Technologie: „Daten schaffen Marktvorteile“

Zugehörige Themenseiten:
Technologietransfer

Ein „Industrial Data Space“ wird Handwerksbetrieben ­strategische Chancen im Wettbewerb verschaffen, sagt Professor Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.

  • Bild 1 von 2
    © Thomas Einberger
    Reimund Neugebauer, geb. 1953 im thüringischen Esperstedt, promovierte 1984 an der TU Dresden, Fachrichtung Maschinenbau. Ab 1990 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Werkzeugmaschinen, TU Dresden, ab 1995 Professor für Werkzeugmaschinen an der TU Chemnitz und ab 2012 Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.
  • Bild 2 von 2
    © Thomas Eichberger
    „Rund 30 Prozent unserer Erträge erwirtschaften wir zusammen mit mittelständischen Firmen.“

An den Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft ist nur sehr schwer heranzukommen. Und dann soll möglichst wenig dem Zufall überlassen werden: Die Fragen vorab per E-Mail, dann bitte Bedenkzeit. Die Antworten sind praktisch druckreif. Kein Wunder: Wo die Zukunft erfunden wird, lässt man sich nicht gerne überraschen. Und das ist ganz gut so.

Welche technologischen Entwicklungen werden für Handwerksbetriebe in den nächsten Jahren besonders relevant?

Neugebauer: Im vergangenen Jahr hatten lediglich 29 Prozent der deutschen Mittelständler eine explizite Strategie zur Einführung von Industrie 4.0. Hier muss und wird sich einiges ändern. Denn gerade der hochspezialisierte deutsche Mittelstand kann mit diesen Technologien seine Wettbewerbsfähigkeit halten und vielleicht sogar den Marktvorsprung ausbauen. Für kleine und mittelständische Unternehmen ist es in diesem Zusammenhang essenziell, Daten miteinander zu teilen und auszutauschen. Dafür brauchen wir einen geschützten und virtuell vernetzten Datenraum, einen „Industrial Data Space“. Damit geben wir auch dem Handwerk ein strategisches Werkzeug an die Hand, um seine Daten in einen Wettbewerbsvorteil umzuwandeln.

Wagen wir hier eine Prognose: Welche Technologien sind früher Realität, als wir heute vermuten?

Nehmen wir das Jahr 2020 als Zeitmarke. Nullenergie-Produktion wird bis dahin für viele Unternehmen keine Science-Fiction mehr sein. Roboter, lange fast ausschließlich in der Industrie zu Hause, werden in den nächsten Jahren im Alltag vieler Menschen sichtbar werden, etwa als Helfer in Pflegeeinrichtungen, in Haushalten oder in Form neuartiger Arbeitskleidung – wie zum Beispiel Exoskelette, die Gewichtsbelastungen reduzieren. Auch das Thema Ressourcen- und Energieeffizienz wird sich in großen Schritten weiterentwickeln. Zudem ermöglichen generative Fertigungsverfahren wie der 3D-Druck individuellere Produkte und Dienstleistungen.

Wie wirkt sich 3D-Druck auf den Mittelstand aus und wie wird er Handwerk und Logistik verändern?

Technologien, mit denen Bauteile Schicht für Schicht aufgebaut werden, erobern immer neue Nischen. Sie erlauben Komponenten von nahezu unbegrenzter Komplexität, mit integrierten Funktionalitäten wie etwa Kühlkanälen, Sensoren oder Antrieben. Gleichzeitig ist die dreidimensionale Fertigung von metallischen Werkstoffen bereits weit fortgeschritten. Das eröffnet auch für Handwerksbetriebe neue Geschäftsfelder. Je mehr Produkte an einem Ort hergestellt werden können, desto weniger Arbeit bleibt für die Logistik. Neue Technologien eröffnen aber gleichzeitig neue Wertschöpfungspotenziale – auch für die Transportbranche.

