Premium-Märkte Spitzenmäßige Aufträge

Das Handwerk polarisiert: Standardanbieter bieten hohe Volumen zu geringen Kosten bei niedrigen Margen. Premiumanbieter liefern  Top-Qualität zu hohen Preisen. So steigen Sie in dieses Top-Segment ein.

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    © Gunnar Geller/hm
    Gewährt den Teilnehmern Einblicke in seinen digitalisierten Betrieb: Nils Grimm von der gleichnamigen Premium-Tischlerei in Hamburg.
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    Volker Geyer, Malermeister und Inhaber des Malerbetriebs Aperto, in seinem Showroom in Wiesbaden: »Der Kunde lechzt nach exzellenter Qualität und  bestem Service. Und er honoriert das auch.«
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    © Jörn Neumann
    Klemens Grund, Designer und Tischlermeister aus Köln, entwirft Gebäude und Möbel für Manufactum: »Was nichts kostet, ist nichts wert. Wenn die Planung was kostet, bekommt man als Gestalter größeres Gehör.«
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    Jörg Förstera, Fleischermeister und Inhaber der Metzgerei Kumpel & Keule in Berlin Kreuzberg: »Wir verzichten komplett auf Sonderangebote, und unsere Kunden akzeptieren das.«
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    © Jaeger
    Marko Jaeger, Tischlermeister, Architekt und Inhaber des Betriebs kuekomo.de aus dem thüringischen Schmalkalden: »Kunden wollen schon vor Lieferung eine Beziehung zum Produkt aufbauen.«

Wenn wir auf die Baustelle kommen, haben wir oft nur Pinsel und Farben dabei“, sagt Volker Geyer, „meist ist bereits ein anderer Malerbetrieb vor Ort, der die Basisaufträge abwickelt. Wir machen dann die schönen Sachen.“

Seit fünf Jahren bietet der Malermeister aus Wiesbaden unter der Marke „Die Gestaltungsmaler“ seine High-End-Dienstleistungen an: Darunter fugenlose Bäder ohne Fliesen, Farb- und Einrichtungskonzepte, Wandbemalungen, Spachteltechnik, Lichtgestaltung mit LED. Seine Website malerische-wohnideen.de zeigt wunderschöne Fotos von Referenzprojekten. Allesamt auf Schöner-Wohnen- oder Ambiente-Niveau. Beim Durchsehen möchte man sofort einziehen und das Badewasser einlassen.

„Es war eine strategische Entscheidung, uns im Premiumsegment zu etablieren. Im Standardgeschäft mit Schwerpunkt Trockenbau fühlte ich mich nicht mehr wohl“, erklärt Geyer. Das war 2005. Heute muss der Handwerksunternehmer keine „Nachträge mehr nachschieben“, 80-seitige Verträge prüfen oder Lieferanten drücken. Er freut sich über größere Margen, mehr Gewinn, mehr Anerkennung, spannendere Projekte und nette Kunden aus ganz Deutschland.

Geiz ist geil ist vorbei

Der Unternehmer aus dem Hessischen ist kein Einzelfall. Auch andere Betriebe entdecken die Vorteile des Premiumsegments. In der aktuellen Handwerksstudie „Manufactum“ der Firma Würth, des Marktforschungsinstituts Service-Barometer und handwerk magazin erklären etwa rund 14 Prozent der repräsentativ ausgewählten Betriebe, dass sie „schwerpunktmäßig Aufträge im gehobenen Kundensegment und Premiummarkt akquirieren“. Unter den erfolgreichen Top-Betrieben ist der Anteil weit höher: Hier adressieren 37 Prozent das Premiumsegment. Der Grund liegt in der hohen Attraktivität dieses Marktes.

In beinahe allen Gewerken ist ein Markt für hochwertige handwerkliche Dienstleistungen entstanden. Und zwar nicht als abgehobenes Luxus-Segment für die oberen Zehntausend. Der moderne Premiummarkt fängt im Endverbraucherbereich bereits in der oberen Mittelschicht an. Mehr als 13 Millionen Haushalte verfügen monatlich über ein Nettoeinkommen von mehr als 3.600 Euro, davon rund sechs Millionen über mehr als 5.000 Euro. Hinzu kommt: Die Konsumlaune war selten so gut wie im Augenblick. Die Menschen geben ihr Geld wieder gerne aus. Das liegt einerseits an einer florierenden Wirtschaft, die dafür sorgt, dass die Verbraucher positiv in die Zukunft schauen und wenig Grund sehen, Geld für harte Zeiten zurückzulegen. Andererseits macht es in der jetzigen Niedrigzinsphase für viele Verbraucher keinen Sinn, Geld zu sparen. Durch die anziehende Inflation wird es ohnehin immer weniger. Also warum nicht gleich ausgeben?

