Elektromobilität Test des Elektro-Transporter "Streetscooter"

Zugehörige Themenseiten:
Elektromobilität

Die Deutsche Post will mit dem „Streetscooter“ den Markt für Elektro-Transporter aufrollen. handwerk magazin hat einen Postzusteller mit seinem Fahrzeug begleitet und konnte sich bei einer Probefahrt um den Bonner Post-Tower selbst einen ersten Eindruck verschaffen. So viel steht fest: Der Streetscooter ist auf jeden Fall eins: anders.

Mehr als 3.000 Streetscooter setzt die Post inzwischen in ganz Deutschland ein, bald sollen es noch deutlich mehr sein. - © Rudolf Wichert

Die Deutsche Post will mit dem „Streetscooter“ den Markt für Elektro-Transporter aufrollen. handwerk magazin hat sich selbst selbst einen ersten Eindruck verschafft.

Donnerstagmorgen, 9 Uhr. Auf dem Betriebsgelände des Postzustellstützpunktes Königswinter, einige Kilometer südlich von Bonn, packen die Zusteller ihre Fahrzeuge. Die meisten von ihnen fahren einen der rund ein Dutzend Elektro-Fahrzeuge vom Posteigenen Typ „Streetscooter Work Box“ mit Kastenaufbau. So auch Frank Heck: Der 55-Jährige ist heute spät dran, muss noch auf eine Brief-Lieferung aus dem Verteilzentrum warten. Das bringt den erfahrenen Postler allerdings nicht aus der Ruhe. Frank Heck arbeitet seit 38 Jahren bei der Post, ein drahtiger Typ mit T-Shirt, kurzer Hose und positiver Einstellung – optimale Voraussetzungen für einen Testfahrer.

Flotter Elektro-Transporter

Heck ist bereits sämtliche Evolutions-Stufen des Streetscooters gefahren und kann sich noch gut an das erste Vorserien-Fahrzeug, Modelljahr 2013, erinnern: Der Motor hatte nur wenig Power, voll beladen schaffte der Elektro-Pionier auf den hügeligen Landstraßen des Siebengebirges bergauf nur mit Mühe Tempo 50. „Hinter einem staute sich dann der Verkehr“, sagt Heck, „das war dann natürlich nicht so schön.“ Auch die Reichweite der ersten Modelle war gleichermaßen klein wie unberechenbar.

Heute kann er darüber schmunzeln. „Die Autos sind immer besser geworden“, sagt Heck. Denn in der Zwischenzeit hat die Post den Streetscooter laufend weiterentwickelt, Hecks aktuelles Arbeitsgerät mit der internen Bezeichnung „B16“ hat die Kinderkrankheiten hinter sich gelassen: „Der fährt sich schön flott“, sagt Heck. Seit drei bis vier Monaten ist er täglich im aktuellen Modell unterwegs, bislang ohne Auffälligkeiten.

Shootingstar der E-Transporter

Der Streetscooter der Deutschen Post ist derzeit der Shootingstar am Elektro-Transporter-Himmel: Das Angebot der etablierten Hersteller an elektrisch angetriebenen leichten Nutzfahrzeugen ist überschaubar, deutsche Autobauer haben den Trend nahezu komplett verschlafen. Oder besser: Sie haben ihn ignoriert. Die Post selbst hatte zunächst bei den etablierten Herstellern angefragt, ob man ihr einen E-Transporter für ihre Zusteller bauen könnte – und reihenweise Absagen kassiert.

An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen fanden die Postler schließlich einen Partner: Die dortigen Experten für Automobilproduktion hatten bereits eine grundlegende Architektur für Elektroautos in der Pipeline und gründeten ein Start-up, um exklusiv für die Post den Streetscooter zu entwickeln. Das Ergebnis gefiel der Post so gut, dass der Konzern das Jungunternehmen vor drei Jahren kurzerhand kaufte und damit selbst unter die Autobauer ging.

Die Platzhirsche beobachten das Treiben seitdem mir Argusaugen: Daimler-Ingenieure besorgten sich erst vor wenigen Wochen unter falschem Namen einen Streetscooter. Sie mussten den Wagen schließlich wieder herausrücken, weil die Software der Post beim routinemäßigen Einpflegen der Kundendaten die Adresse nicht kannte und daraufhin Alarm schlug.

Zurück zur Testfahrt. Zusteller Heck hat seinen Streetscooter in der Zwischenzeit beladen. Dessen größtes Plus ist der etwas mehr als vier Kubikmeter große Laderaum, „einer perfekten rechteckigen Kiste“: Kein Radhaus, keine Mulde oder gewölbtes Dach stören, außerdem ist der Boden so hoch, dass Heck ihn beladen kann, ohne sich zu bücken.

