Studienabbrecher ins Handwerk

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Die Bundesregierung will Ex-Studenten die Chancen im Handwerk aufzeigen, denn Studienabbrecher lassen sich für eine Ausbildung im Handwerk begeistern. Das zeigen erste Modellversuche: Harry Müller wird jetzt Hörgeräteakustiker statt Student, Chefin Brigitte Weitkamp-Moog freut sich darüber.

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    Harry Müller wird jetzt Hörgeräteakustiker statt Student, Chefin Brigitte Weitkamp-Moog freut sich darüber.
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    © Bundesregierung/Steffen Kugler
    „Wir werden entsprechende Pilotprojekte im Handwerk starten.“ Johanna Wanka, ­ Bundesministerin für ­Bildung und Forschung.
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    © Chart: handwerk magazin
    Von 2005 bis 2012 ist die Zahl der Studienanfänger um 36 Prozent gestiegen, die Zahl der Ausbildungsanfänger dagegen gesunken.

Meister statt Master

Hörgeräteakustiker zu werden – auf diese Idee wäre Harry Müller nach eigener Aussage „allein wohl nie gekommen“. Der heutige Auszubildende der Schweinfurter Firma Hörgeräte Weitkamp studierte nach dem Abitur zunächst Politikwissenschaft an einer Münchener Hochschule. Doch mit zunehmender Studiendauer beschlichen ihn Zweifel, ob er die richtige Wahl getroffen hatte: „Es war alles sehr theoretisch, mir fehlte das Praktische.“ Nach fünf Semestern tauschte er die Hörsäle in München gegen Kinosäle in Würzburg, wo er als Filmvorführer jobbte. „Ich brauchte Zeit zur Neuorientierung“, bekennt er, „denn ich wollte nicht noch einmal danebengreifen.“

Müllers Werdegang ist kein Einzelschicksal. Einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung 2012 veröffentlichten Studie zufolge schmeißen durchschnittlich 23 Prozent aller Diplom- und 28 Prozent aller Bacheloranwärter ihr Studium ohne Abschluss hin. „Dabei sind Wechsler, die sich lediglich ein anderes Fach suchen, nicht mitgezählt“, stellt Ulrich Heublein von der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS), der die Untersuchung leitete, klar. Besonders hoch sei die Abbrecherquote mit 48 Prozent im ingenieurwissenschaftlichen Bereich, gefolgt von den naturwissenschaftlichen Fächern, in denen etwa vier von zehn Studenten vorzeitig die Segel strichen.

Ein Nachwuchskräfte-Potenzial, das gerade für das Handwerk viele Chancen birgt, aber in weiten Teilen erst noch erschlossen werden muss. Aus einer im Januar vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) vorgelegten Bestandsaufnahme geht hervor, dass etwa die Hälfte der Handwerksorganisationen „Kooperationsprojekte mit Hochschulen unterstützt oder plant“. Ziel sei es, „Studienaussteiger über den Weg der beruflichen Bildung zum Meister beziehungsweise zum Unternehmer zu führen und dabei bereits erbrachte Studienleistungen anzurechnen“, erläuterte ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer. „Angesichts der Herausforderungen können wir uns nicht leisten, Talente bei einer angestrebten Neuorientierung nur einseitig zu beraten oder gar abzuschreiben“, mahnte er einfachere Übergänge zwischen akademischer und beruflicher Ausbildung an.

Erfolgreiche Pilotprojekte

In Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat er dabei eine entschlossene Verbündete: „Wir werden entsprechende Pilotprojekte starten“, kündigte sie an. Zur Finanzierung plant ihr Ministerium noch im Frühjahr die Neuausrichtung des Jobstarter-Programms.

In mehreren Regionen, etwa rund um Aachen, Soest oder Vechta konnten mit solchen Pilotprojekten bereits ermutigende Erfahrungen gesammelt werden. Gefördert wurden diese Vorhaben bislang zumeist durch die jeweiligen Bundesländer und den Europäischen Sozialfonds. Zu den Pionieren zählt auch die Handwerkskammer Unterfranken mit ihrem bereits im Mai 2012 mit der Universität Würzburg gestarteten „Karriereprogramm Handwerk“.

„Zum einen prüfen wir bei jedem Bewerber, welche Qualifikationen aus dem Studium anerkannt werden können“, nennt Projektleiterin Gabriele Wachter von der Handwerkskammer Service GmbH die wichtigsten Besonderheiten, „zum anderen können die Teilnehmer parallel zur Ausbildung die Teile drei und vier des Meisterlehrgangs absolvieren“. Statt der Berufsschule besuchen die Auszubildenden zum Teil spezielle Kurse, sodass die Gesellenprüfung in der Regel nach zwei, der Meisterabschluss nach spätestens drei Jahren möglich ist.

  • Rat:
  • Anderer Ausbildungsstil
    Viele Studienabbrecher bringen gute Voraussetzungen mit, um nach einer dualen Ausbildung einmal Führungsaufgaben im Handwerk zu übernehmen. Betriebe müssen aber mit attraktiven Bildungsangeboten die Ex-Studenten überzeugen. Wer Studienabbrecher anspricht, braucht andere Argumente wie bei Schulabgängern und mitunter auch einen anderen Ausbildungsstil.

Anfragen aus ganz Deutschland

Die Resonanz auf das Angebot war am Anfang dennoch verhalten. „Viele Abbruchwillige verabschieden sich stillschweigend von der Uni, ohne die dortigen Beratungsangebote wahrzunehmen“, musste Gabriele Wachter feststellen, „und von denen, die wir erreichten, begegneten viele dem noch unbekannten Karriereweg ins Handwerk mit Skepsis.“ Erst als regionale und überregionale Medien bis hin zu Spiegel Online über das Projekt berichteten, wendete sich das Blatt. „Wir bekamen Anfragen aus allen Teilen der Republik. Und endlich zeigten sich auch weitere Hochschulen kooperationsbereit.“ Mehr als 250 Interessenten wurden seither beraten, statt der geplanten 20 letztlich 27 in das Karriereprogramm aufgenommen.

Harry Müller erfuhr durch einen Artikel in der Mainpost von der Initiative. Schon wenige Tage später saß er mit Gabriele Wachter und einer Karriereberaterin der Uni Würzburg an einem Tisch. „Mein Traum war nach den Erfahrungen im Studium ein Tätigkeitsfeld, in dem ich meinen Kopf und meine Hände gebrauchen kann und in dem ich mit Technik ebenso wie mit Menschen zu tun habe“, beschreibt der Ex-Student seine Vorstellungen.

Vom Abbrecher zum Filialleiter

Dass seine berufliche Zukunft im Handwerk liegt, stand für ihn fest, nachdem er, vermittelt durch die Beraterinnen, 14 Tage im Unternehmen von Brigitte Weitkamp-Moog gearbeitet hatte. Die Hörgeräteakustiker-Meisterin, die in und um Schweinfurt sieben Geschäfte betreibt, hatte zuvor bereits zwei Studienabbrechern eine Ausbildung ermöglicht. „Beide leiten heute Filialen“, bringt die Chefin ihre rundum positiven Erfahrungen auf den Punkt.

Nach überzeugenden Ergebnissen im ersten Lehrjahr eröffnen sich für Harry Müller nach Einschätzung seiner Chefin interessante Perspektiven. Sie kann sich gut vorstellen, dass er ebenfalls einmal eine Filiale führt.