Sigmar Gabriel: Handwerk muss Digitalisierung nutzen

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich die Transformation zur Wirtschaft 4.0 auf die Fahne geschrieben. Zur CeBIT legte er seine „Digitale Strategie 2025“ vor. handwerk magazin hat den Minister dazu interviewt. Lesen Sie hier das komplette Interview.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel sieht in der Digitalisierung weitreichende Folgen und große Chancen für das Handwerk. - © Markus Tedeskino/Agentur Focus

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ist in einem weitverzweigten Gründerzeitgebäude in der Invalidenstraße, Berlin-Mitte, untergebracht. Ursprünglich wurden hier Ärzte ausgebildet und Invalide gepflegt. Gänge und Raumaufteilung erinnern noch daran. Heute arbeiten hier mehr als Tausend Beamte an der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Oder daran, was sie dafür halten.

Herr Minister, wo sehen Sie das Handwerk in fünf Jahren?

Wir erleben das Zusammenwachsen von Märkten sowie weitreichende technische und soziale Veränderungen – denken wir an die Energiewende oder die digitale Transformation. Wir sind Zeugen und gleichzeitig gestaltende Kraft eines technologischen Sprungs mit weitreichenden Folgen für Handwerk, Wirtschaft und Gesellschaft. Unternehmen müssen auf diese Veränderungen reagieren, ja, selbst Schrittmacher neuer Entwicklungen sein. Nur wenn sie flexibel und schnell auf den Märkten agieren, werden Chancen genutzt werden können.

Wie kann das ganz konkret gelingen?

Die Weichen müssen wir jetzt richtig stellen, wenn Deutschland auch morgen noch eine internationale Spitzenposition einnehmen soll. Dazu gehören Qualifizierung und digitale Bildung in allen Lebensphasen, geeignete Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung, Bürokratieabbau, neue Geschäftsmodelle für KMU, eine bessere Wachstumsfinanzierung von jungen Unternehmen, effizientere Produktion durch Industrie 4.0 sowie ein flächendeckender Zugang zu erstklassigen Netzen und der Ausbau von Gigabitnetzen. Einen Orientierungsrahmen, der bewusst auch über diese Legislaturperiode hinausgeht, habe ich in einer „Digitalen Strategie 2025“ skizziert. Sie soll eine Grundsatzdebatte für das Deutschland von morgen anstoßen. Dabei brauchen wir den Mittelstand und insbesondere das Handwerk fest an unserer Seite.

Wo identifizieren Sie im Handwerk die größten Wachstumsfelder?

Da gibt es einige. Neben der digitalen Transformation, bauen wir bis zur Mitte dieses Jahrhunderts im Rahmen der Energiewende in Deutschland auch ein völlig neues Energiesystem auf, Stichworte sind Ausbau der Erneuerbaren, Offshore-Industrie, Digitalisierung der Energiewende, Energieeffizienz. Das alles bedeutet Investitionen in zukunftsfähige Infrastruktur in Milliardenhöhe, das schafft Arbeitsplätze und ist ein Innovationsprogramm und eine große Chance für unseren Mittelstand, für unser Handwerk. Denn meist sind es Handwerkerinnen und Handwerker, die den Auftrag erhalten, energieeffizient zu sanieren und zu bauen.

Schon jetzt gibt es viele Dachdecker, die Satellitenbilder aus dem Internet nutzen, oder Modellbauer, die mit 3D-Druck arbeiten. Die Digitalisierung ist also angekommen, wenn auch noch nicht in dem Maße, in dem ich es mir wünschen würde. Aber eines ist klar: Wenn sich handwerkliches Können und Spitzentechnologie verbinden, wird das Handwerk auch in Zukunft sichere Arbeitsplätze, spannende Tätigkeiten und attraktive Chancen bieten.

EU-Kommissar Günther Oettinger erklärte auf der IHM in München per Video-Botschaft, dass das Handwerk großen Nachholbedarf bei der Digitalisierung habe. Sehen Sie das auch so?

