Praxisbericht Start-up in der Corona-Krise: Wie junge Unternehmer jetzt durchstarten

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Coronavirus, Digitalisierung, Geschäftsideen und Start-up

Corona-Zeiten zwingen auch digitale Start-ups zum Umdenken. Drei Betriebe zeigen, was zu tun ist, wenn das Geschäftsmodell plötzlich ins Wanken gerät, und wie sie die Krise clever durchschiffen.

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    ?Samuel Schneider
    © privat
    Samuel Schneider richtet seine Aufmerksamkeit neuerdings auf den inländischen Stellenmarkt und baut sein Start-up zur Karriereplattform für Elektroniker in Deutschland aus.
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    TeamPhilipSchur
    © Get-Mellon
    Philipp Schur (ganz rechts) sattelte in der Krise sein digitales Start-up um: Er und sein Team (von links: Can Keke, PR, Riccarda Boddenberg, Marketing, Fynn Holk, Partnermanagement, vermitteln nun Profis für Schädlingsbekämpfung an Privatkunden.

Die beiden Gründer von digitalen Start-ups, Samuel Schneider aus Berlin und Philip Schur aus Bochum, hat die Corona-Krise erst einmal hart getroffen. Schur, der auf seiner Plattform Getmellon.de seit Oktober 2019 Schlüsseldienste zum Festpreis von 89 Euro bzw. 119 Euro (Tag/Nacht) vermittelt, stand plötzlich vor der Situation, dass sein bis dato gut laufendes Geschäft durch Corona komplett einbrach: „Während des Lockdowns ging keiner mehr aus dem Haus, keiner verlor seine Schlüssel, wir hatten quasi von einem Tag auf den anderen nichts mehr zu tun“, erzählt Schur rückblickend. Mit seinem Team sattelte er kurzerhand um: „Wir wollten uns erst im kommenden Jahr in Richtung Schädlingsbekämpfung orientieren und haben diese Pläne einfach vorgezogen.“ Getmellon bringt nun Kunden und Wespennest-Profis zusammen. Wieder zum soliden Festpreis.

Junge Startups: Gründen mit Sinn

Wie er darauf kam? Schon bei der Ursprungsidee ärgerten ihn vor allem die Preise: „Meine Großmutter hatte sich aus dem Haus ausgesperrt und der Schlüsseldienst, den sie um Hilfe bat, stellte utopische Preise in Rechnung.“ Ähnlich erging es ihm mit den Preisen für das Entfernen von Wespennestern: „500 Euro schien uns Wucher. Wir wollten das billiger anbieten“, so Schur und fügt hinzu: „Durch Corona wurden wir quasi gezwungen, uns schnell vorwärts zu bewegen.“ Da es in diesem Jahr besonders viele Wespen gibt, lag das neue Betätigungsfeld auf der Hand. Auch war ihm wichtig, etwas Sinnvolles anzubieten, was ihm, wie er selbst sagt, ganz gut gelungen ist.

Fairness gegenüber Netzwerk

Seinem Netzwerk begegnete Schur in Krisenzeiten mit Fairness und Verständnis. Die Vermittlungsgebühr, die ihm die Handwerker für Kundenaufträge bezahlen, flossen in Lockdown-Zeiten nicht ganz so schnell wie sonst: „Wir ermöglichten den Handwerkern, die Zahlungen ein bis zwei Monate zu stunden. “Mit dem neuen Geschäfsfeld konnte er die Umsatzeinbußen um 300 Prozent ausgleichen. Da kam ihm zugute, dass er sehr schnell überlegte, womit er ersatzweise durchstarten könnte. Und auch für einen möglichen zweiten Lockdown hat er schon Ideen.

Grenzen dicht, Plattform dicht

Samuel Schneider (30), St-Gallen-Abslovent, erlebte ähnliches mit seiner Plattform journeyman.de. Vor dreieinhalb Jahren gegründet, um junge Handwerker ins englischsprachige Ausland zu vermitteln, standen er und sein Kompagnon mit 14 Mitarbeitern plötzlich vor der Situation: Geschlossene Grenzen bedeuten keine Vermittlung ins Ausland. „Bis Ende März hatten wir ein gutes Geschäftsmodell mit gesunden Zahlen, mit den Visa-Restriktionen in USA und Kanada war plötzlich alles anders“, erinnert sich Schneider. Ihm und seinem Mitgründer war sofort klar, dass sie die Pandemie länger als ein Jahr beschäftigen würde. Die beiden gingen als erste Maßnahme die Bankpositionen der letzten drei Monate durch. Akribisch prüften sie, auf welche Posten sie verzichten konnten. Erschwerend kam hinzu, dass sie das englischsprachige Vertriebsteam gerade von zwei auf fünf Personen erweitert hatten. „Leider mussten wir uns von den neuen Mitarbeitern wieder trennen, den Rest der Belegschaft schickten wir in Kurzarbeit.“ Sogar sein Kompagnon ist inzwischen ausgestiegen, Schneider sitzt jetzt allein am Ruder. Doch das beunruhigt den jungen Gründer nicht.

Geschäftseinbruch: Flexibel umgedacht

„Mitte Mai war uns klar, so kommen wir nicht weiter“, erzählt Schneider. Andererseits war ihm auch bewusst, wie viel Wissen sie in den letzten Jahren über junge Handwerker und ihre Anforderungen an einen neuen Job angesammelt hatten. „Wenn wir international nicht weiterkommen, müssen wir unsere Dienstleistung eben regional anbieten.“ Schneider vermittelt nun Elektroniker an deutsche Firmen und will seine Page zur Karriereplattform für Elektroniker in Deutschland ausbauen. Wichtig ist ihm dabei, die Bedürfnisse der jungen Profis in den Mittelpunkt zu stellen, weniger die der Personalabteilungen oder -vermittlungen. Auch für ihn geht es um Sinnhaftigkeit.