Beim Consumer-Scan der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung GfK, der größten Verbraucherbefragung Deutschlands, gaben kürzlich rund 37 Prozent der Privathaushalte an, dass sie sich „fast alles leisten können“. Mehr als die Hälfte der Verbraucher, nämlich 53 Prozent, erklärten, beim Einkauf vor allem auf Qualität zu achten. Im Jahr 2010 waren es lediglich 48 Prozent.

Ein Beispiel: Die Anzahl der verkauften und installierten Küchen für Privatkunden steigt. „Der Küchenmarkt wächst insgesamt“, erläutert GfK-Marktforscher Dr. Wolfgang Adlwarth. Besonders das Segment ab einem Warenwert von 20.000 Euro sei in den letzten 12 Monaten um über 20 Prozent gewachsen. Küchen sind für viele die neuen Statussymbole. Wie generell Qualität und Nachhaltigkeit.

Neuer Wunsch nach Individualität

Auch im Business-to-Business-Bereich wird die Entwicklung von guter Konjunktur, steigender Nachfrage und neuen Technologien getrieben: So realisieren etwa immer mehr Bauträger neue Wohneinheiten im Premiumsegment, die eine Smart-Home-Infrastruktur, ausgeklügelte Sicherheitstechnologien oder altersgerechte Konzepte erfordern. Neue Technologien benötigen außerdem neue Wartungs- und Reparaturfähigkeiten.

So spezialisierte sich etwa Elektromeister Roy Werner aus Zeithain bei Meißen auf die Optimierung und Reparatur von Feld-Fotovoltaik-Anlagen. Für seine Industriekunden ist er in ganz Europa unterwegs – für vierstellige Tagessätze. Seinen Umsatz verdoppelte er in den letzten zwei Jahren.

„Die Kunden werden anspruchsvoller“, stellt Klemens Grund aus Köln fest. Der kürzlich ausgezeichnete Designer und Tischlermeister entwirft Gebäude und Möbel, etwa für die Handelskette Manufactum. Der Premiumkunde hat hohe Anforderungen an Produkt oder Dienstleistung, hohe Anforderungen an Material, Verarbeitung und Gestaltung. Er erwartet eine erstklassige Beratung, nicht selten ein Lösungskonzept oder eine Planung. „Er lechzt nach Qualität und Service“, sagt Unternehmer Geyer.

„Der Premiummarkt wächst, weil der Wunsch nach Individualität wächst“, sagt der Tischlermeister und Architekt Marco Jaeger aus dem thüringischen Schmalkalden. Sein Betrieb kuekomo.de entwirft und realisiert hochwertige Möbel. Seine Kunden wählen das Holz aus und „besuchen“ das halbfertige Werkstück schon einmal. „Viele wollen schon vor Lieferung eine Beziehung zum Möbel aufbauen“, hat Jaeger erfahren.

Dafür bringt der Kunde einiges mit: Er ist bereit, sich die hohe Qualität, den ausgeklügelten Entwurf und die Kundenorientierung auch etwas kosten zu lassen. Zwar hat er nichts zu verschenken, doch er muss den Euro nicht zweimal umdrehen. Hohe Preiselastizität nennen das die Wirtschaftswissenschaftler.
Von einer tollen Lösung oder erstklassigem Material lässt er sich begeistern. „Viele sagen, das übersteigt mein Budget um 20 Prozent, aber wir machen es trotzdem, weil der Entwurf zu klasse ist“, berichtet Jaeger.