Da gibt es auf jeden Fall noch Luft nach oben. Nur jeder zweite Betrieb hat überhaupt eine eigene Homepage. Mangelnde Information oder Vertrauen sind häufige Gründe für die Zurückhaltung. Die Digitalisierung zählt zu den wichtigsten Herausforderungen, aber auch zu den wichtigsten Chancen für das Handwerk. Dabei ist die entscheidende Frage längst nicht mehr „ob“, sondern „wie“.

Wie kann der Staat hier unterstützen?

Unser Ziel ist es, Deutschland zum modernsten Industriestandort zu machen. Im Rahmen der Digitalen Agenda haben wir bereits viel erreicht. Was langfristig nötig ist, habe ich in meiner Digitalen Strategie 2025 dargelegt. Wichtig ist eines: Die digitale Transformation sollte auch vom Handwerk als Chance begriffen und aktiv genutzt werden. Wir helfen, informieren, unterstützen und fördern hierbei, um die Kompetenz der Betriebe bei diesem Prozess zu stärken. Wir haben zum Beispiel bundesweit sogenannte „Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren“ und ein „Kompetenzzentrum Digitales Handwerk“ auf den Weg gebracht. Damit wollen wir Handwerksunternehmen helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, sich Rat zu holen und neue Geschäftsfelder zu erschließen.

Zudem fördern wir verstärkt Innovationen, unter anderem mit unserem erfolgreichen Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM). Mit der Digitalisierung ergibt sich auch die große Chance, den ländlichen Raum überregional zu vernetzen, der gerade von Handwerksbetrieben mit Produkten und Dienstleistungen versorgt wird. Daher bin ich mir mit dem ZDH darin einig, dass eine flächendeckende und leistungsstarke Versorgung mit Breitbandanschlüssen notwendig ist. Die Bundesregierung stellt dafür 2,7 Milliarden Euro zur Verfügung.

Wie wird sich die fortschreitende Digitalisierung auf die Wettbewerbsfähigkeit unseres Handwerks auswirken?

Die Digitalisierung von Produktions- und Arbeitsprozessen sowie Kundenwünsche nach individualisierbaren Produkten oder schnellere Lieferung stellt gerade mittelständische Unternehmen vor Herausforderungen. Gleichzeitig macht die Digitalisierung neue Produkte und Geschäftsmodelle oder auch die Erschließung neuer Bereiche möglich. Das Handwerk steht für Qualität, Nähe zum Kunden sowie individuell angefertigte und hochwertige Produkte. Dafür wird es immer eine Nachfrage geben. Und es wird auch immer Kunden geben, die bereit sind, für Top-Qualität Geld auszugeben.

Auch in einer zunehmend standardisierten Dienstleistungslandschaft wird das Handwerk daher gefragt sein. Wer heute „sein Handwerk versteht“, nutzt auch digitale Anwendungen. Das Bundeswirtschaftsministerium passt mit den Sozialpartnern die Ausbildungsordnungen immer wieder auf den neuesten Stand an, damit die Qualifizierung Schritt halten kann. Aber wir sind hier alle gefordert: die Arbeitnehmer und die Betriebe, die Politik, die Handwerksorganisation und die Gewerkschaften.

Lesen Sie den 2. Teil den Interviews auf der nächsten Seite

Die Neugründungen in Deutschland sind trotz Niedrigzinsphase und voller Fördertöpfe rückläufig. Was sind die Gründe?

Die Finanzierungsbedingungen für Gründungen in Deutschland sind so gut wie nie. Damit das so ist, haben wir die Finanzierungangebote mit zielgenauen, zinsgünstigen Förderkrediten und neuen Instrumenten, wie der ERP-Wachstumsfazilität und dem coparion-Fonds erweitert und weitere Belastungen, u.a. durch unser Bürokratieentlastungsgesetz, verhindert. Für die Gründungsdynamik sind aber viele Faktoren von Bedeutung. Vor allem der hohe Beschäftigungsstand und die Fachkräftenachfrage aufgrund des guten konjunkturellen Umfeldes führen seit Jahren zu rückläufigen Gründungszahlen. Rückläufig sind vor allem Kleinstgründungen aus der Not heraus. Während die gewerblichen Gründungen zurückgehen, steigen die Gründungen in den Freien Berufen. Hinter dieser Entwicklung steht auch eine große Nachfrage nach hochspezialisierten und individualisierten Dienstleistungen.

Die Zahl der Gründungen bei den zulassungsfreien Handwerkern ist hingegen in die Höhe geschnellt. Sehen Sie ein Problem darin, dass darunter nur die allerwenigsten Selbstständigen eine handwerkliche oder unternehmerische Qualifikation vorweisen können? Wird die Qualität des Handwerks darunter leiden?

Zunächst einmal: Es ist etwas sehr Positives, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen! Die Qualität und die Fachkräftesicherung im Handwerk sind für mich wichtige Anliegen. Wir dürfen aber nicht einem Handwerker ohne Meisterqualifikation von vornherein gute oder sogar hervorragende Arbeit absprechen. Im Ergebnis wird derjenige Erfolg haben, der gute Qualität liefert. Das gilt für das zulassungsfreie genauso wie für das meisterpflichtige Handwerk. Wichtig ist mir, dass wir insgesamt mehr Unternehmergeist brauchen – nicht nur im zulassungsfreien, sondern auch im meisterpflichtigen Handwerk! Leider geht nur rund ein Viertel aller Jungmeister den Schritt, seinen eigenen Betrieb zu gründen. Hier müssen wir ansetzen. Und man muss auch wieder aufstehen, sollte man gescheitert sein; - wir brauchen also auch eine Kultur der Zweiten Chance.

Um die Attraktivität des Meisterabschlusses zu stärken, fordern manche Handwerkskammern einen Meisterbonus: Jeder, der die Meisterprüfung ablegt, soll 1.000 Euro als Prämie und Ersatz für seine Aufwendungen erhalten. In Bayern wurde die Meisterprämie eingeführt - mit Erfolg. Wie stehen Sie dazu?

Die Bundesregierung will die berufliche Aus- und Weiterbildung im Handwerk noch attraktiver machen. Wir gehen hier aber einen anderen Weg. Uns ist es wichtig, die Wertschätzung für praktische Berufe insgesamt zu stärken und das Interesse an Technik bei jungen Menschen, insbesondere auch bei Mädchen und jungen Frauen, zu wecken und zu fördern, etwa im Rahmen von vertiefenden Praktika. Wir müssen aber auch mehr für die duale Aus- und Weiterbildung bei jungen Menschen werben. Berufsberatung, gerade in Gymnasien, darf nicht nur Studienberatung sein. Eine Akademisierung zu Lasten der beruflichen Bildung ist nicht sinnvoll. Daher werbe ich mit dem Handwerk für die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Gemeinsam mit dem ZDH und dem DGB werden wir die Ausbildungsberatung bei den Kammern stärken und noch mehr auf die Bedürfnisse neuer Zielgruppen ausrichten.

Handwerksbetriebe leiden immer stärker unter dem Fachkräftemangel. Was sind die Ursachen? Welche Maßnahmen gibt es hierzu seitens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie?

Die Bundesregierung modernisiert bestehende Ausbildungsordnungen, entwickelt neue Berufe und hebt veraltete Verordnungen auf: für gut 300 duale Ausbildungsberufe garantieren wir die laufende Anpassung der Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen an neue technologische Entwicklungen. Zudem können neue Wege, wie duale oder triale Studiengänge, Ausbildung verbunden mit dem Fachabitur oder Angebote für neue Zielgruppen wie Studienaussteiger die Attraktivität des Handwerks erhöhen.

Können die Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen, uns bei der Lösung des Fachkräftemangels helfen?

