Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) Studie: Reform der Minijobs ist nötig

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Der Minijobsektor in Deutschland ist seit der Arbeitsmarktreform 2003 stark gewachsen. Immer mehr Menschen üben Minijob als Zweitjob aus. In der Pandemie zeigt sich: Die geringe Absicherung sorgt für einen schnellen Jobverlust. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schlägt eine Absenkung der Verdienstgrenze von 450 Euro auf 300 Euro vor - und die Wiedereinführung der Sozialabgabenpflicht.

Kündigungswelle bei Minijobs
Coronabedingte Kündigungswelle bei Minijobs - © CG-stock.adobe.com

Die Corona-Krise hat für viele geringfügig Beschäftigte, die sogenannten Minijobber, gravierende Folgen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Im Juni 2020 sank die Zahl der Minijobber um 850 000 Personen oder zwölf Prozent unter dem Vorjahr. Zum Vergleich: Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist im selben Zeitraum um lediglich 0,2 Prozent gesunken .

Kein Vertrag, kein Kurzbarbeitergeld

Der entscheidende Unterschied: Beschäftige in Minijobs haben keinen Anspruchauf Kurzarbeitergeld. Zudem erhalten viele nur einen befristeten oder gar keinen Arbeitsvertrag. Und schließlich sind von den Einschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie vor allem Branchen mit einem hohen Anteil an Minijobs betroffen, beispielsweise das Gastgewerbe oder die Veranstaltungsorganisation. Von denjenigen, die im Jahr 2019 ausschließlich einen Minijob hatten, ist im Frühjahr 2020 fast die Hälfte keiner bezahlten Tätigkeit mehr nachgegangen.

Reform ist überfällig, sagt das DIW

" Minijobber verlieren in einer Wirtschaftskrise vergleichsweise schnell ihre Beschäftigung, deshalb trifft sie die derzeitige Situation besonders hart – sie gehörenauf jeden Fall zu den Verlierern der coronabedingten Rezession“, sagt Markus Grabka, Mitglied im Direktorium des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin. „Doch auch unabhängig davon ist eine Reform der Minijobs überfällig . Der Bereich der geringfügigen Beschäftigung ist in den vergangenen Jahren sehr groß geworden, und gleichzeitig hat sich oftmals die Hoffnung, Minijobs könnten eine Brücke in normale sozialversicherungspflichtige Jobs sein, nicht erfüllt“, so Grabka.

 Minijobber sind besonders oft und besonders hart von der Pandemie betroffen.
Minijobber sind besonders oft und besonders hart von der Pandemie betroffen. - © DIW

Insgesamt ist die Zahl der Minijobber seit den Arbeitsmarktreformen Anfang des Jahrtausends enorm gestiegen: Von 2003 bis 2019 um 43 Prozent auf 7,6 Millionen, wie Grabka und seine Co-Autoren Konstantin Göbler und Carsten Braband anhand von Daten des SOEP, der Minijobzentrale und der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Knapp 19 Prozent aller ArbeitnehmerInnen in Deutschland waren damit zum Stichtag im Juni des vergangenen Jahres geringfügig beschäftigt. Zählt man sämtliche in einem Kalenderjahr ausgeübten Minijobs, die nicht selten nurauf wenige Wochen oder Monate angelegt sind, liegt die Zahl sogar noch höher – im Jahr 2018 beispielsweise bei etwa 13 Millionen .

Frauen sind besonders betroffen

Besonders auffällig ist, dass immer mehr Menschen einen Minijob als Nebentätigkeit ausüben. Im Jahr 2019 traf diesauf rund drei Millionen zu, ein Anteil von 39 Prozent an allen Minijobs. Im Jahr 2003 waren es nur 17 Prozent . Offenbar sind immer mehr Arbeitnehmerauf einen Hinzuverdienst in Form eines Minijobs angewiesen. Dafür spricht auch der vergleichsweise geringe Bruttolohn von rund 1.700 Euro , den solche MinijobberInnen in ihrer Haupttätigkeit erhalten. Die Zahl der Personen, die einem Minijob als Haupttätigkeit nachgehen, ist hingegen zwischen 2003 und 2019 fast unverändert geblieben. Darunter befinden sich vor allem Frauen – ihr Anteil beträgt zwei Drittel. MinijobberInnen leben insgesamt häufiger in den westdeutschen Ländern und sind überdurchschnittlich oft jünger als 25 Jahre oder älter als 65 Jahre .

Kein Sprungbrett in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

Nach Ansicht der Studienautoren stellt sich angesichts des enorm gewachsenen Minijobsektors die Frage, ob diese Jobs durch die Befreiung von Steuern und Sozialabgaben überhaupt privilegiert sein sollten. Das Sprungbrett in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist ein Minijob oftmals nicht, das Problem der drohenden Altersarmut bleibt bei vielen MinijobberInnen ungelöst. Hinzu kommt, dass die Minijob-Regelungen in Kombination mit dem Ehegattensplitting und der beitragsfreien Mitversicherung für EhepartnerInnen sehr starke Anreize für verheiratete Frauen setzen, keine Beschäftigung oberhalb der Minijobgrenze aufzunehmen.

Die Verdienstgrenze absenken

"Nötig sind Anreize, mehr Minijobs in sozialversicherungspflichtige und somit besser abgesicherte Jobs umzuwandeln“, sagt Grabka. Denkbar sei beispielsweise, die Minijobschwelle von derzeit 450auf 300 Euro pro Monat abzusenken. Damit würde den Unternehmen immer noch ein gewisses Maß an Flexibilität zum Abarbeiten von Auftragsspitzen oder für klassische Nebentätigkeiten wie die Zeitungszustellung geboten. Außerdem sollte den Studienautoren zufolge die Sozialabgabenpflicht für Minijobs, die als Nebentätigkeit ausgeübt werden, wieder eingeführt werden – von diesem Privileg profitieren nämlich auch höhere Einkommensgruppen, die darauf gar nicht angewiesen sind.