, ist der e.GO Life regelrecht prädestiniert. Wir machen gerade ein Versuchsprojekt mit der Polizei, die kann etwa ein Drittel ihrer Fahrzeugflotte mit unserem e.GO Life abdecken. Bei umgeklappter Sitzbank haben wir über 1000 Liter Ladevolumen .

Sie setzen bei dem Modell vor allem auf den günstigen Preis von rund 16.000 Euro – warum?

Der Kunde orientiert sich zuerst an den Nutzungsmöglichkeiten eines Autos. Und ein Elektroauto hat eben einen eingeschränkten Nutzen durch die eingeschränkte Reichweite . Deshalb muss man prüfen, ob das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Das stimmt aber bei den bisher angebotenen Elektromodellen nicht. Der Nutzen ist halbiert, der Preis mehr oder weniger verdoppelt. Deshalb bieten wir ein günstiges Elektrofahrzeug an.

Aber wie schaffen Sie es, ein Elektroauto für 16.000 Euro anzubieten? Der Autoindustrie gelingt das ja offensichtlich nicht.

Wir haben für die Produktion alles nach Kostengesichtspunkten optimiert. Als Erstes haben wir ermittelt, wie klein die Batterie sein kann, damit sie für die Nutzung in Städten ausreicht. Dann haben wir berechnet, wie klein die Karosserie und der Motor sein müssen, damit das Auto noch sinnvoll genutzt werden kann. Auch bauen wir das Auto fundamental anders als üblich, wir haben zum Beispiel keine selbsttragende Karosserie, wir nutzen einen sogenannten Spaceframe aus Aluminiumprofilen, der einfach zu fertigen ist. Ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden, die gut aussieht und sogar extrem Spaß macht.

Und das können die etablierten Autohersteller nicht?

Sie machen es nicht. Wenn die großen Hersteller so ein Auto bauen, brauchen sie allein für die Karosserie und die Strukturteile Werkzeuge für 120 Millionen Euro. Unser kompletter Werkzeugsatz liegt bei sechs Millionen Euro, damit machen wir die Serienfertigung. Natürlich haben auch unsere Zulieferer in Werkzeuge investiert. Noch ein Beispiel: Die Entwicklungs- und Fertigungskosten für einen Scheinwerfer eines Oberklassemodells liegen bei 30 Millionen Euro. Bei uns sind die Kosten genau null, weil wir einfach am Markt angebotene Scheinwerfer verwenden.

Wann startet die Serienproduktion des e.GO Life?

Planmäßig im Mai dieses Jahres, mit rund 150 Mitarbeitern.

Wer übernimmt Vertrieb und Service?

Im Gegensatz zur Autobranche trennen wir weitestgehend zwischen Handel und Service. Wir haben für den Service eine Rahmenvereinbarung mit den Bosch Carservice-Stationen.

Binden Sie das Kraftfahrzeughandwerk auch mit ein?

Ich glaube, wir haben die Chance, das Kraftfahrzeughandwerk im Rahmen der Elektromobilität ernsthaft zu revolutionieren. Denn jetzt kann dem Kunden ein ganz anderes Servicelevel angeboten werden. Künftig werden Kunden so oft in die Werkstatt gehen wie in ihre Bankfiliale –nämlich gar nicht mehr. Als Kfz-Handwerk muss ich dem Kunden künftig eine Mobilitätsgarantie geben. Und wenn es irgendein Problem gibt, kommt nicht der Kunde in die Werkstatt, sondern ich als Servicewerkstatt merke das und weise den Kunden darauf hin. Der stellt zum Beispiel sein Auto vor die Garage, der Servicebetrieb holt es ab und stellt dem Kunden ein anderes Auto hin.

Und wie sehen Sie die Entwicklung beim Autohandel?

Das ist der zweite Teil der Revolution. Wir werden beim e.GO Life Hard- und Software upgraden. Theoretisch kann dieses Auto 100 Jahre leben. Statt ein neues zu kaufen, kann der Kunde sagen, er möchte jetzt neue Scheinwerfer oder ein neues Display oder andere Sitze. Das könnte das Kfz-Handwerk übernehmen.

Die deutsche Automobilindustrie steht mächtig in der Kritik. Hat sie tatsächlich den Anschluss bei der Elektromobilität verpasst?

Sie ist zu spät gestartet, aber es wäre übertrieben, sich jetzt große Sorgen zu machen. Sie hat ein paar Chancen liegengelassen, aber auch Tesla ist nicht die umfassende Lösung für die Elektromobilität. Ich glaube, man kann zwei Dinge kritisieren. Man hätte früher in die stadttaugliche Elektromobilität starten müssen. Und man hätte logische Konzepte verfolgen müssen. Die Autoindustrie rennt hinter den Flottenemmisionswerten hinterher, weil der Gesetzgeber das als Hauptregulativ bestimmt hat. Das ist zu stark vereinfacht. Denn das eigentliche Problem ist nicht Kohlendioxid bei den Emissionen, sondern die Stickoxide, die wirklich gefährlich sind. Das muss schnell gelöst werden und massenhaft, was natürlich nur funktioniert, wenn sich das jeder leisten kann. Hier hat die Autoindustrie zu wenig getan. Sie hätte zum Beispiel mehr Plug-in-Hybride anbieten müssen, mit denen man in der Stadt rein elektrisch fährt, der Verbrennungsmotor aber gleichzeitig für Reichweite auf längeren Strecken sorgt.

Was haben Sie noch in der Schublade?

Als Nächstes bringen wir den Mover heraus, ein Bus für den öffentlichen Nahverkehr. Denn gibt es ab 2020 auch in einer Cargoversion , ideal für Handwerker, die viel Platz im Auto brauchen. Wir werden den Mover zum autonomen Fahren erziehen, zunächst für den öffentlichen Nahverkehr. Aber träumen wir doch ein wenig in die Zukunft. Wie wäre es, wenn der Handwerker sich von seinem Auto zum Kunden fahren lässt, dort feststellt, was er alles braucht, und dann sein Auto losschickt, um die Teile zu besorgen. Übermorgen kann der Handwerker auch während der Fahrzeit arbeiten, da bin ich sicher.