Streit um Arbeitsstättenverordnung: Viel Lärm um nichts?!

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Die geplante Novellierung der Arbeitsstättenverordnung (ArbstättV) schlug hohe Wellen: Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer wirft Arbeitsministerin Andrea Nahles Bürokratisierung vor. Angesichts von Forderungen wie etwa nach einem Fenster für jedes Klo fühle er sich „wie in Absurdistan“. Der Konter der Ministerin blieb nicht aus.

Der Streit um die Novellierung der Arbeitsstättenverordnung nimmt zum teil groteske Züge an. - © © javier brosch - Fotolia.com

Doch wer hat wirklich Recht, Kramer oder Nahles? Wir sagen Ihnen, was dran ist an den Vorwürfen – und was nicht.

ArbStättV: Regulierung mindert Haftungsrisiken

Dass genaue Vorgaben für den betrieblichen Arbeitsschutz bloße Bürokratie sind, trifft nicht zu. Gerade für mittlere und kleine Unternehmen (KMU) bedeuten allzu laxe Regelungen zum Arbeitsschutz nur scheinbar eine Entlastung. Während große Konzerne Sicherheitsexperten und eine Rechtsabteilung haben, die betriebliche Schutzkonzepte auch anhand einer Kosten-Risiko-Nutzen-Analyse steuern können, sind KMU bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben oft überfordert, und es kommt zu gefährlichen Lücken im Schutzkonzept.

Setzen Sie in Ihrem Betrieb z. B. wichtige Anforderungen versehentlich nicht richtig um – zum Beispiel, weil die Formulierungen in der jeweiligen Verordnung sehr vage sind – haften Sie dennoch, wenn es zu einem Unfall oder einem Personenschaden kommt. Und das kann teuer werden.

Normalerweise übernehmen die Berufsgenossenschaften (BG) als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten die Kosten für Heilbehandlung und Rehabilitation. Haben Sie es aufgrund vermeintlicher Freiheiten versäumt, Schutzmaßnahmen zu treffen, verweigert die zuständige BG die Zahlung, und Sie bleiben auf oft horrenden Kosten sitzen.

Arbeitgeber in den Novellierungsprozess von Anfang an eingebunden

Ebenfalls gut zu wissen: Im verantwortlichen Expertengremium, dem Ausschuss für Arbeitsstätten (Asta), sind zwei Arbeitgebervertreter ständige Mitglieder. Massive Proteste gegen die Novelle der ArbStättV haben diese im Vorfeld nicht geäußert, so der Vorsitzende Ernst-Friedrich Pernack.

Neue ArbStättV: Wo Sie tätig werden müssen und wo nicht - der Kritikpunkt-Check im Einzelnen

Wie wir bereits in der letzten Newsletter-Ausgabe betont haben, enthält die neue Arbeitsstättenverordnung keine grundsätzlich neuen Anforderungen. Trotzdem sind an einigen wenigen Punkten Anpassungen erforderlich, falls diese in der aktuellen Fassung in Kraft tritt.

Müssen wirklich in jeden Toilettenraum Fenster?

Zwar formuliert die Verordnung, dass auch Sanitärräume möglichst eine „Sichtverbindung nach außen“, also ein Fenster, haben sollen. Weil das aber an vielen Arbeitsplätzen, etwa in Einkaufszentren oder in großen Lagerhallen, nicht möglich ist, sind Ausnahmen zugelassen – und die gelten auch für Toiletten.

Müssen Sie Heimarbeitsplätze selbst einrichten?

Viele Beschäftigte wünschen sich einen Telearbeitsplatz, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Die ArbStättV nimmt deshalb Regelungen zum Home-Office, zum Arbeiten von unterwegs oder zu anderen flexiblen Arbeitsplätzen wieder mit auf. Rechtlich betrachtet, werden die betroffenen Mitarbeiter dadurch den Kollegen gleichgestellt.

Natürlich ist es ein zusätzlicher Aufwand, dass Sie womöglich überprüfen müssen, ob der Schreibtisch einer Angestellten groß genug ist, der Bildschirm des PCs richtig zum Fenster ausgerichtet ist (quer zum Lichteinfall) oder ob es eine Möglichkeit gibt, Blendung durch Sonneneinstrahlung zu unterbinden etc.

