Tee statt Kaffee

Trinkgenuss - Die Ostfriesen lieben Tee innig. Es spricht viel dafür, dass es sich im deutschen Arbeitsalltag durchsetzen wird.

Tee statt Kaffee

Sie erreicht vielleicht nicht die meditative Finesse einer japanischen Chanoyu-Zeremonie, aber wenn Ingrid Hilbrands in ihrem Betrieb noch vor der Morgendämmerung die erste Kanne Tee aufgießt, dann folgt auch sie dem immer gleichen Ritual.

Die Chefin eines Heizungs- und Sanitärtechnikbetriebs aus dem Hafenstädtchen Leer an der Ems ist immerhin Ostfriesin. Und in Deutschlands Nordwesten zelebriert man die Teezubereitung fast genauso ausgiebig wie im ferns­ten Osten.

Erst kommen die Blätter in die Kanne – eine Mischung aus der kräftigen indischen Sorte Assam und anderen Schwarztees. Dann kommt gerade genug heißes Wasser darauf, um alles zu bedecken. Fünf Minuten zieht der Aufguss, erst dann verdünnen die Ostfriesen die viel zu starke Brühe auf Trinkstärke und filtern die Blätter he­raus.

Nur echt ostfriesische Teesahne hat genug Fett

In der Tasse beginnt der letzte Akt: Ein bis zwei Kandisstücke, die berühmten Kluntjes, liegen schon bereit, der Tee wird darauf gegossen. Und schließlich mit einem Schuss Sahne verfeinert – Umrühren gilt als Sakrileg. Denn die Ostfriesenmischung wird in drei Schichten konsumiert: erst Sahne, dann Tee, unten der Zucker.

„Die ganze Abfolge ist zwar mehr eine Gewohnheit als eine Zeremonie“, wiegelt Hilbrands ab. Dann aber ergänzt sie doch eilig, wie wichtig Genauigkeit für das Gelingen ist: „Die Sahne zum Beispiel, das darf keine einfache Kaffeesahne sein. Sondern ostfriesische Teesahne. Die hat nämlich viel mehr Fett.“

Jeden Tag trinkt Ingrid Hilbrands diesen ganz besonders produzierten Tee: morgens, mittags, nachmittags und auch noch am Abend. Und die fünf Angestellten des Handwerksbetriebs trinken mit: „In der Früh gibt es bei uns eigentlich nur Tee. Höchstens am Nachmittag nimmt auch mal jemand eine Tasse Kaffee.“

Deutsche entdecken Teegenuss

Was im hohen Norden nahezu selbstverständlich klingt, mutet für den großen Rest der Republik bisher reichlich exotisch an: Während die Ostfriesen im Schnitt 288 Liter Tee pro Jahr trinken, kommt der Durchschnittsdeutsche gerade mal auf 25 Liter pro Person und Jahr.

Vom Bürogetränk Nummer Eins, dem Kaffee, schenken sie sich derweil durchschnittlich 150 Liter ein. Drei von vier Deutschen greifen sogar täglich zum Kaffee – vor allem die 35- bis 54-jährigen im Berufsleben. Und Handwerker liegen beim Genuss des braunen Stoffs ganz weit vorne. Aufbrühen ist bei der Arbeit also weitaus beliebter als aufgießen.

Es spricht allerdings einiges dafür, dass sich auch der Tee in den kommenden Jahren im Arbeitsalltag durchsetzen wird: Erstens nämlich wuchs der Teekonsum zuletzt besonders schnell – allein 2008 um fast fünf Prozent.

Zweitens wird Kaffee immer häufiger in Einzelportionen getrunken, sei es aus Maschinen mit Pads oder Kapseln oder aus dem Espresso-Automaten. Beim Tee verhält es sich genau umgekehrt: Hier kaufen immer mehr Verbraucher lose Blätter statt Beutel – und gießen eine Kanne auf statt nur eines Bechers.

„Zum einen spielt hierfür ein allgemeiner Asientrend in der Ernährung eine Rolle, der auf Genuss und Entspannung setzt – und dafür steht eben auch Tee“, erklärt Stefanie Bierbaum vom Trendbüro Hamburg die veränderten Trinkgewohnheiten. „Zum zweiten steht Tee ganz anders als Kaffee für Genuss in Ruhe. Man zelebriert damit Pausen im immer hektischeren Alltag.“

Kaffeetrinker bekehrt

Tatsächlich bestätigen Studien von Wirtschaftspsychologen der Uni Münster, dass Teetrinker häufiger in sich gekehrt sind und oft gar eine emotionale Beziehung zu ihrem Lieblingstee aufbauen, den sie von weither ordern und mit viel Liebe zubereiten – von Kaffeetrinkern ist dergleichen bisher kaum bekannt.

Auch Roswitha Geißer hätte sich kaum vorstellen können, sich für Tee zu erwärmen. Bis zu jenem Tag, als ihr Arbeitgeber, der Zimmerei- und Dachdeckerbetrieb Schrapp & Salzgeber aus Bellenberg bei Neu-Ulm, nahezu kollektiv auf den Geschmack kam.

Auf dem Nachbargrundstück hatte Henry Böck, Spross eines örtlichen Teeimporteurs, gerade einen eigenen Teehandel aufgezogen. „Herr Böck hatte sich von uns einen Kran ­geliehen“, erinnert sich die Assistentin des Zimmermeisters Wolfgang Schrapp, einem der beiden Inhaber: „Für unsere Hilfe hat er dann ein paar Päckchen Tee rübergebracht.“

Mit durchschlagendem Erfolg: Nicht nur die Chefs fanden bald ihr neues Lieblings-Heißgetränk. Sogar die Belegschaft draußen auf den Baustellen lässt sich von der „Teebeauftragten“ Roswitha Geißer neuerdings immer mehr Teekannen für die Pausen vorbereiten.

Alles dreht sich um Camellia sinensis

Neben dem gesunden Ruf macht die große Geschmacks- und Sortenvielfalt Tee immer beliebter, davon ist Jochen Spethmann, Vorsitzender des Deutschen Teeverbands, in dem sich die wichtigsten Importeure und Händler zusammengeschlossen haben, überzeugt. „Kein Getränk ist so facettenreich und vielseitig“, wirbt Spethmann.

Und dabei hat sich sein Verband ausschließlich einer einzelnen Pflanze verschrieben: der Camellia sinensis, zu Deutsch chinesische Kamelie, jener Pflanze, aus deren Blättern sämtliche schwarze, grüne, weiße, rote sowie gelbe Tees bestehen.

Nur einem Irrtum sollte kein Teetrinker aufsitzen. Dass er sich mit einer schönen Tasse Tee das milde Aufputschmittel Koffein erspart. „Erstaunlicherweise ist noch immer nicht generell bekannt, dass Tein dasselbe ist wie Koffein“, erklärt Ulrich Engelhardt vom Institut für Lebensmittelchemie der technischen Universität Braunschweig – und Tee hat im Vergleich zu seinem Eigengewicht sogar mehr davon als Kaffeebohnen, egal ob grün, schwarz oder weiß.

„Es könnte allenfalls sein, dass der Körper es durch Wechselwirkungen mit anderen Stoffen langsamer aufnimmt.“ Auch die Frage, ob Tee nun insgesamt gesünder ist als Kaffee, konnte die Wissenschaft bisher nicht klären. Immerhin: „Schaden kann Tee nicht“, sagt Engelhardt. „Jedenfalls wenn man nicht zu viel trinkt.“

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