Die Post gibt an, mit dem maximal 2,1 Tonnen schweren Streetscooter herkömmliche 2,8-Tonner zu ersetzen, wegen des gut nutzbaren Laderaumes und der hohen möglichen Zuladung. Zusteller Heck ist früher einen VW Caddy gefahren, „den übertrumpft der Streetscooter in jedem Fall“.

Mehr als 3.000 sind unterwegs

Mittlerweile fahren mehr als 3.000 Exemplare des schwarz-gelben Streetscooters auf deutschen Straßen. Und es sollen schon bald viel mehr werden: Die Post errichtet gerade am Produktionsstandort in Aachen eine zweite Fabrik und steigert damit die Fertigungskapazität von 10.000 auf 20.000 Fahrzeuge pro Jahr. Die Hälfte der Fahrzeuge will die Post ab sofort an Dritte verkaufen. Die können den Street­scooter seit dem Frühsommer in verschiedenen Varianten ordern, neben dem „Work“ mit Kastenaufbau auch als Pritsche oder nur mit Fahrgestell.

Anfragen gab es laut Post seit der Entwicklungsphase, die aktuelle Diskussionum Diesel-Fahrverbote befeuert die Nachfrage zusätzlich. Drittkunden profitieren von der Entwicklungsarbeit der Post, die den Streetscooter Schritt für Schritt immer weiter Richtung Alltagstauglichkeit getrimmt hat.

Zu den Kritikpunkten an früheren Modellen zählte etwa die schwache Heizung. Medienberichten zufolge beklagten sich Postzusteller anonym auch über Scooter, die unvermittelt stehen blieben oder bei denen sich während der Fahrt die Motorhaube von alleine öffnete. Die Post dementierte, dass sie ihre Fahrer als „Versuchskaninchen“ eingesetzt habe, technische Probleme seien Einzelfälle. Eins steht jedenfalls fest: Der Streetscooter in der jetzigen Version hat so viele Testkilometer im Praxisbetrieb abgespult wie kaum ein anderer E-Transporter.

Kurz nach 10 Uhr kann Heck endlich seine Runde starten: Acht Kilometer über Land bis ins nahe gelegene Örtchen Vinxel, dann Zustellbetrieb von Tür zu Tür und wieder zurück. Der voll beladene Streetscooter hat mit Überlandfahrten offensichtlich kein Problem mehr, auch voll beladen und bergauf beschleunigt der Wagen ordentlich. Auf der Runde spielt er seine zweite Stärke aus: Gemessen am Fassungsvermögen sind die äußeren Abmessungen überschaubar, der Transporter kommt in jede noch so kleine Auffahrt. Und Zusteller Heck kommt regelmäßig mit den Empfängern an der Haustüre ins Gespräch.

„Die Leute interessiert vor allem die Reichweite“, sagt Heck. „Die ist beim aktuellen Modell kein Problem mehr.“ 80 Kilometer schafft der E-Transporter im Stop-and-go-lastigen Postbetrieb. Für Hecks tägliches Pensum von rund 30 bis 50 Kilometern so oder so ausreichend. Am Ende seiner heutigen Runde hat Heck rund 60 Pakete und unzählige Briefe ausgeliefert. Seine Bilanz: Keine besonderen Vorkommnisse, der Streetscooter läuft.

Überblick: Die Streetscooter-Varianten

Den Streetscooter gibt es in verschiedenen Varianten, die sich von der Zuladung und den Aufbauten unterscheiden. So hat das Modell „Work Box L“ deutlich mehr Ladevolumen als zum Beispiel das Modell „Work Box“. Zurzeit entwickelt die Post gemeinsam mit Ford ein weiteres Modell, den „Work XL“ auf Basis des Transit. Die Nachfrage nach dem Streetscooter ist nach Angaben der Deutschen Post hoch, die Lieferzeit liegt aktuell bei drei bis vier Monaten.

FahrzeugWork PureWork Pick-UpWork BoxWork L PureWork L Box
Reichweite80 km
Höchstgeschwindigkeit85 km/h
Leistung (Max.)48 kW
Batteriekapazität20 kW20 kW20 kW30 kW30 kW
Gesamtzuladung900 kg720 kg650 kg1.190 kg960 kg
Ladekapazität--4,3 m3-8 m3
Abmessungen Transporterfläche
Länge-2,13m2,00m-3,15m
Breite-1,75m1,66m-1,67m
Höhe-0,40m1,19m-1,40m
Aussenmasse
L/B/H4,67/2,08/1,86 m4,74/2,08/1,85 m4,70/2,08/2,03 m5,78/2,08/1,86 m5,78/2,08/2,34 m
Ladezeit bis 100%
Wallbox*7h7h7h10h10h
Preis netto inkl. Batterie**31.950,00€33.950,00€35.950,00€38.950,00€42.950,00€

* Spezielle Station, die Ladezeit verkürzt. Ladezeit an Haushaltssteckdose mind. 7 h/ Work L mind. 10 h, ** abzüglich 4.000 Euro staatlicher E-Auto-Förderprämie

Flinke Plaste: Probefahrt im Streetscooter

Die Deutsche Post rückt bislang keine Presse-Testwagen heraus. Für handwerk magazin machten die Bonner aber eine kleine Ausnahme und ließen uns nach dem Besuch bei Zusteller Frank Heck mit einem identischen Streetscooter eine Proberundeum den Post-Tower drehen.