Lösung ohne Papierkram

"Die jungen Handwerker möchten alles mit dem Handy erledigen, entsprechend haben wir das Erscheinungsbild unserer Plattform angepasst, unser Talent-Team arbeitet auch mit WhatsApp." Die Devise bei Journeyman lautet: " Talent first". Schneider hatte zuvor mit seinem Team junge Handwerker interviewt, was sie am meisten störe auf der Suche nach einem neuen Job: " Zu viel Bürokratie, unendlich lange Fragebögen, das waren die häufigsten Kritikpunkte", erinnert sich Schneider. "Das wollen wir mit journeyman besser machen."

Anlaufstelle für junge Talente und Firmen

Schneider will etwas bewegen und jungen Handwerkern eine Art Anlaufstelle bieten: "Diese jungen Leute sind super gut in ihrem Beruf, wollen sich aber nicht mit Papierkram wie Anschreiben und Lebensläufen herumschlagen." Außerdem sah er bei seinen Interviews, wie sehr die jungen Profis das "Ghosting" der Personalabteilungen ärgert. "Da schicken sie Unterlagen hin und hören erst einmal wochenlang nichts, Nachfragen laufen ins Leere", weiß Schneider aus seinen Gesprächen. Diesen unterschiedlichen Bedürfnissen will er mit seiner Plattform künftig begegnen und quasi als Übersetzer fungieren. "Wir vermitteln zwischen Talenten und Firmen und beseitigen Verständnisprobleme", erklärt er sein Geschäftsmodell. Auch versucht Schneider mit seinen Leuten, über einen Online-Fragebogen, der vordefinierte Kompetenzen auflistet, ein genaueres Matching zwischen künftigem Arbeitgeber und Mitarbeiter zu erreichen. "Noch passiert das manuell, langfristig soll das aber auch digital laufen", betont Schneider.

Lohnt sich Verschieben?

Die Brüder Nazmi und Murat Ünal (35 und 28) entschieden sich in der Corona-Krise, die Gründung ihres Elektrotechniker-Fachbetrieb mit Schwerpunkt auf Smart Home im baden-württembergischen Balingen zu verschieben. Sie wollten ihre Strommeister-GmbH eigentlich Anfang April beim Notar eintragen lassen – sagten den Termin aber corona-bedingt kurzfristig ab. Die beiden hatten bereits 40 Quadratmeter Büroräume im Haus der Eltern modernisiert und standen in den Startlöchern: „Da wir beide noch in unseren Jobs beschäftigt waren, konnten wir unsere Aktivitäten erst einmal auf Eis legen.“ Murat Ünal erinnert sich: "Ich wollte auch erst einmal gucken, wie sich die Coronavirus-Krise auf die Auftragslage in dem Betrieb auswirkt, in dem ich aktuell noch arbeite."

Aufträge machen zuversichtlich

Ungünstig war für die beiden, dass die eingeplante Digitalisierungsprämie des Landes Baden-Württemberg durch Corona nun doch nicht zur Verfügung stand, 5000 Euro fehlten. Glück im Unglück: Das Existenzgründerdarlehen der L-Bank kostet erst, wenn die GmbH eingetragen ist. Inzwischen blicken die Brüder Ünal wieder mit Zuversicht in die Zukunft: Der Kastenwagen ist bestellt, der Notartermin vereinbart, im September kann es losgehen. Nazmi Ünal kümmert sich als gelernter Betriebswirt um das Backoffice, Murat ist der Mann vom Fach. Der junge Elektrotechnikermeister traut sich nach drei Jahren Berufspraxis als Meister die Selbstständigkeit zu. Inzwischen hat er seinen Job gekündigt. Aufträge haben die Brüder bereits: Architekten, Industriebetriebe und die Stadt haben Pläne avisiert.

Lehren für junge Gründer

Was die Krise die Gründer gelehrt hat? Philip Schur sagt: "Wir haben gelernt, uns deutlich breiter aufzustellen." Auch findet er, dass ein zweites Standbein in der Hinterhand nicht schaden kann, was die Brüder Ünal bestätigen. Darüber hinaus helfen gute digitale Strukturen , Kosten zu sparen. "Man kann damit viel flexibler agieren", sagt Schur. Schneider sieht das genauso und fügt hinzu: "Die Bedürfnisse der Kunden müssen im Fokus stehen". Die Brüder Ünal nutzten die Krise, ihr Vorhaben noch detaillierter zu planen und an Kleinigkeiten zu feilen. Nazmi Ünal: "Etwa holten wir für die Beschriftung des Kastenwagens diverse Angebote ein." Dafür hätten sie womöglich unter normalen Bedingungen keine Zeit gehabt. Seine Erfahrung: "Uns war nicht klar, dass es so unterschiedliche Angebote von Beschriftungsfirmen geben würde, die Preisdifferenzen waren wirklich erheblich." Er rät jungen Gründern, Zeit in die Planung zu investieren und schon im Vorfeld Geld für gute Beratung in die Hand zu nehmen. Letztlich sind sich alle Gründer einig: „Man kann auch eine Krise gut durchschiffen.“