Andererseits gilt: Durch diese Klarstellung wird Ihr Haftungsrisiko gesenkt. Falls Ihr Mitarbeiter vor Inkrafttreten der neuen ArbStättV aufgrund eines nicht ergonomisch eingerichteten Home Office-Arbeitsplatzes z. B. an einem Karpaltunnelsyndrom erkrankt wäre, hätte Ihre Berufsgenossenschaft Sie womöglich in Regress genommen - obwohl für Sie nicht ersichtlich war, dass Sie den Telearbeitsplatz bewerten müssen.

Müssen Sie verschließbare Spinde bzw. Schränke für jeden Mitarbeiter zur Verfügung stellen?

Mitarbeitern soll künftig ein verschließbarer Spind oder Schrank zur Verfügung stehen, in dem sie ihre Privatkleidung oder andere private Dinge während der Arbeitszeit aufbewahren können. Falls Sie nur offene Garderoben haben, müssen Sie natürlich nachrüsten.

Tipp: Bei Telearbeitsplätzen können Sie davon ausgehen, dass u. a. durch die verschlossene Wohnungstür Ihres Mitarbeiters das gleiche Schutzniveau erreicht wird wie durch einen verschlossenen Spind im Büro.

Tageslicht statt künstlicher Beleuchtung?

Die ArbStättV begründet die Forderung nach einer Sichtverbindung nach außen so: „Natürliches Tageslicht nimmt bei der Beleuchtung von Arbeitsräumen einen sehr hohen Stellenwert ein. In Verbindung mit einer ungehinderten Sichtverbindung nach außen wirkt sich das Tageslicht positiv auf die physische Gesundheit (z. B. Hormonhaushalt) sowie auf die psychische Gesundheit (z. B. Motivation, Arbeitszufriedenheit und Leistungsfähigkeit) der Beschäftigten bei der Arbeit aus.“ Wie erwähnt, sind aber weiterhin Ausnahmen zugelassen .

Haben Sie Mehraufwand durch neue Bildschirmarbeitsplätze?

Dass einschlägige Regelungen von der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) in die ArbStättV übernommen werden, bedeutet keinen zusätzlichen Aufwand.

Was müssen Sie bei Baustellenbeachten?

Arbeiten auf Baustellen ist besonders gefährlich, deshalb berücksichtigt die novellierte ArbStättV Unfallschwerpunkte beim Einrichten und Betreiben von Arbeitsstätten auf Baustellen. Auch hier wird der Aufwand für Sie als Arbeitgeber nicht unbedingt höher, denn es wird klarer definiert, was verlangt wird. Beschäftigte müssen die Möglichkeit haben:

  • sich gegen Witterungseinflüsse geschützt umzukleiden, zu waschen und zu wärmen,
  • einen Raum oder eine Einrichtung nutzen können, um ihre Mahlzeiten einzunehmen und zuzubereiten,
  • in der Nähe der Arbeitsplätze Wasser oder ein anderes alkoholfreies Getränk zu trinken,
  • Arbeitskleidung und Schutzkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu lüften und zu trocknen.

Wichtig: Eine Technische Regel für Arbeitsstätten, die ASR A5.2 "Straßenbaustellen - Anforderungen an Arbeitsplätze und Verkehrswege auf Baustellen im Grenzbereich zum Straßenverkehr" ist in Vorbereitung und wird weitere Detailvorgaben für diese spezielle Situation liefern.

Müssen Sie jetzt wirklich Abstellkammern heizen?

Im Raum stand die Forderung, dass auch in Räumen, die nur hin und wieder betreten werden, eine Temperatur von mindestens 17 Grad Celsius herrschen muss. Hier stellt das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) klar: „Archive und Abstellräume müssen auch künftig nicht geheizt werden."

Fazit: Sie sehen, nicht alles wird so heiß gegegessen, wie es gekocht wird. Wir halten Sie natürlich auch künftig zu weiteren Streitthemen auf dem Laufenden.