Der Kunde ist liquide, kann sich leisten, was er bestellt, und bezahlt es auch. Nicht selten auch mit Vorkasse. Die Beziehung zum Produkt macht es möglich. Betriebe wie etwa Nils Grimm aus Hamburg können teilweise 100 Prozent Vorkasse durchsetzen – gegen drei Prozent Rabatt. „Das ist ein Geschäft ohne Risiko“, sagt der Hanseat.
„Wir verzichten komplett auf Sonderangebote“, sagt Fleischermeister Jörg Förstera von der Metzgerei Kumpel & Keule in Berlin Kreuzberg. Sein Geschäft in der Markthalle Neun bietet auch Raritäten wie etwa zwölf Wochen am Knochen gereiften Rinderrücken oder Lungenwurst. Der junge Betrieb mit seinen 14 Mitarbeitern beherrscht noch das Schlachten und die Warmfleischverarbeitung: klassisches Handwerkswissen, das heute nicht mehr gelehrt wird. Qualität heißt für Försteras Kunden aber auch absolute Lieferantentransparenz, korrekte Erzeugung und Erzeugerpreise. Das alles hat seinen Preis, den seine Kunden gerne bezahlen. Förstera lacht: „Nur einmal hat jemand nach Sonderangeboten gefragt.“

Qualität ohne Kompromisse

„Im Premiumsegment sind die Margen auf jeden Fall höher. Ebenso die Anerkennung der Leistung und damit auch häufig der Spaß am eigenen Tun“, sagt Jörg Mosler, Dachdeckermeister, Buchautor und Keynote-Speaker aus Nürnberg. „Aber Vorsicht: Alles hat zwei Seiten“, so Mosler. Wer in den Premiummarkt möchte, muss bereit sein, für seine Kunden die sprichwörtliche Extra-Meile zu gehen. Das kann auch sehr fordernd sein.

„Im Premiumsegment zählt die Qualität der Verarbeitung und die Einpassung in die Umgebung sowie die Schulung des Kunden in der Wahrnehmung der Qualität. Aber das setzt auch sehr kommunikationsfähige Handwerker voraus, die nicht nur ihr Segment technisch vollkommen beherrschen“, analysiert Prof. Dr. Kilian Bizer vom handwerksnahen Volkswirtschaftlichen Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh). Spezialfähigkeiten machen Betriebe zu Premiumanbietern. Das Gespür für Gestaltung, Konzept und Entwurf gilt als wichtiger Erfolgsfaktor. Klemens Grund nennt das Gestaltungswille, den man besitzen muss. Liefer- und Qualitätstreue sind weitere Faktoren. So gibt es etwa für Nils Grimm keinen Spielraum für Kompromisse. „Reklamationen gibt es bei mir nicht“, sagt das Nordlicht trocken. Das verbindet die meisten Betriebe, die sich erfolgreich im Premiumbereich etabliert haben: keine Kompromisse und bedingungslose Qualität.

Als zentraler Faktor für die Innovationsfähigkeit der Unternehmen stellte die im Januar veröffentlichte Baden-Württembergische Studie „Handwerk 2025“ fest, dass die Qualität der handwerklichen Leistungen für Kunden auch wahrnehmbar gestaltet sein müsse.

Keine Kognitiven Dissonanzen

Das gilt besonders für den konzeptionellen Teil der Arbeit. Entwürfe, die mal eben auf einem Fetzen Papier mit Bleistift hingeworfen werden, reichen nicht mehr. „Betriebe, die mit 3D-Software ihre Lösungen am Bildschirm visualisieren können, sind erheblich im Vorteil“, sagt die Studie. „Die Kunden haben einfach nicht die Vorstellungskraft“, meint Tischler Jaeger.

„Wenn Planung etwas kostet, bekommt man größeres Gehör“, hat auch Designer Grund, der den Großteil seines Umsatzes mit Entwürfen und Planung verdient, festgestellt. Einen Betrieb hat er gar nicht mehr. Wenn er einen Prototypen bauen will, mietet er sich in einer Tischlerei ein.

Wer sich als Spitzenanbieter etablieren will, muss auch so auftreten. Schmutzige Klamotten und ungehobelte Umgangsformen lassen beim Kunden Zweifel an der Qualität aufkommen. „Kognitive Dissonanz“ nennen das die Psychologen. „Bei mir ist ein Anzug Pflicht“, sagt Grimm. Aber nicht der aus den 90er-Jahren. Modern muss er sein. Wie sich hoher Anspruch im guten Outfit niederschlägt, zeigen Architekten sehr anschaulich.