Leise rollt er los

Zündschlüssel drehen, bis es piept, den kleinen schwarzen Automatik-Wählhebel zweimal nach unten auf „D“ stellen und Fuß von der Bremse nehmen, schon rollt der Streetscooter leise surrend los. Beim Tritt aufs Gaspedal schiebt der Wagen dank sofort verfügbarem, hohem Drehmoment wie bei E-Autos üblich beherzt voran. Wer vorausschauend fährt, braucht zum Verzögern häufig nur den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Der Streetscooter nutzt den E-Motor als Bremse und Generator und lädt mit der Bremsenergie den Akku auf. Das funktioniert so gut, dass man das Bremspedal fast nur braucht, wenn das Fahrzeug stehen bleiben soll.

Die Heizung pustet kräftig

Die Bedienung ist größtenteils selbsterklärend, viel zu bedienen gibt es ohnehin nicht. Die bei früheren Modellen kritisierte schwache Heizung springt bereits nach wenigen Sekunden an und pustet kräftig warme Luft in sämtliche gewünschte Richtungen. Fensterheber und Außenspiegel funktionieren elektrisch, Annehmlichkeiten wie Klimaanlage und Radio sind nicht vorgesehen. Auch das Material im Innenraum ist vor allem eines: nüchtern.

Die Kunststoffverkleidung an Türen und das Armaturenbrett bestehen aus dickem, hartem Plastik, ebenso die Türgriffe. Das ist freilich kein Zeichen schlechter Verarbeitung, sondern hat Methode. Während der Fahrt klappert nichts, außer dem Metallgestell für Briefe, das dort montiert ist, wo bei einem Handwerker-Streetscooter der Beifahrersitz stünde. Zumindest ungewohnt ist das zentrale und einzige Informationsdisplay, das klein und rund in seiner Armaturenhöhle hinter dem Lenkrad steckt – viel mehr als gefahrenes Tempo und verbliebene Reichweite gibt es allerdings ohnehin nicht zu sehen.

Alles ist einfach zu reparieren

Am Ende der kurzen Testfahrt fällt die Tür kräftig scheppernd ins Schloss. Beim abschließenden Rundgang ums Auto fällt vor allem eines auf: Es dürfte derzeit kaum einen Neuwagen geben, an dem man so viel selbst Hand anlegen kann. Die hinteren Kotflügel, die Schutzleisten unten an den Türen, Stoßstange, Außenspiegel, die Kunststoff-Innenverkleidung – alles ist verschraubt und entsprechend einfach zu reparieren. Das Gleiche gilt für die Außenhaut der Türen der Fahrerkabine aus Kunststoff. Lediglich die tragenden Teile der Streetscooter-Karosse bestehen aus Metall. Bei kleinen Parkremplern und sonstigen Bagatellschäden lassen sich die Teile leicht tauschen – zu welchen Preisen sie zu haben sein werden, verrät die Post allerdings noch nicht. Die Preise des Streetscooters hingegen sind bekannt (siehe Tabelle Seite 44) und zeigen: In der Anschaffung ist der Post-Transporter nicht billig. Dafür sollen die Betriebskosten deutlich niedriger liegen als bei herkömmlichen Transportern, die Post spricht inoffiziell von 60 bis 80 Prozent Einsparung.

Gelb, Orange oder Weiß

Die Nachfrage nach dem Streetscooter ist nach Angaben der Deutschen Post hoch, die geschätzte Lieferzeit liegt aktuell bei drei bis vier Monaten. Drittkunden können den Streetscooter derzeit neben Post-Gelb in Kommunal-Orange und in neutralem Weiß ordern. Wer eine andere Farbe wünscht, muss sich seinen Wagen folieren lassen.

Auch beim Service geht der Streetscooter neue Wege: Feste Service-Intervalle schreibt der Hersteller nicht vor und verweist stattdessen auf allgemeine berufsgenossenschaftliche Prüfungsvorschriften – die Post selbst lässt ihre Fahrzeuge einmal jährlich durchsehen. Servicepartner und Ersatzteilversorger ist der Werkstätten-Verbund G.A.S. mit deutschlandweit mehr als 1.500 Stützpunkten, dem zum Beispiel das Bosch-Werkstattnetz angeschlossen ist.

Feste Verkaufs-Stützpunkte wird es wohl nicht geben, Informationen und Probefahrten unter www.streetscooter.eu/kontakt.