Stichwort „Erneuerbare Energien“: Was sind die größten Hindernisse bei der Etablierung eines intelligenten Stromnetzes? Welche Speichermöglichkeiten werden sich etablieren?

Damit das Gesamtnetz stabil arbeitet und der Strom effizient verteilt wird, müssen wir Komponenten und Systeme für hocheffiziente Leistungselektronik, moderne Informations- und Kommunikationstechnik sowie geeignete Speichertechnologien integrieren. Diese Vision ist noch lange nicht Realität. Aber Fraunhofer-Forscher arbeiten bereits heute daran. Bei Speichern wie Lithium-Ionen-Akkus, Redox-Flow-Batterien, thermischen Speichern, Blockheizkraftwerken, Wärmepumpen oder Warmwasseraufbereitern geht es darum, diese unterschiedlichen Ansätze zusammenzuführen. Wir entwickeln gerade eine Hard- und Software-Plattform, mit der es möglich sein wird, viele unterschiedliche Speicher gleichzeitig zu regeln.

Wie schätzen Sie im Augenblick das Thema „autonomes Fahren“ ein? Dafür muss ja zunächst der gesamte Verkehr digital vernetzt sein.

Laut einer Studie des Fraunhofer IAO wird erwartet, dass in vier Jahren alle deutschen Automobilhersteller automatisierte Fahrfunktionen in Oberklassefahrzeugen als Sonderausstattung anbieten. Vollautomatisiertes, also auch fahrerloses Fahren soll bis 2030 Realität werden. Bis dahin haben die Entwickler noch viele technologische Herausforderungen zu meistern – zum Beispiel zuverlässige Sensortechnologie und -integration, zuverlässige Datenverbindungen und Car2X-Kommunikation.

Fraunhofer bietet Handwerksbetrieben die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit. Nutzen die Betriebe diese Möglichkeiten schon ausreichend?

Fraunhofer ist insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen ein etablierter Partner für anwendungsnahe Forschung. 30 Prozent der Wirtschaftserträge der Fraunhofer-Institute erwirtschaften wir in Projekten mit mittelständischen Firmen. Hinzu kommen öffentlich geförderte Projekte, bei denen im Verbund mit diesen geforscht wird.

Wie schätzen Sie das bei der Zusammenarbeit von Universitäten und Handwerksbetrieben ein? Gibt es auch hier noch Raum für Kooperationen?

Bei unserem Konzept der Leistungszentren verpflichten sich an einem Standort eine Vielzahl von Akteuren aus Wissenschaft und Wirtschaft auf eine gemeinsame interdisziplinäre und branchenübergreifende Roadmap. Das Handwerk profitiert von einer prosperierenden Region. Eine direkte Beteiligung einzelner Betriebe ist über Forschungsprojekte jederzeit möglich, wenn die Fragestellung eines Leistungszentrums und die Bedürfnisse der Firmen zusammenpassen. Drei Pilot-Leistungszentren sind bereits gestartet: Funktionsintegration für die Mikro- und Nanoelektronik in Dresden, Elektroniksysteme in Erlangen und Nachhaltigkeit in Freiburg.

In welchen Bereichen zeigen sich bei den Kooperationen besondere Synergien?

Nehmen wir das Beispiel eines Herstellers von einbruchssicheren Haustüren aus Rheinland-Pfalz: Simulationsmethoden und Softwaretools des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern haben geholfen, dessen einbruchssichere Türen so zu konstruieren, dass sie nun über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) förderwürdig sind. Dank des wissenschaftlichen Know-hows des Instituts musste der Hersteller keine eigenen Prototypen bauen und sparte Zeit und Kosten.

Vita:
Reimund Neugebauer, geb. 1953 im thüringischen Esperstedt, promovierte 1984 an der TU Dresden, Fachrichtung Maschinenbau. Ab 1990 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Werkzeugmaschinen, TU Dresden, ab 1995 Professor für Werkzeugmaschinen an der TU Chemnitz und ab 2012 Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft.