SPD: Katarina Barley Europawahl 2019: "Mehr Gerechtigkeit für Europa"

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Die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley setzt im Wahlkampf für die Europawahl 2019 auf ein sozial gerechteres Europa als Basis für mehr Zusammenhalt und Solidarität in der Zukunft.

Katarina Barley
Katarina Barley ist Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl 2019. - © Fotothek
Wie sehen Sie die Zukunft von Europa? Wie geht es aus Ihrer Sicht mit Europa weiter?

Wenn es um die Zukunft Europas geht, dann geht es um unser aller Zukunft. Europa muss eine starke und verlässliche Gemeinschaft bleiben, die den Menschen Schutz bietet – durch faire Löhne und gleiche Arbeitsbedingungen für alle, auch durch den europäischen Mindestlohn. Alle sollen spüren, dass Europa für sie da ist – und nicht nur für Banken, Konzerne und Großunternehmen. Wir wollen ein Europa, das für Steuergerechtigkeit sorgt. Wir wollen in die Zukunft investieren und in den Umwelt- und Klimaschutz, denn Herausforderungen wie die Digitalisierung und den Klimawandel werden wir nur gemeinsam meistern. Und wir wollen auch international geschlossen auftreten. Zusammenhalt ist der Schlüssel zur Erfolgsgeschichte Europas.

Was muss geschehen, damit das Projekt Europa erhalten bleibt?

Für die innere Einheit Europas ist die Angleichung der Lebensverhältnisse der Menschen wichtig. Der europäische Mindestlohn ist deshalb eine unserer zentralen Forderungen. Er ist eine relative Größe, die sich am Pro-Kopf-Einkommen oder dem Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Landes bemisst. Wenn 60 Prozent des mittleren Einkommens als Untergrenze verankert werden, dann bekommen wir hier in Deutschland einen Mindestlohn von 12 Euro. Alle Menschen müssen von ihrer Arbeit leben können, egal wo sie zu Hause sind. Das verstehe ich unter einem sozialen Europa.

Europa als Wertegemeinschaft scheint jedenfalls gescheitert …

Ich bin davon überzeugt, dass wir mit einem für die Menschen spürbaren sozialen Europa den Zusammenhalt im Innern stärken. Das ist die richtige Antwort auf die bestehenden Zweifel an diesem einmaligen Freiheits- und Wohlstandsprojekt. In einigen europäischen Ländern nehmen wir allerdings Probleme mit der Rechtstaatlichkeit wahr. Wir schlagen deshalb vor, neben einem Frühwarnsystem und der Stärkung zivilgesellschaftlicher Organisationen auch weitere Sanktionsmittel zu schaffen. Dazu gehört auch eine mögliche Kürzung von Subventionen.

Wie wollen Sie ein Auseinanderdriften verhindern?

Zentral ist es, für ein sozial gerechtes Europa zu sorgen. Nationalisten und Rechtspopulisten schüren Ängste, sie haben aber keine Lösungen, sondern schaffen Probleme. Wir müssen dafür sorgen, dass es in Europa gerecht zugeht und der wirtschaftliche Erfolg überall bei den Menschen ankommt. Es muss heißen: Gleiches Geld für gleiche Arbeit am gleichen Ort, und natürlich die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen.

Worin sehen Sie die Gründe, dass viele Wähler heute annehmen, dass zu viele nationale Gesetzgebung nach Brüssel gewandert ist? Einfach formuliert: Warum empfinden viele Wähler Europa und alles, was aus Brüssel kommt, als Bevormundung?

Europa ist für die Bürgerinnen und Bürger oft zu wenig greifbar. Selbst Dinge, die für alle zum Vorteil sind, beispielsweise die Abschaffung der Roaming-Gebühren oder die Entschädigungspflicht bei Flugverspätungen, werden nicht als Erfolge der EU wahrgenommen. Das muss sich ändern. Es geht um bessere Informationen der Menschen über „ihr“ Europa, um ein stärkeres gemeinsames europäisches Bewusstsein entstehen zu lassen.

Sprechen wir über Strukturen: Was muss geschehen, damit Europa nicht das Europa der Konzerne und multinationalen Firmen, sondern der mittelständisch geprägten Wirtschaft wird?

Die Europäische Union wurde als Wirtschaftsunion gegründet, die unserem Kontinent seit mehr als siebzig Jahren Frieden und wirtschaftlichen Zusammenhalt garantiert. Wir müssen die europäische Idee nun weiterentwickeln, hin zu einem Europa, das für alle da ist. Für den inneren Zusammenhalt ist es wichtig, dass es gerecht zugeht und jeder seinen Teil für die Gesellschaft leistet. Dazu gehört es, dass nicht nur die mittelständischen Unternehmen, sondern gerade auch die weltweit operierenden Konzerne angemessen besteuert werden, die hier in Europa Milliardenerträge erwirtschaften. Wenn der kleine Buchladen auf dem Land seine Einnahmen ordentlich versteuert, dann muss das auch für Konzerne wie Amazon und Google gelten. Alles andere ist nicht fair und deshalb inakzeptabel.

Steuerharmonisierung anstatt Steuerwettbewerb ist doch eine gute Idee, um Steuerschlupflöcher wie Irland oder Malta zu stopfen?

Bisher nutzen insbesondere die großen Digitalkonzerne die unterschiedlichen Steuerregeln aus, um ihre Gewinne künstlich kleinzurechnen. Das geht zu Lasten der Allgemeinheit, denn das Geld fehlt am Ende in den Städten und Gemeinden, in den Schulen, beim Öffentlichen Nahverkehr oder für den Betrieb eines Schwimmbades. Das werden wir ändern! Bis Ende 2020 wollen deshalb mit der OECD weltweit Regeln für eine Mindestbesteuerung digitaler Unternehmen einführen. Das wird nicht leicht, weshalb wir gleichzeitig eine europäische Lösung voran treiben für den Fall, dass die internationale Lösung nicht zu erreichen ist. Für uns ist klar: Alle haben die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten.

Bitte drei kurze Stichworte, wie wir das Migrationsproblem von Europa lösen können.

Immer mehr Menschen sind aus verschiedenen Gründen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen. Mit einer fairen Handels- und Agrarpolitik sowie einer wirkungsvollen Entwicklungszusammenarbeit wollen wir Fluchtursachen bekämpfen und eine eigenständige Entwicklung des globalen Südens ermöglichen. Das Wahren des Asylrechts ist aus unserer Sicht eine gesamteuropäische Aufgabe. Das aktuelle Dublin System muss deshalb durch einen solidarischen Verteilungsschlüssel ersetzt werden. Bis zur Verabschiedung der Reform müssen aufnahmewillige Staaten bzw. Kommunen mehr finanzielle und organisatorische Unterstützung von der EU erhalten. Europa muss Fluchtursachen bekämpfen und nicht die Flüchtlinge.

Warum sollte man zur Wahl gehen?

Weil man Europa nicht denjenigen überlassen darf, die es spalten und schwächen wollen. Nie war die Einheit Europas so sehr gefährdet wie jetzt, nie waren die Bedrohungen von außen, aber auch die politischen, sozialen und kulturellen Fliehkräfte im Innern größer als heute. Unser freies und friedliches Europa ist nicht selbstverständlich. Meine Botschaft heißt: Alle müssen jetzt runter vom Sofa und dafür sorgen, dass Europa auch noch für unsere Kinder und Enkel da ist.

Mit welcher Wahlbeteiligung rechnen Sie?

Diese Wahl ist eine Richtungswahl für Europa. Das war nicht immer so. Diesmal geht es um die Frage, wie wir künftig zusammenleben wollen: Weltoffen, solidarisch und gemeinsam stark? Oder alle für sich, nach dem Motto „Ich zuerst“? Spätestens seit dem Brexit ist vielen Menschen klar: Europa, wie wir es kennen, ist keine Selbstverständlichkeit. Bei vielen meiner Begegnungen mit den Menschen merke ich aber, wie groß die Begeisterung für Europa ist. Das wird sich auch bei der Wahlbeteiligung zeigen, da bin ich sicher.

Welches sind deiner Meinung nach die größten politischen Herausforderungen, die die EU in nächster Zeit zu bewältigen hat?

Wir müssen Europa zusammenhalten und stärken gegen Anfeindungen von innen und außen. Der Brexit zeigt deutlich genug wohin es führt, wenn sich Nationalisten und Rechtspopulisten mit Falschinformationen und Ausgrenzung mit ihren Interessen durchsetzen. Niemand weiß im Moment genau, wie es weitergeht, nur eines ist klar: Durch den Brexit verlieren die Britinnen und Briten genauso wie Europa. Unsere Antwort ist ein Europa des sozialen Zusammenhalts, ein Europa, das für die Bürgerinnen und Bürger da ist.

AfD, Front National, FPÖ & Co. - Europaweit scheinen sich rechtspopulistische Stimmen Gehör zu verschaffen. Wie können wir verhindern, dass sich der Rechtspopulismus weiter ausbreitet und was kann die EU dazu beitragen?

Zentral wird sein, für ein sozial gerechtes Europa zu sorgen. Nationalisten und Rechtspopulisten schüren Ängste, sie haben keine Lösungen, sondern schaffen Probleme. Wir müssen dafür sorgen, dass es in Europa gerecht zugeht und der wirtschaftliche Erfolg überall bei den Menschen ankommt. Europa muss vor allem für junge Menschen die besten Chancen auf Bildung, Ausbildung und gute Jobs schaffen. Unser Ziel ist, dass jeder arbeitslose Jugendliche innerhalb von vier Monaten ein Angebot für einen Job, eine Ausbildung oder ein Praktikum erhält. Wenn wir für ein sozial gerechtes Europa sorgen, dann sorgen wir für ein Europa des Zusammenhalts.

In letzter Zeit sorgte die Politik der EU eher für Negativschlagzeilen, während ihre Errungenschaften und Erfolge in den Hintergrund gedrängt werden. Was können wir dagegen tun?

Europa ist für die Bürgerinnen und Bürger oft zu wenig greifbar. Das muss sich ändern. Es geht zum einen um bessere Informationen der Menschen über „ihr“ Europa, aber auch um einen regelmäßigen Dialog und um echte Beteiligung über europäische Netzwerke. Mit der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) können Bürgerinnen und Bürger die Europäische Kommission auffordern, eine Gesetzesinitiative zu ergreifen. Und wir wollen mehr junge Menschen an Wahlen beteiligen, sie sollen über ihre Zukunft mitentscheiden. Dafür wollen wir die Altersgrenze auf 16 Jahre senken. Auch das gehört für mich zu einem demokratischen Europa der Bürgerinnen und Bürger.

Was schlagen Sie vor, um die EU und ihre Politik bürger*innennäher zu gestalten?

Europa braucht das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Damit die europäische Idee weiterhin der Garant für Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand bleibt, müssen sie besser an europäischen Debatten und Prozessen teilhaben und Entscheidungen besser nachvollziehen können. Wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass Europa an vielen Stellen zu deutlich schnelleren und effizienteren Entscheidungen kommt. Das Prinzip der Einstimmigkeit lähmt oftmals die Handlungsfähigkeit Europas, deshalb sollte das Mehrheitsprinzip bei allen Entscheidungen im EU-Ministerrat gestärkt werden. Ich möchte, dass die europäischen Volksvertreterinnen und Volksvertreter selbst Initiativen für Gesetzesvorhaben starten können. Wichtig ist mir auch mehr Transparenz durch ein verbindliches Lobbyregister für alle EU-Institutionen

Die vereinigten Staaten von Europa, sind für mich…:

… eine Herzensangelegenheit. Meine Partei brennt für Europa seit ihrer Gründung. Für die „Vereinigten Staaten von Europa“ hat die SPD schon mit ihrem Heidelberger Programm 1925 geworben. Für mich bedeutet Europa Vielfalt und Zusammenhalt, Fortschritt und Freiheit. Europa ist meine Familie und Europa ist für mich vor allem eins: Unsere Zukunft. Ich weiß, dass wir zusammen stärker sind. Wir werden die großen Herausforderungen nur gemeinsam mit den übrigen europäischen Ländern lösen. Dazu brauchen wir ein Europa, das nach innen solidarisch handelt und nach außen geeint auftritt. Europa ist die Antwort.