Das gilt auch für Internet-Aktivitäten: So sieht die Website von Klemens Grund (www.klemensgrund.de) so reduziert und schlicht aus wie die von einer Kunstgalerie. Auch hier muss sich der Premiumanspruch ausdrücken.

Einzigartige Produkte haben im lokalen Umfeld logischerweise eine kleinere Zielgruppe. Dafür sind sie oft für Kunden aus dem gesamten Bundesgebiet relevant. Postwurfsendungen sind da wegen zu hohem Streuverlust wenig hilfreich. Deshalb setzen auch viele Premiumanbieter auf die Website und Content-Marketing als zentrale Marketing-Instrumente.

Eine Website hat keine regionale Beschränkung. Content-Marketing sorgt dafür, dass der Kunde über Referenzprojekte sieht, was er bekommen kann, und dass er in seinen Worten angesprochen wird. Das ist wichtig, denn die künftigen Kunden geben ihre Probleme, Wünsche oder ihre Vorstellungen von der Lösung in die Suchmaschinen ein. Darin liegt etwa der Grund, weshalb Volker Geyer seine Website „malerische-wohnideen.de“ genannt hat. „Das suchen die Leute.“ Den Firmennamen Aperto kennt man außerhalb von Wiesbaden gar nicht. Zumindest noch nicht.

Checkliste: So etablieren Sie sich im Premiummarkt

Hohes Engagement, reichlich Zielgruppenwissen, klare Spezialisierung, starke Expertise und eine stimmige und widerspruchsfreie Außenwirkung sind die Erfolgsfaktoen, mit denen Sie Ihren Betrieb zum Top-Anbieter weiterentwickeln können.
  • Motivation und Engagement herstellen: Prüfen Sie, ob Sie persönlich die Bereitschaft besitzen, sich in Ihrem Gewerk wirklich eine Spitzenposition zu erarbeiten. Das setzt hohes Interesse an den Materialen und Rohstoffen, ihrer Erzeugung, Herstellung, Eigenschaften und Weiterarbeitung, an Verfahren und Prozessen, an neuen Entwicklungen, Technologien und Lösungen voraus. Kurz: Leben Sie Ihr Gewerk?
  • Zielgruppe und Märkte analysieren: Kennen Sie Ihre Zielgruppe wirklich? Kennen Sie deren Bedarf, deren Wünsche und Probleme? Können Ihre Dienstleistungen diese Aspekte lösen? Welche Bedarfe hat Ihre Zielgruppe in einigen Jahren? Wo sind Wachstumssegmente? Betrachtet Ihre Zielgruppe Ihre Angebote für so hochwertig, dass der billigste Anbieter nicht mehr automatisch das Rennen macht? Hat Ihre Zielgruppe die Mittel sowie die Zahlungsbereitschaft für Ihre Lösungen?
  • Dienstleistungen und Expertise optimieren: Rasten Ihre Angebote in die Bedarfe der Zielgruppe ein? Setzen Sie auf heutige oder künftige Wachstumsmärkte? Sind Ihre Verfahren auf der Höhe der Zeit? Verfügen Sie über Fähigkeiten, die eine hohe Marktrelevanz haben, aber nur von wenigen anderen Betrieben angeboten werden. Wo entsteht eine hohe Nachfrage bei geringem Angebot?
  • Konzept- und Planungs-Dienstleistungen entwickeln: Komplexer und anspruchsvoller werdende Lösungen und Produkte benötigen sorgfältigere und anschaulichere Konzept- und Planungsphasen. Hier entstehen neue Märkte und neue Bedarfe. Entwickeln Sie Lösungen, damit Sie Ihren Kunden Planung und Realisierung anbieten können.
  • Marketing und Kommunikation anpassen: Glauben Sie einem Banker, der einen alten, rostigen Golf fährt, dass er Sie reich macht? Diese Frage gilt für alle Bereiche, in denen der Kunde Sie wahrnimmt: Ihren persönlichen Auftritt, Ihre Fahrzeuge, Ihre Mitarbeiter, Ihre Briefbögen und Ihre Website. Den Kunden stören Widersprüche. Diese sollten Sie beseitigen. Und: Zeigen Sie Ihre Erfolge. Mit schönen Bildern.