Die Aufnahme von Flüchtlingen ist in erster Linie eine humanitäre Aufgabe. Das breite Engagement für Flüchtlinge von vielen kleinen und großen Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen beeindruckt mich aber sehr. Gerade unsere Mittelständler sind wichtige Brückenbauer, denn sie beschäftigen 60 Prozent der Arbeitnehmer, bilden vier von fünf Auszubildenden aus und sind, nach einer aktuellen Befragung zu 85 Prozent bereit, Flüchtlinge einzustellen. Die duale Ausbildung ist dabei ein guter Weg zur Integration von Flüchtlingen in den deutschen Arbeitsmarkt. Dafür brauchen sie aber verlässliche Rahmenbedingungen. Hürden für Betriebe, die ausbilden wollen und damit diese unerlässliche Integrationsleistung erbringen, müssen abgebaut werden. Erste Weichen haben wir gestellt, weitere müssen zügig folgen. Deshalb ist mir auch eine schnelle Einführung der „3 plus 2 Regelung“ und die Anhebung der Altersgrenze für die Aufnahme einer Ausbildung von 21 auf 25 Jahre wichtig. Wer sich bereit erklärt, einen Migranten auszubilden, braucht auch die Sicherheit, dass sich die Bemühungen lohnen und derjenige auch im Betrieb eine planbare Zeit arbeiten kann.

In den kommenden vier Jahren suchen unseren Einschätzungen nach rund 250.000 Handwerksbetriebe einen Nachfolger. Deckt sich das mit Ihren Zahlen? Steuern wir auf eine Welle von Betriebsschließungen zu?

Bis 2020 werden jährlich rund 14.000 Betriebe im Handwerk an einen Nachfolger übergeben, davon über 40 Prozent innerhalb der Familie. Dem stehen jährlich rund 70.000 Stilllegungen von Handwerksbetrieben bis 2020 gegenüber. Es ist aber nicht anzunehmen, dass es sich bei den Stilllegungen vollständig um übernahmefähige Betriebe handelt. Eine vom Wirtschaftsministerium im Auftrag gegebene Studie des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen, kam zu dem Ergebnis, dass im Handwerk bis 2020 keine Übernahmelücke entsteht. Die Gründungszahlen werden ab 2020 die Stilllegungen zwar nicht mehr übersteigen. Insgesamt dürfte sich die Ausgangslage in den nächsten fünf Jahren aber nicht verändern.

Welche Maßnahmen gibt es im BMWi, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern?

Das unternehmerische Know-how und die Verantwortung für die Arbeitsplätze dürfen nicht verloren gehen, wenn der „Staffelstab“ weitergereicht wird. Mit der Initiative „nexxt“ machen wir seit Jahren gemeinsam mit unseren Partnern aus Verbänden und Wirtschaft auf das Thema Unternehmensnachfolge aufmerksam. Wir sensibilisieren für das Thema und erleichtern den Übergabeprozess. Daneben ist eine Unternehmensübernahme eine attraktive Chance auch für Gründerinnen oder Gründer, die in ein bewährtes Geschäftsmodell mit qualifizierten Mitarbeitern und Kundenstamm einsteigen wollen. Mit der Unternehmensnachfolgebörse www.nexxt-change.org steht eine kostenlose Plattform zur Verfügung, die nachfolgeinteressierte Unternehmer und Existenzgründer zusammen bringt.

Die langfristige Sicherung des Unternehmernachwuchses beginnt aber schon mit der Berufsberatung und der Qualifizierung Jugendlicher. Wir müssen das Fundament für den Unternehmergeist in den Schulen legen und an den Hochschulen weiter entwickeln. So können wir talentierten Jugendlichen Berufswege aufzeigen, in der auch die Selbständigkeit eine attraktive Option ist. Dabei hilft zum Beispiel unsere Initiative „Unternehmergeist in die Schulen“.

Gemeinsam mit dem ZDH-Präsident Wollseifer habe ich vereinbart, nachhaltige Existenzgründungen und Unternehmensnachfolgen zu stärken. Dazu müssen wir darauf achten, dass die Neuregelung der Erbschaftssteuer verfassungs- und mittelstandsgerecht ausgestaltet wird, das Betriebsvermögen schont und für Kleinbetriebe handhabbar ist. Und wir müssen neue Zielgruppen für eine attraktive Selbständigkeit im Handwerk gewinnen – insbesondere Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund. Ein Meister fällt eben nicht vom Himmel!